Für Klagen, die sich gegen das Verspätungsgeld richten, ist der Finanzrechtsweg eröffnet.

Ungeachtet der Vorschrift des § 17a Abs. 5 GVG muss der Bundesfinanzhof im Streitfall eine eigene inhaltliche Entscheidung über die Eröffnung des Finanzrechtswegs treffen.
Zwar ordnet die genannte Regelung an, dass das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht prüft, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Das Finanzgericht hat jedoch nicht beachtet, dass es gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG über die Zulässigkeit des Rechtswegs aufgrund der entsprechenden ausdrücklichen Rüge der Rentenversicherungsträgerin vorab ‑durch einen gesonderten Beschluss- hätte entscheiden müssen. In derartigen Fällen ist § 17a Abs. 5 GVG nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht anzuwenden, da den Beteiligten sonst jeder Rechtsbehelf, mit dem sie eine Nachprüfung der Entscheidung über die Zulässigkeitsfrage erreichen könnten, versagt bliebe 1.
Der Bundesfinanzhof darf als Revisionsgericht über die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs im vorliegenden Endurteil entscheiden, ohne seinerseits den in § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG vorgesehenen Weg der Vorabentscheidung durch gesonderten Beschluss einhalten zu müssen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann selbst ein Berufungsgericht von der Durchführung des Vorabverfahrens absehen, wenn es im Fall der Wahl dieses Verfahrens keinen Anlass gesehen hätte, gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG die Beschwerde zuzulassen 2. Dies muss erst recht für ein Revisionsgericht gelten, gegen dessen Entscheidungen niemals die Möglichkeit einer Beschwerde eröffnet ist. Auch der BGH entscheidet, wenn er wegen Nichtbeachtung des § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG durch die Vorinstanz eine eigene Prüfung der Rechtswegzuständigkeit vornimmt, hierüber im Endurteil 3.
Vorliegend ergibt sich die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs aus § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO 4. Danach ist der Finanzrechtsweg in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten gegeben, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Diese positiven Voraussetzungen sind hier erfüllt; die u.a. für Bußgeldverfahren geltende anderweitige Sonderzuweisung des § 33 Abs. 3 FGO ist nicht einschlägig.
Die Klage gegen die Festsetzung eines Verspätungsgeldes ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Vorliegend hat die ZfA als Verwaltungseinheit der DRV Bund ihr Handeln auf § 22a Abs. 5 EStG gestützt. Diese Norm gilt für sie allein in ihrer Eigenschaft als Hoheitsträger, so dass sie unstreitig dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist.
Entgegen der Auffassung der Rentenversicherungsträgerin handelt es sich um eine Abgabenangelegenheit i.S. des § 33 Abs. 2 FGO. Der Bundesfinanzhof kann es dabei dahinstehen lassen, ob es sich bei dem Verspätungsgeld, das in § 3 Abs. 4 Nr. 9 der Abgabenordnung (AO) als steuerliche Nebenleistung definiert wird, um eine "Abgabe" handelt, jedenfalls stellt § 22a Abs. 5 EStG eine "abgabenrechtliche Vorschrift" i.S. der zweiten Alternative des § 33 Abs. 2 FGO dar. Das Verspätungsgeld ist im EStG geregelt und bezweckt die geordnete und möglichst vollständige Festsetzung und Erhebung der Einkommensteuer ‑bei der es sich unstreitig um eine Abgabe handelt- auf Renteneinkünfte 5. Die Vorschriften über das Verspätungsgeld werden ‑wie von § 33 Abs. 2 FGO vorausgesetzt- auch durch eine Finanzbehörde angewendet, da die DRV Bund, die für die Festsetzung und Erhebung von Verspätungsgeldern zuständig ist, in ihrer Eigenschaft als zentrale Stelle i.S. des § 81 EStG zu den Finanzbehörden gehört (§ 6 Abs. 2 Nr. 7 AO).
Das Verspätungsgeld unterliegt der Gesetzgebung des Bundes. Dies zeigt sich einfachgesetzlich bereits daran, dass es sich bei § 22a Abs. 5 EStG um eine Norm des Bundesrechts handelt. Dem Bund steht aber auch verfassungsrechtlich die entsprechende Gesetzgebungskompetenz zu, die aus Art. 108 Abs. 5 Satz 1 GG folgt. Nach dieser Vorschrift wird das von den Bundesfinanzbehörden anzuwendende Verfahren durch Bundesgesetz geregelt. Bei der DRV Bund bzw. der ZfA, die für die Anwendung des § 22a Abs. 5 EStG zuständig ist, handelt es sich um eine Bundesfinanzbehörde. Die gesamte Norm des § 22a EStG enthält Verfahrensregelungen (Mitteilungspflichten), die eine vollständige Festsetzung und Erhebung der Einkommensteuer auf Renten gewährleisten sollen. Das in diesem Zusammenhang vorgesehene Verspätungsgeld nach § 22a Abs. 5 EStG soll wiederum sicherstellen, dass die Mitteilungspflichten von den Normadressaten auch beachtet werden, ist also Teil einer Verfahrensregelung.
Das Verspätungsgeld wird auch durch eine Bundesfinanzbehörde verwaltet. Zu den Aufgaben des BZSt, einer Bundesfinanzbehörde (§ 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung ‑FVG-), gehört u.a. die Erhebung des Verspätungsgeldes nach § 22a Abs. 5 EStG (§ 5 Abs. 1 Nr. 18 Satz 1 Buchst. d FVG). Das BZSt bedient sich zur Durchführung dieser Aufgabe der DRV Bund, soweit diese zentrale Stelle i.S. des § 81 EStG ist, im Wege der Organleihe; die DRV Bund unterliegt insoweit der Fachaufsicht des BZSt (§ 5 Abs. 1 Nr. 18 Sätze 2 und 3 FVG). Gegen diese Organleihe bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken 6. Aufgrund dieser gesetzlichen Anordnung der Organleihe ist das Handeln der DRV Bund dem BZSt zuzurechnen.
