Bei einer Lebensversicherung gegen Einmalzahlung ist ein vor dem Laufzeitende erklärter Verzicht des Versicherungsnehmers auf vertraglich vereinbarte Teilauszahlungsansprüche allenfalls eine Stundung, nicht aber eine Schuldumschaffung (Novation) der Ansprüche, so dass kein Zufluss von Einnahmen in Höhe dieser Ansprüche nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG gegeben ist.

Einnahmen aus Kapitalvermögen liegen nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG erst vor, wenn sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH führt das Innehaben von Ansprüchen oder Rechten den Zufluss von Einnahmen regelmäßig noch nicht herbei. Der Zufluss ist grundsätzlich erst mit der Erfüllung des Anspruchs gegeben1.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind Einnahmen zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige wirtschaftlich über sie verfügen kann. Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen in der Regel dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Auch die Hingabe eines (gedeckten) Schecks führt zum Zufluss des entsprechenden Geldbetrags2.
Ebenso kann eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten den Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht3. Der Gläubiger muss allerdings in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen4.
Ein solcher Zufluss durch Gutschrift in den Büchern „des Verpflichteten“ kommt im Übrigen grundsätzlich nur in Betracht, wenn und soweit eine Zahlungsverpflichtung besteht. Aus der Art und Weise der Verbuchung kann der Gläubiger keine Ansprüche herleiten. Ein Anspruch muss vielmehr vorausgesetzt werden, wenn gefragt werden soll, ob der Schuldner durch eine bestimmte Buchung auf diesen Anspruch leisten und die Zahlung bewirken wollte5.
Der Zufluss kann zudem durch eine gesonderte Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger bewirkt werden, dass der Betrag „fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet sein soll“. In einer solchen Schuldumwandlung (Novation) kann, wenn sie im Interesse des Gläubigers liegt, eine Verfügung des Gläubigers über seine bisherige Forderung liegen, die einkommensteuerlich so zu werten ist, als ob der Schuldner die Altschuld durch Zahlung beglichen und der Gläubiger den vereinnahmten Betrag in Erfüllung des neu geschaffenen Verpflichtungsgrundes dem Schuldner sofort wieder zur Verfügung gestellt hätte. Die Novation stellt sich dann als eine bloße Verkürzung des Leistungswegs dar6.
Eine zum Zufluss führende Novation kann auch vorliegen, wenn der Steuerpflichtige die Wahl zwischen Auszahlung und Wiederanlage bereits vor der Entstehung und Fälligkeit der Kapitalerträge getroffen hat. Eine entsprechende Vereinbarung wirkt als „Vorausverfügung“ auf die Zeitpunkte der späteren Wiederanlage fort7. Eine solche Vorausverfügung über (zukünftige) Einkünfte stellt lediglich eine ‑an der Zurechnung der Einkünfte nichts ändernde- Einkunftsverwendung dar8.
Ob eine Vorausverfügung vorliegt, ist grundsätzlich anhand der für die Annahme einer Novation geltenden Maßstäbe zu prüfen, wobei die Interessenlage der Vertragspartner als Indiz weniger Gewicht hat, wenn die Modalitäten einer Auszahlung bzw. Verrechnung im Vorhinein vereinbart werden9. Hat der Steuerpflichtige nicht die Möglichkeit, zwischen Auszahlung und Wiederanlage zu wählen, liegt keine Vorausverfügung, sondern eine zustimmende Kenntnisnahme vor10.
Ob der Steuerpflichtige im Einzelfall tatsächlich die wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt und ausgeübt hat und ob eine Schuldumschaffung im alleinigen oder überwiegenden Interesse des Gläubigers lag, ist eine Frage der Tatsachenfeststellung und ‑würdigung, die dem Finanzgericht obliegt11. Hierbei hat das Finanzgericht alle Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Entscheidend kommt es auf den Zeitpunkt des mutmaßlichen Zuflusses an12.
Mit diesen Grundsätzen ist die Auffassung, die in der Police vereinbarten vierteljährlichen Teilauszahlungsbeträge seien i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen, unvereinbar.
Zunächst sind die Beträge tatsächlich nicht ausgezahlt worden, nachdem der Versicherungsnehmer bereits vor deren Fälligkeit auf diese Zahlungen verzichtet hat sowie die Vertragsbeteiligten darüber Einigkeit erzielt haben.
