Beweiswürdigung – und ihre Überprüfung in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen1.

Beweiswürdigung – und  ihre Überprüfung in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen

Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind2. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt3.

Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen im Kern „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen4 und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat5. Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären6.

Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter Erörterungsmängeln.

Das Landgericht hat sich nicht näher damit auseinandergesetzt, dass die Geschädigte, in „Absprache“ mit einer sie betreuenden Psychotherapeutin „freiwillig“ in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht wurde und die verfahrensgegenständlichen sexuellen Übergriffe während dieses Aufenthaltes „bekannt“ wurden. Bereits der Inhalt dieser „Absprache“ wird nicht mitgeteilt. Offen bleibt auch, ab wann und welche psychischen Probleme bei der Geschädigten, die von verschiedenen Zeugen beobachtetes selbstverletzendes Verhalten gezeigt hat, auftraten, und wann und warum die gegenüber der Psychotherapeutin geäußerten nicht näher erörterten Suizidgedanken auftraten. Inwieweit die jeweiligen Aussagen der Geschädigten, die zudem von mehreren Zeugen, u.a. auch von der Großmutter der Geschädigten – mit Beispielen belegt – als Mädchen beschrieben wird, das „in der Vergangenheit schon mehrfach die Unwahrheit gesagt habe“, von möglicherweise bestehenden „psychischen Problemen“ bzw. von den dargestellten „Verhaltensauffälligkeiten“ geprägt sein könnten, erschließt sich dem Bundesgerichtshof mangels näherer Erörterung durch das Landgericht nicht.

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Rechtliches Gehör

Der Bundesgerichtshof kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. Juni 2017 – 2 StR 465/16

  1. BGH, Urteil vom 06.04.2016 – 2 StR 408/15 mwN[]
  2. BGH, aaO[]
  3. st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 06.11.1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 22.04.1987 – 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; BGH, Urteil vom 03.02.1993 – 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Beschluss vom 10.01.2017 – 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368 mwN[]
  5. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30.08.2012 – 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; BGH, Beschluss vom 10.01.2017 – 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368 mwN[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 16.05.2002 – 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657[]