Ein Übernahmerecht nach § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG und damit ein Andienungsrecht nach § 39c WpÜG besteht nur dann, wenn dem Bieter bei Ablauf der (weiteren) Annahmefrist nach § 16 WpÜG Aktien der Zielgesellschaft in Höhe von mindestens 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals gehören oder die Voraussetzungen des § 39a Abs. 4 Satz 2 WpÜG erfüllt sind.

Nach § 39c Satz 1 WpÜG können Aktionäre einer Zielgesellschaft, die ein Übernahme- oder Pflichtangebot nicht angenommen haben, das Angebot noch innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist annehmen, sofern dem Bieter Aktien in Höhe von mindestens 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals der Zielgesellschaft gehören und er deshalb berechtigt ist, einen Antrag auf Übernahme der übrigen stimmberechtigten Aktien der Zielgesellschaft nach § 39a WpÜG zu stellen. Der Sinn und Zweck dieser Vorschrift besteht darin, dem Aktionär ein Ausscheiden aus der Gesellschaft bei angemessener Entschädigung zu ermöglichen, wenn der Bieter eine Stimmrechtsmehrheit von mindestens 95 % erreicht hat, aber von seinem daraus folgenden Übernahmerecht nach § 39a WpÜG keinen Gebrauch macht1. Das Andienungsrecht richtet sich mithin nach dem Übernahmerecht aus § 39a WpÜG. Nur wenn der Bieter (noch) ein Übernahmerecht hat, kann auch der einzelne Aktionär ein Andienungsrecht haben. Im vorliegenden Fall war die Beklagte auch nach Ablauf der gemäß § 16 Abs. 2 WpÜG verlängerten Annahmefrist nicht berechtigt, nach § 39a WpÜG die Übernahme der verbliebenen LBBHAktien zu verlangen. Denn ihr standen zu diesem Zeitpunkt lediglich 88,01 % der Aktien zu.
Die zu einem Übernahmerecht nach § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG führende mindestens 95 %ige Beteiligung oder die Voraussetzungen des § 39a Abs. 4 Satz 2 WpÜG, nach dem unter bestimmten Voraussetzungen auch der Abschluss lediglich eines Verpflichtungsgeschäfts genügt muss allerdings nicht durch Erwerbe aufgrund des Übernahme- oder Pflichtangebots erreicht werden. Es kommen etwa auch Paketerwerbe oder andersartige Zukäufe in Betracht. Diese Erwerbe müssen aber jedenfalls noch innerhalb der weiteren Annahmefrist stattfinden. Ob sie darüber hinaus sogar innerhalb der (ursprünglichen) Annahmefrist erfolgen müssen, kann im vorliegenden Fall offen bleiben, da schon die weitere Annahmefrist nicht gewahrt ist.
Im Schrifttum ist umstritten, ob die erforderliche Mindestzahl von 95 % der Anteile nur durch Erwerbe während der (weiteren) Annahmefrist erreicht werden kann2. Die Gegenmeinung lässt auch Erwerbe im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Ablauf der Frist genügen, wobei teilweise vier Wochen3, teilweise sechs Wochen4 als unschädlich angesehen werden5. Schließlich wird angenommen, das Übernahmerecht bestehe auch dann, wenn die 95 %Schwelle innerhalb der dreimonatigen Antragsfrist nach Ablauf der Annahmefrist (§ 39a Abs. 4 Satz 1 WpÜG) erreicht sei6.
Zutreffend ist die Ansicht, nach der Erwerbe allenfalls bis zum Ablauf der erweiterten Annahmefrist zu berücksichtigen sind.
Der Wortlaut des § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG ist für die Streitfrage unergiebig. Danach sind dem Bieter, dem mindestens 95 % der stimmberechtigten Aktien der Zielgesellschaft gehören, „nach einem Übernahme- oder Pflichtangebot“ die übrigen stimmberechtigten Aktien zu übertragen. Das lässt offen, ob nur Erwerbsvorgänge innerhalb der durch das Übernahme- oder Pflichtangebot ausgelösten (weiteren) Annahmefrist oder auch solche zu einem sogar beliebigen späteren Zeitpunkt berücksichtigt werden müssen.
