Entschädigungsanspruch des Beschuldigten bei Einstellung in der Berufungsinstanz

Wird das Verfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO in der Berufungsinstanz eingestellt, kommt ein Entschädigungsanspruch des Beschuldigten nach § 3 StrEG wegen vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis in der 1. Instanz nur dann in Betracht, wenn sich der § 111a- Beschluss als grob unverhältnismäßig oder rechtsmissbräuchlich darstellt.

Entschädigungsanspruch des Beschuldigten bei Einstellung in der Berufungsinstanz

Erfolgt die Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO erfolgt, richtet sich die Entschädigungspflicht nach § 3 StrEG. Danach kann bei Einstellung des Verfahrens aufgrund einer Ermessensvorschrift Entschädigung gewährt werden, soweit dies nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht.

Mit seiner Zustimmung zur vorläufigen Verfahrenseinstellung verzichtet der Angeklagte auch nicht konkludent auf etwaige Entschädigungsansprüche. Denn ein Verzicht setzt stets eine eindeutige und unmissverständliche Erklärung des Verzichtenden voraus, dass er sich bestimmter Ansprüche endgültig begebe.

Die ganz herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur geht davon aus, dass die Billigkeitsentscheidung nach § 3 StrEG nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist und voraussetzt, dass sich der Fall von anderen auffallend abhebt, wobei eine Entschädigung regelmäßig nur dann als billig angesehen werden kann, wenn der Vollzug der vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahmen sich zum Zeitpunkt der Einstellung in der Rückschau als grob unverhältnismäßig herausstellt1.

Der von Dahs2 vertretenen Gegenmeinung, wonach die Billigkeitsentschädigung die Regel und nicht die Ausnahme sein soll, vermag das Oberlandesgericht Braunschweig nicht zu folgen. Verfassungsrechtliche Bedenken und solche im Hinblick auf die Unschuldsvermutung aus Art. 6 MRK wegen des einschränkenden Charakters des § 3 StrEG auf Gesichtspunkte der Billigkeit bestehen nicht. Allgemeiner Auffassung entspricht hierbei, dass eine Sonderopfergrenze zu bestimmen ist, so dass erst bei Überschreitung dieser eine Entschädigungspflicht aus § 2 StrEG, einschränkend aus § 3 StrEG ausgelöst wird, mithin nicht jeder notwendig werdende Eingriff in Grundrechte eine Entschädigungspflicht auslöst, vielmehr Nachteile im Interesse des Ganzen, besonders der Strafverfolgung, hinzunehmen sind3. Es erscheint daher sachgerecht im Interesse des Staates an wirksamer Strafverfolgung bzw. im öffentlichen Interesse zu weiterer Strafverfolgung, dass nicht jede vorläufige Strafverfolgungsmaßnahme regelmäßig eine Entschädigungspflicht auslöst, auch wenn das Verfahren schließlich nach § 153 StPO eingestellt wird.

Der Vollzug der vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahme muss folglich sich zum Zeitpunkt der Einstellung des Verfahrens in der Rückschau als grob unverhältnismäßig oder rechtsmissbräuchlich herausstellen. Die Stärke des noch vorhandenen Tatverdachts darf wegen der Unschuldsvermutung des Art. 6 EMRK bei der Entscheidung über die Entschädigung nur berücksichtigt werden, wenn verdeutlicht wird, dass es um eine Verdachtslage und nicht um eine Schuldzuweisung geht4.

Unter Beachtung dieser Grundsätze liegen besondere Billigkeitsgründe, die eine Entschädigung angebracht erscheinen lassen, für das Oberlandesgericht Braunschweig im hier entschiedenen Fall nicht vor:

