Durchsuchung bei einem Dritten – und die Bekanntgabe der Begründung der Durchsuchungsanordnung

Dem von einer Durchsuchungsmaßnahme nach § 103 StPO betroffenen Dritten ist grundsätzlich bei Vollzug der Maßnahme eine Ausfertigung des Anordnungsbeschlusses mit vollständiger Begründung auszuhändigen.

Durchsuchung bei einem Dritten – und die Bekanntgabe der Begründung der Durchsuchungsanordnung

Die Bekanntgabe der (vollständigen) Gründe kann in Ausnahmefällen bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs oder entgegenstehender schutzwürdiger Belange des Beschuldigten vorläufig zurückgestellt werden. Die Zurückstellung der Bekanntgabe umfasst jedoch im Regelfall nicht die Mitteilung der Tatsachen, aus denen sich die Wahrscheinlichkeit ergibt, dass sich die gesuchten Gegenstände in den Räumlichkeiten des Drittbetroffenen befinden.

Die Rechtmäßigkeit der Art und Weise des Vollzuges einer richterlichen Maßnahme unterliegt der gerichtlichen Überprüfung gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog1. Der Vollzug der Beschlüsse ist insoweit rechtswidrig, als den Drittbetroffenen Beschlussausfertigungen übergeben wurden, die keine Angaben über die Tatschen enthielten, die es wahrscheinlich erscheinen ließen, dass sich die gesuchten Beweismittel in dem jeweiligen Durchsuchungsobjekt befinden.

In Ausnahme zu § 36 Abs. 1 StPO, wonach gerichtliche Entscheidungen, die in Abwesenheit der davon betroffenen Personen ergehen, diesen mittels Zustellung durch das Gericht bekannt gemacht werden, bestimmt § 36 Abs. 2 StPO, dass Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, der Staatsanwaltschaft zu übergeben sind, die das Erforderliche zu veranlassen hat. Zweck der Norm ist es, Vollstreckung und Bekanntmachung der Entscheidung in eine Hand zu legen, um eine Gefährdung des Erfolges der Maßnahme durch eine vorzeitige Bekanntgabe der Entscheidung vor Vollzug derselben zu vermeiden2.

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Der Umfang der Bekanntgabe der richterlichen Entscheidung ist dabei nicht in das Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt. Grundsätzlich ist dem Beschuldigten wie auch dem Drittbetroffenen die vollständige richterliche Durchsuchungsanordnung bei Vollzug derselben auszuhändigen3.

In Ausnahmefällen kann die Bekanntgabe der (vollständigen) Gründe der Anordnung zurückgestellt werden, wenn hierdurch der Untersuchungszweck gefährdet wäre4.

Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks kann bei einer Maßnahme gegen einen Dritten im Sinne des § 103 StPO unter anderem dann in Betracht kommen, wenn dieser im Anschluss an die Durchsuchungsmaßnahme als Zeuge vernommen werden soll und daher die Gefahr besteht, dass die Bekanntgabe der vollständigen Gründe der Durchsuchungsanordnung den Inhalt der Aussage beeinflussen könnte.

Neben der Gefährdung des Untersuchungszweckes können im Falle einer Durchsuchung bei einem Dritten der sofortigen Bekanntgabe der vollständigen Gründe aber auch schutzwürdige Belange des Beschuldigten entgegenstehen. Die Anordnung einer Durchsuchung setzt gemäß §§ 102, 103 StPO nur einen niedrigschwelligen Verdachtsgrad, nämlich die auf zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten beruhende Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat begangen wurde5, voraus und erfolgt im Regelfall in einem sehr frühen Verfahrensstadium. Eine Bekanntgabe des vollständigen Tatvorwurfes gegen den Beschuldigten in diesem Verfahrensstadium kann gerade im Fall besonders stigmatisierender Sachverhalte oder sensibler Beziehungen zu dem Drittbetroffenen, wie etwa im Fall einer Durchsuchung bei dem Arbeitgeber oder Geschäftspartner des Beschuldigten, zu einer irreparablen Brandmarkung des Beschuldigen führen und nach dem Rechtsgedanken des § 477 Abs. 3 StPO zunächst zurückzustellen sein.

