30 Grad im Haftraum

Überschreitet die Raumtemperatur im Haftraum nicht nur an einzelnen Tagen für mehrere Stunden 30 ° C, obwohl der Gefangene alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Absenkung der Raumtemperatur ausnutzt, ist die Justizvollzugsanstalt verpflichtet, im Rahmen des technisch, organisatorisch und unter Sicherheitsbelangen Zumutbaren Abhilfe zu schaffen.

30 Grad im Haftraum

Soweit ein dem grundrechtlich geschützten Mindeststandard entsprechendes Raumklima nur durch den Einsatz eines Ventilators sichergestellt werden kann, darf die Justizvollzugsanstalt die Gefangenen nicht auf die Möglichkeit eines entgeltlichen Erwerbs oder einer entgeltlichen Gebrauchsüberlassung von Geräten verweisen.

Gefangene können aus den Organisationsregelungen des § 9 Abs. 1 JVollzGB I unmittelbar keine Rechte herleiten1. Sie haben aber einen Anspruch auf menschenwürdige (Art. 1 Abs. 1 GG) Unterbringung2, die auch den Schutz ihrer Gesundheit gewährleistet (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Ist der danach gebotene Mindeststandard verletzt, können sie von der Justizvollzugsanstalt geeignete Maßnahmen verlangen, die eine menschenwürdige Unterbringung sicherstellen und dem Gesundheitsschutz Rechnung tragen. Ein darauf zielendes Begehren können die Gefangenen mit einem Anfechtungsantrag oder – wie hier – mit einem Verpflichtungsantrag geltend machen3.

Nach den getroffenen Feststellungen reichen in dem hier entschiedenen Fall die Belüftungsmöglichkeiten des Haftraums noch aus, um den erforderlichen Luftaustausch sicherzustellen. Auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht genügende Ausgestaltung des Vollzuges kann es hindeuten, wenn internationale Standards mit Menschenrechtsbezug nicht beachtet beziehungsweise unterschritten werden4. Dies ist hier aber in Bezug auf eine ausreichende Belüftung nicht ersichtlich. Nach Nr. 18.2 Buchstabe b der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze, Empfehlungen Rec(2006)2, des Ministerkomitees des Europarats müssen Gebäude, in denen Gefangene leben, arbeiten oder sich aufhalten über Fenster verfügen, die groß genug sind, damit Frischluft einströmen kann, es sei denn eine entsprechende Klimaanlage ist vorhanden. Das von den jeweiligen tatsächlichen Verhältnissen abhängige Ausmaß des erforderlichen Frischluftzustroms ist nicht vorgegeben. Die im Haftraum des Gefangenen eingebauten Fenster werden den Erfordernissen einer ausreichenden Frischluftversorgung im Allgemeinen gerecht. Die Metallprofilfenster zeichnen sich dadurch aus, dass sich ein Fensterflügel, der ein Drittel der Fensterfront bildet, hinter einer Lochblende befindet. Dieser Fensterflügel kann zur Belüftung geöffnet werden. Die übrigen zwei Drittel des Fensters sind nicht zu öffnen und bestehen aus einer Glasscheibe5. Diese Gestaltung der Haftraumfenster, die in mehreren Justizvollzugsanstalten in Baden-Württemberg verbaut wurden, tragen einerseits dem Sicherheitsbedürfnis Rechnung und gewährleisten andererseits unter gewöhnlichen Bedingungen eine ausreichende Luftzufuhr. Die Hochbauverwaltung und das Justizministerium bewerteten die Blenden als ausreichend für den erforderlichen Luftaustausch6.

Weiterlesen:
Anfangsverdacht - und die Sichtung sichergestellter Datenträger

Jedoch kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden, ob die Justizvollzugsanstalt im Hinblick auf die in den Hafträumen herrschenden Temperaturen zu weitergehenden Maßnahmen verpflichtet ist, um den Mindeststandard einer menschenwürdigen und dem Schutz der Gesundheit hinreichend Rechnung tragenden Unterbringung zu gewährleisten.