Ein Zufluss durch „Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten“ scheidet im Streitfall schon deshalb aus, weil eine solche Gutschrift in den Jahren 2002/2003 nach der bereits im Vorjahr getroffenen Abrede der Vertragsbeteiligten über die Reduzierung der Auszahlungen „auf null DM“ mangels fortbestehender Verpflichtung des anderen Vertragsbeteiligten zur Auszahlung nicht mehr indiziert war13.
Schließlich kann in dem Verzicht des Versicherungsnehmers und dessen Annahme durch den anderen Vertragsbeteiligten entgegen der Auffassung des Finanzgericht keine gesonderte Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger mit dem Inhalt gesehen werden, der (Teilauszahlungs-)Betrag solle fortan „aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet sein“.
Eine solche Schuldumwandlung (Novation) wird in einer Verfügung des Gläubigers über seine bisherige Forderung (nur) dann gesehen, wenn der verwirklichte Sachverhalt einkommensteuerlich so zu werten ist, als ob der Schuldner die Altschuld durch Zahlung beglichen und der Gläubiger den vereinnahmten Betrag in Erfüllung des neu geschaffenen Verpflichtungsgrundes dem Schuldner sofort wieder zur Verfügung gestellt hätte. Die Novation stellt sich dann als eine bloße Verkürzung des Leistungswegs dar14.
An einem solchen neuen Schuldgrund fehlt es im Streitfall. Weder ist im Jahr des Verzichts auf die Teilauszahlungen noch in den Folgejahren ein neuer Schuldgrund für Teilauszahlungen vereinbart worden.
Vielmehr schuldete der Vertragsbeteiligte ‑das Versicherungsunternehmen- den Gesamtbetrag der vereinbarten Auszahlungsbeträge unverändert aufgrund der ursprünglichen Policenvereinbarung. Da diese ausschließlicher Rechtsgrund aller Zahlungsansprüche des Versicherungsnehmers blieb, kann insoweit nicht von einer Schuldumschaffung ausgegangen werden15, sondern allenfalls von einer ‑nicht zu einem Zufluss nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG führenden- Stundungsvereinbarung16.
Auf dieser Grundlage sind dem Versicherungsnehmer in den Streitjahren keine Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe der Teilauszahlungsbeträge i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen, nachdem sich die Vertragsbeteiligten nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Finanzgericht bereits vor dem Streitzeitraum über den Verzicht auf die Auszahlungen geeinigt hatten.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. September 2014 – VIII R 15/13
- BFH, Urteil vom 05.11.2013 – VIII R 20/11, BFHE 243, 481, BStBl II 2014, 275[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 22.07.1997 – VIII R 13/96, BFHE 184, 46, BStBl II 1997, 767[↩]
- ständige Rechtsprechung seit BFH, Urteil vom 09.04.1968 – IV 267/64, BFHE 92, 221, BStBl II 1968, 525[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 14.02.1984 – VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480; und vom 22.07.1997 – VIII R 57/95, BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755[↩]
- BFH, Urteil vom 30.11.2010 – VIII R 40/08, BFH/NV 2011, 592, unter Bezugnahme auf BFH, Urteil in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, unter 2.a der Entscheidungsgründe[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 28.10.2008 – VIII R 36/04, BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 92, 221, BStBl II 1968, 525; und vom 24.03.1993 – X R 55/91, BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499[↩]
- BFH, Urteil vom 15.10.1981 – IV R 77/76, BFHE 135, 175, BStBl II 1982, 340[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, unter 3.c bb der Entscheidungsgründe[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 14.05.1982 – VI R 124/77, BFHE 135, 542, BStBl II 1982, 469[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 29.06.2000 – XI B 10/00, BFH/NV 2000, 1469: keine Fiktion des Zuflusses[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 16.03.2010 – VIII R 4/07, BFHE 229, 141, BStBl II 2014, 147[↩]
- BFH, Urteil in BFH/NV 2011, 592[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190, m.w.N.[↩]
- so schon BFH, Urteil in BFH/NV 2011, 592 zu einer Wealthmaster Choice Account Police[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, unter 2.c der Entscheidungsgründe; in BFHE 229, 141, BStBl II 2014, 147; vgl. zur Ablehnung eines Zuflusses durch Novation bei Verzicht auf gerichtliche Durchsetzung bestehender Ansprüche FG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.02.2011 4 K 264/09, EFG 2011, 1156; zum Hinausschieben der Fälligkeit bei Abfindungen siehe BFH, Urteile vom 11.11.2009 – IX R 1/09, BFHE 227, 93, BStBl II 2010, 746; – IX R 14/09, BFH/NV 2010, 1089[↩]