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Auch in den Fällen, in denen nach diesen Grundsätzen ausnahmsweise von einer Mitteilung der Gründe für die Anordnung abgesehen werden kann, ist jedoch nachfolgendes zu berücksichtigen:

Dem Betroffenen ist stets eine Ausfertigung der richterlichen Entscheidung zu übergeben, in der die Gegenstände, auf die sich die Maßnahme erstecken soll, konkret bezeichnet werden. Denn nur so kann der Betroffene die Durchsuchung kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vorneherein entgegentreten6. Für den Drittbetroffenen im Sinne des § 103 StPO ergibt sich dies auch aus dem Umstand, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hier gebieten kann, dem Betroffenen eine Abwendungsbefugnis durch freiwillige Herausgabe der gesuchten Gegenstände einzuräumen.

Die Gefährdung des Untersuchungserfolges beziehungsweise die schutzwürdigen Belange des Beschuldigten stehen im Regelfall der Mitteilung der Tatsachen, die die Annahme begründen, dass sich die gesuchten Gegenstände bei dem betroffenen Dritten befinden7, nicht entgegen. Der entsprechende Teil der Beschlussgründe ist dem Drittbetroffenen daher grundsätzlich bereits bei der Durchsuchung bekannt zu geben, denn nur so kann der Drittbetroffene überprüfen, ob ungeachtet der generellen Rechtmäßigkeit einer Maßnahme gegen den Beschuldigten die Ermittlungsbehörden rechtmäßig Maßnahmen gegen ihn ergriffen haben.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war die Bekanntgabe der Durchsuchungsbeschlüsse vorliegend nicht rechtmäßig. Zwar stand zum Zeitpunkt der Durchsuchung die beabsichtige Vernehmung des Antragstellers der Bekanntgabe des vollständigen Tatvorwurfes gegen den Beschuldigten und der diesen stützenden Beweismittel entgegen, jedoch hätte den Betroffenen die unter Ziffer III der Beschlüsse vom 01.12 20168 aufgeführten Gründe, warum die Annahme besteht, dass sich die gesuchten Beweismittel in den Durchsuchungsobjekten befinden, mitgeteilt werden müssen. Gründe die eine Ausnahme hiervon rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. Juni 2017 – 1 BGs 148/17

  1. Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 98 Rn. 23[]
  2. Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 36 Rn. 16[]
  3. BGH, Beschlüsse vom 03.09.1997 – StB 12/97, BGHR StPO § 105 Zustellung 1; vom 07.11.2002 – StB 16/02, BGHR StPO § 105 Zustellung 2 Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 105 Rn. 4; KK-StPO/Bruns, 7. Aufl., § 105 Rn. 5; KMR/Hadamitzky, StPO, Stand November 2016, § 105 Rn. 14; SK-StPO/Wohlers/Jäger, 5. Aufl., § 105 Rn. 30[]
  4. BGH, Beschluss vom 07.11.2002 – StB 16/02, BGHR StPO § 105 Zustellung 2 Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 105 Rn. 4; KK-StPO/Bruns, 7. Aufl., § 105 Rn. 5; KMR/Hadamitzky, StPO, Stand November 2016, § 105 Rn. 14; SK-StPO/Wohlers/Jäger, 5. Aufl., § 105 Rn. 30; anders zumindest für die Durchsuchung bei Beschuldigten: MünchKomm-StPO/Hauschild, 1. Aufl., § 105 Rn. 24[]
  5. Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 102 Rn. 2[]
  6. vgl. BVerfG, BVerfGE 103, 142 Rn. 35[]
  7. vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 103 Rn. 6[]
  8. BGH, Beschlüsse vom 01.12 2016 – 1 BGs 150-152/16[]