Rücktritt vom Versuch – und der Rücktrittshorizont

Maßgeblich für die Annahme eines beendeten Versuchs (hier: des Totschlags) ist das Vorstellungsbild (Rücktrittshorizont) des Täters nach der letzten Ausführungshandlung1.

Rücktritt vom Versuch – und der Rücktrittshorizont

Dabei liegt ein beendeter Versuch bereits dann vor, wenn der Täter die naheliegende Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt, selbst wenn er den Erfolg weder will noch billigt. Die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die einen Erfolgseintritt nahelegen, reicht aus2.

Im vorliegenden Fall wurde die diesen Maßstäben genügende Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe nach dem Wurf mit dem Minibackofen und damit der letzten Ausführungshandlung nach seiner Vorstellung alles getan, was nötig gewesen sei, um den Geschädigten zu töten und es für möglich gehalten, dass dieser ohne medizinische Versorgung auf Grund der erlittenen Verletzungen sterben könnte, durch die von der Strafkammer vorgenommene Beweiswürdigung jedoch nicht getragen:

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm obliegt es, sich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden (§ 261 StPO). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre3. Die Schlussfolgerungen des Tatgerichts brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind4. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht insbesondere der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt5. Zudem muss die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einer nachvollziehbaren und tragfähigen Grundlage beruhen6.

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Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung hier nicht in jeder Hinsicht gerecht. Sie bleibt in Teilen lückenhaft. Die Strafkammer unterlegt ihre Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten lediglich mit dem objektiven Befund des rechtsmedizinischen Sachverständigen, wonach der erhebliche Blutverlust des Geschädigten ohne ärztliche Versorgung zu dessen Tod hätte führen können. Warum dieser objektive und nachträglich erhobene Befund einen Rückschluss auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten zulassen soll, bleibt im Urteil offen. Es ist weder festgestellt, dass der Angeklagte den hohen Blutverlust des Geschädigten nach dem Wurf mit der Tischplatte und dem Minibackofen wahrgenommen, noch dass er die diagnostizierten erheblichen Verletzungen erkannt hat. Dass der Angeklagte allein aufgrund seiner erheblichen Tathandlungen bereits davon ausging, der Geschädigte werde an den erlittenen Verletzungen versterben, hat die Strafkammer ebenfalls nicht festgestellt.

Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist ein Schluss auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten nicht zu entnehmen. Nach den knappen Feststellungen zur objektiven Wahrnehmungssituation nach der letzten Ausführungshandlung lag der Geschädigte mit Kopf und Rumpf unter der Tischplatte, so dass nur seine Beine erkennbar waren. Der Kopf des stark blutenden Geschädigten wurde erst sichtbar, nachdem der Zeuge Z. die auf dem Geschä- digten liegende Tischplatte hochgehoben hatte. Die Urteilsfeststellungen bieten keine Anhaltspunkte, dass der erhebliche Blutverlust des Geschädigten bereits sichtbar war, als dieser noch unter der Tischplatte lag. Sonstige Umstände, die den Schluss zuließen, der Angeklagte habe die schweren Verletzungen des Geschädigten bereits unmittelbar nach seiner letzten Ausführungshandlung wahrgenommen, sind den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 2 StR 141/18

  1. BGH, Beschluss vom 14.06.2017 – 2 StR 140/17, NStZ-RR 2017, 303, 304; Urteil vom 29.06.2016 – 2 StR 588/15, NStZ 2016, 664, 665; BGH, Beschluss vom 27.11.2014 – 3 StR 458/14, NStZ 2015, 331[]
  2. BGH, Beschluss vom 14.06.2017 – 2 StR 140/17, aaO; BGH, Urteil vom 25.11.2004 – 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263, 264[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179[]
  4. st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12.02.2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN[]
  5. st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26.10.2016 – 2 StR 275/16 12[]
  6. BGH, Urteil vom 13.07.2016 – 1 StR 94/16 9[]