Die Regelung des § 33 Abs. 3 FGO, wonach die FGO auf das Straf- und Bußgeldverfahren keine Anwendung findet, ist vorliegend nicht einschlägig, da es sich beim Verspätungsgeld nicht um eine Geldbuße handelt, mit der eine Ordnungswidrigkeit in einem Bußgeldverfahren geahndet werden könnte.
Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) ist eine Ordnungswidrigkeit eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt. Dementsprechend bestimmt § 377 Abs. 1 AO, dass Steuerordnungswidrigkeiten Zuwiderhandlungen sind, die nach der AO oder den Steuergesetzen mit einer Geldbuße geahndet werden können.
Dies ist bei § 22a Abs. 5 EStG nicht der Fall. Dort ist ausdrücklich keine Geldbuße, sondern ein Verspätungsgeld vorgesehen. Dass diese Differenzierung sowohl in der Terminologie als auch in der Systematik auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers beruht, zeigt bereits die Norm des § 50f EStG, die ausdrücklich einen Bußgeldtatbestand für bestimmte Handlungen bzw. Unterlassungen im Zusammenhang mit Rentenbezugsmitteilungen enthält. Auch aus den Gesetzesmaterialien geht die Differenzierung zwischen dem Bußgeldtatbestand des § 50f EStG und dem Verspätungsgeld nach § 22a Abs. 5 EStG hervor: Während im Zusammenhang mit § 50f EStG ausdrücklich von der "Ahndung" einer Pflichtverletzung die Rede ist 7 und insoweit die Terminologie des OWiG aufgenommen wird, betonen die Gesetzesmaterialien zu § 22a Abs. 5 EStG ausschließlich den Präventiv- und Ausgleichszweck des Verspätungsgeldes 8.
Dies entspricht der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur rechtlichen Einordnung des Verspätungszuschlags nach § 152 AO: Obwohl dieser an ein in der Vergangenheit liegendes schuldhaftes Verhalten des Steuerpflichtigen anknüpft, handelt es sich nicht etwa um einen Straf- oder Bußgeldtatbestand, sondern um ein besonderes Druckmittel der Steuerverwaltung zur Sicherung eines ordnungsgemäßen Veranlagungsverfahrens, das präventiven Charakter hat 9.
Die Überlegung der Rentenversicherungsträgerin, das Verspätungsgeld stehe möglicherweise inhaltlich einem Bußgeld gleich, kann ‑unabhängig davon, ob der Bundesfinanzhof dem folgen könnte oder nicht- zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn die Klarheit und Bestimmtheit von Vorschriften über den Rechtsweg ist unabdingbare Anforderung an eine rechtsstaatliche Ordnung, die dem Bürger die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung behaupteter Rechtspositionen grundsätzlich verwehrt und ihn statt dessen auf den Rechtsweg verweist 10. Die danach erforderliche Rechtsklarheit gebietet es, jedenfalls vorrangig auf formale Merkmale abzustellen, was vorliegend die Annahme, bei § 22a Abs. 5 EStG könnte es sich um einen Bußgeldtatbestand handeln, ausschließt.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 20. Februar 2019 – X R 32/17
- BGH, Urteil vom 25.02.1993 – III ZR 9/92, BGHZ 121, 367, unter II. 1.b; BVerwG, Beschluss vom 28.01.1994 7 B 198/93, NJW 1994, 956; BFH, Beschluss vom 24.06.2014 – X B 216/13, BFH/NV 2014, 1888, Rz 9[↩]
- BGH, Urteil vom 11.07.1997 – V ZR 313/95, BGHZ 136, 228, unter II.; ebenso die ‑allerdings jeweils nicht tragenden- Äußerungen in den Entscheidungen vom 09.11.1995 – V ZB 27/94, BGHZ 131, 169, unter II.; vom 29.03.1996 – V ZR 326/94, BGHZ 132, 245, unter II. 1.; und vom 18.11.1998 – VIII ZR 269/97, NJW 1999, 651, unter I. 2.[↩]
- vgl. z.B. BGH, Urteil in BGHZ 132, 245, unter II. 2.[↩]
- gleicher Ansicht Braun in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 33 FGO Rz 172a[↩]
- vgl. dazu auch BT-Drs. 17/3549, S.19[↩]
- s. dazu ausführlich das BFH, Urteil vom 20.02.2019 – X R 28/17, ‑www.bundesfinanzhof.de, Entscheidungen online- unter B.I. 2.; ebenso zur Zulässigkeit der Organleihe in Bezug auf die Zuständigkeit der DRV Bund für die Altersvorsorgezulage bereits BFH, Urteil vom 08.07.2015 – X R 41/13, BFHE 250, 397, BStBl II 2016, 525, Rz 37[↩]
- BT-Drs. 17/3549, S. 21[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/3549, S.19[↩]
- BFH, Entscheidungen vom 18.08.1988 – V R 19/83, BFHE 154, 23, BStBl II 1988, 929, unter B.01.; vom 22.01.1993 – III R 92/89, BFH/NV 1993, 455, unter 2.d; und vom 30.11.2001 – IV B 30/01, BFH/NV 2002, 475[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 25.03.1981 – 2 BvR 1258/79, BVerfGE 57, 9, unter B.II. 3.a[↩]