Überschreitet die Raumtemperatur im Haftraum nicht nur an einzelnen Tagen für mehrere Stunden 30° C, obwohl der Gefangene alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Absenkung der Raumtemperatur ausnutzt, ist die Justizvollzugsanstalt verpflichtet, im Rahmen des technisch, organisatorisch und unter Sicherheitsbelangen Zumutbaren Abhilfe zu schaffen. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass die Justizvollzugsanstalt den Gefangenen an den Tagen, an denen zu erwarten ist, dass die Raumtemperatur 30° C überschreitet, Ventilatoren zum kostenlosen Gebrauch überlässt.

Es existieren keine allgemeingültigen Regelungen über die zulässige Raumtemperatur für die Hafträume. Anhaltspunkte für das Erreichen einer unzumutbaren Überhitzung von zum Daueraufenthalt bestimmten Räumen können sich aus den Technischen Regeln für Arbeitsstätten zur Raumtemperatur (ASR A3.5) ergeben, die aufgrund § 7 Arbeitsstättenverordnung vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekannt gemacht wurden7. So verpflichtet Ziffer 4.4 Abs. 2 der ASR A3.5 den Arbeitgeber bei einer Raumtemperatur von mehr als 30° zu wirksamen Schutzmaßnahmen gegen Gesundheitsgefährdungen.

Soweit ein dem grundrechtlich geschützten Mindeststandard entsprechendes Raumklima nur durch den Einsatz eines Ventilators sichergestellt werden kann8, darf die Justizvollzugsanstalt die Gefangenen nicht auf die Möglichkeit eines entgeltlichen Erwerbs oder einer entgeltlichen Gebrauchsüberlassung von Geräten verweisen. Die Justizvollzugsanstalten dürfen Gefangene – über den unter den Voraussetzungen des nach § 51 JVollzGB III zu erhebenden Haftkostenbeitrags hinaus – nicht ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage an den Kosten für Unterbringung und Verpflegung beteiligen, die zur Deckung des grundrechtlich geschützten Mindestbedarfs dienen9.

Weiterlesen:
(Rück-)Verlegung eines Gefangenen

Gemessen hieran durfte die Justizvollzugsanstalt den Antrag des Gefangenen mit der gegebenen Begründung nicht ablehnen. Aus der Begründung der Entscheidung der Justizvollzugsanstalt und den von der Strafvollstreckungskammer getroffenen Feststellungen ergibt sich nicht, ob die vom Gefangenen als „tropische Verhältnisse“ umschriebene Hitzebelastung ein solches Ausmaß erreicht, dass sie die vom Gefangenen begehrte oder eine andere geeignete Abhilfemaßnahme treffen musste. Bei der erneuten Entscheidung kommt es maßgeblich darauf an, in welchen Zeiträumen welche Temperaturen in den Hafträumen erreicht werden. Die Justizvollzugsanstalt hätte sich mit der Frage beschäftigen müssen, ob – gegebenenfalls auch aufgrund während Hitzeperioden in der Vergangenheit gewonnener Erfahrungen – im Haftraum des Gefangenen an mehreren Tagen über mehrere Stunden Temperaturen von über 30 ° C zu erwarten waren.

Bei der erneuten Entscheidung wird die Justizvollzugsanstalt auch zu prüfen haben, ob die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Gefangene geltend macht, bereits bei niedrigeren zu erwartenden Raumtemperaturen Abhilfemaßnahmen gegen die Hitzebelastung erfordern.

Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 7. Juli 2015 – 4 Ws 38/15 (V)

  1. Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 144 Rn. 4; Anm. zu § 9 JVollzGB I BW[]
  2. vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 13.11.2007 – 2 BvR 939/07 12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.01.2004 – 1 Ws 27/03 5[]
  3. Verrel in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., D Rn. 59[]
  4. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 13.11.2007 – 2 BvR 939/07 15; vom 18.03.2015 – 2 BvR 1111/13 31[]
  5. LT-Drs. 15/6175, S. 16[]
  6. vgl. LT-Drs. 14/5942, S. 23; LT-Drs. 15/212, S. 15; LT-Drs. 15/6175, S. 16[]
  7. GMBl.2010, S. 751, zuletzt geändert GMBl.2014, S. 287[]
  8. vgl. LT-Drs. 14/5942, S. 23[]
  9. vgl. Däubler/Galli in Feest/Lesting, StVollzG, 6. Aufl., § 50 Rn. 13 ff.[]
Weiterlesen:
Raub = Nötigung + Wegnahme