Zunächst war der Angeklagte durch Urteil des Amtsgerichts zu einer Gesamtgeldstrafe sowie zur Entziehung der Fahrerlaubnis verurteilt worden und aufgrund der dort getroffenen Feststellungen der fahrlässigen Körperverletzung sowie des unerlaubten Entfernens vom Unfallort in starkem Maße verdächtig. Das Amtsgericht hatte eine Zeugenaussage als glaubhaft erachtet, wonach der Angeklagte unmittelbar vor dem Verkehrsunfall zweimaligen Blickkontakt mit dem Unfallgegner hatte und hat daraus den zulässigen Schluss gezogen, dass der Angeklagte das am Unfall beteiligte Motorrad frühzeitig wahrgenommen hat. Sachverständig beraten ist das Amtsgericht ebenfalls davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Unfall hätte vermeiden können, wenn er seinen Sattelzug sofort bis zum Stillstand abgebremst und das Lenkrad wieder gerade ausgerichtet hätte. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO war daher – gemessen am damals vorliegenden Verdachtsgrad – keinesfalls grob unverhältnismäßig oder rechtsmissbräuchlich.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus ex-post-Betrachtung unter Berücksichtigung der der Berufungskammer zugrunde liegenden Erkenntnisse. Denn das Verfahren wurde gemäß § 153 Abs. 2 StPO im Hinblick auf das Ergebnis eines in der Berufungsinstanz eingeholten Sachverständigengutachtens zum Unfallhergang und das Mitverschulden des Unfallgegners, insbesondere das Nichtbenutzen der Vorderradbremse, eingestellt. Der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer war auch durch das von der Kammer eingeholte Sachverständigengutachten nicht entfallen, sondern nur abgeschwächt worden. Denn insoweit hat der Sachverständige festgestellt, dass während des Abbiegevorgangs das herannahende Motorrad für den Angeklagten zu erkennen gewesen wäre, wenn er – wie von Zeugen bekundet- in die Richtung des Motorrades geschaut hätte. Dann hätte der Angeklagte seinen Lkw auch noch unmittelbar vor dem Kollisionspunkt zum Stillstand bringen können, so dass der Motorradfahren nach rechts hätte ausweichen können.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis stellt sich auch nicht deshalb als grob unverhältnismäßig oder rechtsmissbräuchlich dar, weil sie erst durch Beschluss in der Hauptverhandlung erfolgte. Zwar hat das Landgericht den § 111 a- Beschluss mit der Begründung wieder aufgehoben, dass zwischen dem Vorfall am 2. Juni 2011 und der vorläufigen Entziehung des Fahrerlaubnis am 31.01.2012 ein langer Zeitraum liege und der Angeklagte aufgrund der im Hauptverhandlungstermin erhobenen Nachtragsanklage wegen des Vorwurfs des unerlaubten Entfernens von Unfallort nicht „vorgewarnt“ gewesen sei. Rechtlich zulässig ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aber bis zur Rechtskraft des Urteils und dem steht auch nicht entgegen, dass der § 111a- Beschluss erst längere Zeit nach der Tatbegehung erlassen wird; dieses ist von der Rechtsprechung grundsätzlich gebilligt worden5. Der Beschluss des Amtsgerichts war deshalb zum damaligen Zeitpunkt weder grob unverhältnismäßig noch rechtsmissbräuchlich.

Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 13. November 2012 – Ws 321/12

  1. vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.06.1991 – 1 Ws 73/91, Rn. 7; Hanseatisches OLG, Beschluss vom 28.06.1993 – 2 Ws 322/93, Rn. 12; KG Berlin, Beschluss vom 07.12.1998 – 1 AR 1341/98- 4 Ws 249/98; Rn. 7; KG Berlin, Beschluss vom 23.01.2002 – 1 AR 1424/96- 4 Ws 12/02; Rn. 2; Meyer-Goßner, 55. Aufl., § 3 StrEG, Rn. 2 m.w.N.; Cornelius in: Graf, StPO 2010, § 3 StrEG, Rn. 2; Dieter Meyer, a.a.O., § 3, Rn. 33, 45[]
  2. Dahs, Handbuch, Rn. 341f.; im Ergebnis so auch Kühl, NJW 1980, 806, 810[]
  3. Dieter Meyer, a.a.O., § 2 Rn. 5 u. 6 m. w. N.[]
  4. Cornelius in: Graf, StPO 2010, § 3 StrEG, Rn. 2, Dieter Meyer, a. a. O., Rn. 38[]
  5. Meyer-Goßner, a. a. O., § 111a, Rn. 3 m. w. N.[]