Mit den Anforderungen an die Bestimmtheit einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die Einstellung eines Tatvorwurfs gemäß § 154 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, zu dessen Beseitigung ein förmlicher Wiederaufnahmebeschluss nach § 154 Abs. 5 StPO erforderlich ist1.
Wegen der weitreichenden Wirkungen einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ist die Beschlussformel so zu fassen, dass kein Zweifel besteht, auf welche Taten und welche Angeklagten sie sich bezieht2. Die eingestellten Taten sind genau zu bezeichnen, nach Möglichkeit mit der Nummerierung der Anklageschrift. Ist dies nicht möglich, sind die Taten so genau zu beschreiben, dass klar erkennbar ist, welche angeklagten Taten aus dem Verfahren ausgeschieden werden. Hinsichtlich der Konkretisierung im Einstellungsbeschluss gelten insoweit dieselben Anforderungen wie bei der Tatbeschreibung in der Anklageschrift zur Erfüllung ihrer Umgrenzungsfunktion.
Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (Umgrenzungsfunktion)3. Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat4. Die Identität des geschichtlichen Vorgangs muss feststehen, es darf kein Zweifel über die verfahrensgegenständlichen Taten im prozessualen Sinn eintreten. Fehlt es an einer hinreichenden Konkretisierung, so ist die Anklage unwirksam5. Darüber hinaus hat die Anklage auch die Aufgabe, den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den mit der Anklage erhobenen Vorwurf einzustellen. Mängel der Anklage in dieser Hinsicht führen nicht zu ihrer Unwirksamkeit (Informationsfunktion)6.
Welche Angaben zur ausreichenden Umgrenzung des Verfahrensgegenstandes erforderlich sind, lässt sich nicht für alle Fälle in gleicher Weise sagen. Die einzelnen Faktoren der Tatkonkretisierung können von Fall zu Fall unterschiedliches Gewicht besitzen und durch größere Genauigkeit jeweils anderer Umstände ersetzt oder verdrängt werden. Entscheidend ist, dass der historische Geschehensablauf, der Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung sein soll, feststeht. Bei der Schilderung eines nach seinem Ablauf unverwechselbaren Ereignisses kann die Tatzeit als Eingrenzungskriterium an Bedeutung verlieren. Wenn bei einer Tatserie das Geschehen der jeweiligen Einzeltat nicht mehr durch Beschreibung der Umstände seines Ablaufs näher konkretisiert werden kann, gewinnt die Bezeichnung der Tatzeit der Einzelhandlung oder des Zeitraums der Tatserie entscheidende Bedeutung für die Umgrenzung des Verfahrensgegenstandes. Soweit bei Serientaten eine konkrete Bezeichnung oder nähere Beschreibung der Einzeltaten in der Anklage wegen deren Gleichförmigkeit nicht erfolgen kann, muss deshalb der Verfahrensstoff zumindest durch Festlegung des Tatzeitraums hinreichend umgrenzt werden. Regelmäßig ist in solchen Fällen erforderlich, in der Anklage den bestimmten Tatzeitraum, das Tatopfer, die Grundzüge der Art und Weise der Tatbegehung, die Tatfrequenz und die (Höchst)Zahl der vorgeworfenen Straftaten, die Gegenstand des Verfahrens sein sollen, anzugeben. Dies gilt insbesondere in Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern, in denen bei einer Serie von Taten einzelne Handlungen überhaupt nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr genau voneinander unterschieden werden können7.
Dementsprechend konkret ist auch der Einstellungsbeschluss zu fassen, durch den der Verfahrensstoff begrenzt wird. Dabei können auszuscheidende Taten sowohl „positiv“ beschrieben werden, indem die einzustellenden Taten konkret bezeichnet werden, als auch „negativ“, indem genau angegeben wird, welche der angeklagten Taten weiterhin Verfahrensgegenstand sind. Wie der Tatrichter den Beschluss formuliert, ist ohne Bedeutung, solange der ausgeschiedene Verfahrensstoff und der verbleibende Verfahrensstoff eindeutig erkennbar sind. Sollte dem BGH-Beschluss vom 03.12 20138 eine andere Rechtsauffassung zu entnehmen sein, hält der Bundesgerichtshof daran nicht fest. Soweit in Entscheidungen anderer Senate des Bundesgerichtshofs gefordert wird, dass ausgeschiedene Tatteile oder Strafbestimmungen konkret („positiv“) zu bezeichnen sind, betrifft dies Verfahrensbeschränkungen der Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung9. Die Bestimmung von auszuscheidenden Taten bzw. Tatteilen erfolgt zu diesem Zeitpunkt in einem anderen prozessualen Kontext. Bei einer Einstellung durch das Gericht sind nämlich auch im Falle der negativ formulierten Beschränkung auf die verfahrensgegenständlich verbleibenden Taten die ausgeschiedenen Taten durch die Anklage festgelegt.
Bei einer Serie vollständig gleichförmiger, nicht näher konkretisierbarer Taten kann der Einstellungsbeschluss beispielsweise den Tatzeitraum angeben und die Anzahl der Taten in zu bezeichnenden Zeitabschnitten (Tatfrequenz), die aus dem Verfahren ausgeschieden werden. Auch kann die Anzahl der – gegebenenfalls nach tatrichterlicher Schätzung – festgestellten Taten anhand von Tatzeitraum und Tatfrequenz konkretisiert werden, der Gesamtzahl der angeklagten Taten gegenübergestellt und eine Differenz ermittelt werden, die dann in der Einstellungsentscheidung zum Ausdruck kommt10.
Der Einstellungsbeschluss soll aus sich selbst heraus verständlich sein. Ist der Beschluss mehrdeutig und bestehen deshalb nach dem Wortlaut Unklarheiten, welche Vorwürfe der Anklageschrift aus dem Verfahren ausgeschieden werden, kann er nach allgemeinen Grundsätzen ausgelegt werden. Dabei können bei der Prüfung, ob der Einstellungsbeschluss die gebotene Umgrenzung des verbleibenden Verfahrensstoffs leistet, auch die zugelassene Anklage, der Einstellungsantrag der Staatsanwaltschaft11, auf die Einstellungsentscheidung bezogene Hinweise und Anregungen des Gerichts, Hinweise des Gerichts nach § 265 StPO sowie im Rahmen einer auf die Erledigung des gesamten Verfahrens bezogenen Betrachtung jedenfalls dann, wenn der Einstellungsbeschluss zeitnah zur Urteilsverkündung gefasst wurde, auch die Schlussanträge der Verfahrensbeteiligten und das Urteil12 berücksichtigt werden.
Liegt einem Einstellungsbeschluss nach § 154 Abs. 2 StPO die unzutreffende Annahme mehrerer selbständiger prozessualer Taten zugrunde, kann etwa bei einem sich aus den Gesamtumständen ergebenden offensichtlichen Irrtum/Versehen des Gerichts eine Umdeutung einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO in eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO in Betracht kommen13.
Nur wenn der Einstellungsbeschluss die vorstehend dargestellten Anforderungen erfüllt, entfaltet er eine den Verfahrensstoff beschränkende Wirkung.
Ergibt sich hingegen auch unter Würdigung der vorstehend genannten Umstände keine Klarheit über die ausgeschiedenen Verfahrensteile, ist die Verfahrensbeschränkung nach § 154 Abs. 2 StPO wirkungslos und steht einer Aburteilung nicht entgegen14. Ist eine Verfahrensbeschränkung in der Hauptverhandlung aufgrund ihrer Unbestimmtheit wirkungslos geblieben, hat das Revisionsgericht als Verfahrensvoraussetzung (nur) zu prüfen, ob die ausgeurteilten Taten von der Anklage erfasst sind. Der Einstellungsbeschluss selbst begründet in diesem Fall kein Verfahrenshindernis15.
Soweit den BGH-Entscheidungen vom 29.07.200816 und vom 03.12 20138 eine andere Rechtsauffassung zu entnehmen ist, hält der Bundesgerichtshof daran nicht fest.
Ist der Einstellungsbeschluss wirksam, hat das Revisionsgericht als Verfahrensvoraussetzung von Amts wegen zu überprüfen, ob den ausgeurteilten Taten eine Einstellung entgegensteht. Lässt sich dies den Urteilsgründen nicht hinreichend sicher entnehmen, kann dies zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung führen17. Sind eingestellte Taten ausgeurteilt worden, stellt das Revisionsgericht das (weitere) Verfahren insoweit ein18.
Soweit ein nach den oben genannten Kriterien wirksamer Einstellungsbeschluss die Informationsfunktion für den Angeklagten nicht erfüllt, muss dieser eventuelle Mängel mit einer Verfahrensrüge geltend machen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. September 2014 – – 4 StR 69/14
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 03.07.2014 – 4 StR 230/14 Rn. 6; vom 04.02.2014 – 2 StR 487/13 Rn. 2; vom 18.04.2007 – 2 StR 144/07, NStZ 2007, 476[↩]
- BGH, Beschluss vom 23.03.1996 – 1 StR 685/95 23[↩]
- st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 28.10.2009 – 1 StR 205/09, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 25; Beschluss vom 19.02.2008 – 1 StR 596/07, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Urteil vom 11.01.1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45; jeweils mwN[↩]
- vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 08.08.1996 – 4 StR 344/96, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 11.01.1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45; Beschluss vom 29.11.1994 – 4 StR 648/94, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 13 jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 28.10.2009; und vom 11.01.1994 aaO, Beschluss vom 19.02.2008 aaO jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 11.01.1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45 ff.; Urteil vom 29.07.1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 154 f.[↩]
- BGH, Beschluss vom 03.12.2013 – 4 StR 461/13[↩][↩]
- BGH, Beschlüsse vom 04.06.2013 – 2 StR 59/13 Rn. 21; vom 07.10.2011 – 1 StR 321/11, NStZ-RR 2012, 50, 51; und vom 16.07.1980 – 3 StR 232/80, NStZ 1981, 23[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 13.08.2014 – 2 StR 128/14[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 29.11.2011 – 1 StR 539/11[↩]
- anders zur Heranziehung der Urteilsfeststellungen noch BGH, Beschluss vom 29.07.2008 – 4 StR 210/08[↩]
- BGH, Beschluss vom 14.02.2006 – 4 StR 6/06; Beschluss vom 23.03.2005 – 2 StR 11/05 5; vgl. auch Urteil vom 01.06.2005 – 2 StR 405/04, NStZ 2006, 455; vgl. aber BGH, Beschluss vom 08.10.2013 – 4 StR 339/13, NStZ 2014, 46 m. Anm. Allgayer[↩]
- BGH, Urteil vom 14.03.2012 – 2 StR 561/11 Rn. 17[↩]
- aA OLG München wistra 2008, 319 f.[↩]
- BGH, Beschluss vom 29.07.2008– 4 StR 210/08[↩]
- BGH, Beschluss vom 09.11.2011 – 4 StR 300/11[↩]
- st. Rspr.; u.a. BGH, Beschluss vom 04.06.2013 – 4 StR 192/13; Beschluss vom 25.01.2012 – 1 StR 45/11 Rn.19 ff., insoweit in BGHSt 57, 95 nicht abgedruckt; Urteil vom 26.10.2006 – 3 StR 290/06, NStZ-RR 2007, 83[↩]