Unter systematischen Gesichtspunkten erscheint es zumindest naheliegend, Erwerbsvorgänge nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist nicht zu berücksichtigen. Denn das stände im Widerspruch zum Andienungsrecht nach § 39c WpÜG.
Die Frist für die Ausübung des Andienungsrechts läuft vom Ende der Annahmefrist an und nicht wie es bei anderer Auslegung nahe gelegen hätte von dem Erreichen der für das Übernahmeverlangen erforderlichen Beteiligungshöhe. Die Fristverlängerung in § 39c Satz 2 WpÜG betrifft nur den Fall, dass der Bieter seine Pflicht nicht erfüllt, gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Satz 2 WpÜG das Erreichen der 95 %igen Beteiligungshöhe unverzüglich zu veröffentlichen und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu melden. Den Minderheitsaktionären wird im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz durchweg die Möglichkeit eingeräumt, von ihren Rechten nach sorgfältiger Überlegung Gebrauch zu machen. Das wäre nicht gewährleistet, wenn ein Aktienerwerb nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist das Andienungsrecht begründen könnte. Denn dann hätte der Aktionär keine Überlegungsfrist von drei Monaten, wie sie ihm durch § 39c WpÜG an sich eingeräumt wird. Die Überlegungsfrist würde sogar ganz entfallen, wenn der Bieter die für das Übernahmeverlangen erforderliche Beteiligungshöhe erst am Ende der Antragsfrist des § 39a Abs. 4 Satz 1 WpÜG erreicht.
Auch der Sinn und Zweck des § 39a WpÜG spricht gegen die Einbeziehung von Erwerben innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist. Mit § 39a WpÜG soll dem Bieter eine einfache Möglichkeit gegeben werden, nach einem insoweit erfolgreichen Übernahme- oder Pflichtangebot die verbliebenen Minderheitsaktionäre aus der Gesellschaft ausschließen zu lassen und dabei in den Genuss der Angemessenheitsvermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG für die Entschädigung der Aktionäre zu kommen7. Danach ist die im Rahmen des Übernahme- oder Pflichtangebots gewährte Gegenleistung als angemessene Abfindung anzusehen, wenn der Bieter aufgrund des Angebots Aktien in Höhe von mindestens 90 % des vom Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat.
Hat der Bieter bei Ablauf der Fristen des § 16 WpÜG die erforderliche Mehrheit von 95 % der Aktien nicht erlangt, war das Übernahme- oder Pflichtangebot in Bezug auf die Möglichkeit, Minderheitsaktionäre in dem vereinfachten Verfahren des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes ausschließen zu lassen, nicht erfolgreich. Es besteht deshalb kein Anlass, dem Bieter nun noch die Möglichkeit zu geben, das Übernahmerecht zu verlängern, indem er Aktien nachkauft. Mit zunehmendem Zeitablauf verliert zudem die Angemessenheitsvermutung an Überzeugungskraft. Will der Bieter nach einem verspäteten Erwerb von Aktien die Minderheitsaktionäre ausschließen, bleibt ihm die Möglichkeit, das nach §§ 327a ff. AktG zu tun.
Aus dem Sinn und Zweck des Andienungsrechts nach § 39c WpÜG ergibt sich nichts gegen diese Auslegung. Durch die Bezugnahme auf § 39a WpÜG ist das Andienungsrecht an das Übernahmerecht gekoppelt. Es geht also nicht weiter als das Übernahmerecht. Dass Aktionäre danach gegen einen nachträglichen Aufbau einer 95 %igen Mehrheit nicht mehr den Schutz des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes genießen, ist hinzunehmen. Auch außerhalb von öffentlichen Angeboten kommt es vor, dass sich Aktionäre einer im Laufe der Zeit entstandenen 95 %igen Mehrheitsbeteiligung gegenüber sehen, ohne dass sie deshalb ein Andienungsrecht hätten. Ihre Interessen werden durch die konzernrechtlichen Regeln der §§ 291 ff., 311 ff., 319 ff. AktG hinreichend geschützt.
Dieser Auslegung stehen auch die Gesetzesmaterialien nicht entgegen. In der Begründung des Regierungsentwurfs eines Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz8 heißt es:
Unerheblich ist, auf welche Weise der Bieter die erforderlichen Mehrheiten erreicht. Sie müssen nicht auf der Annahme des Angebots beruhen. So kann der Bieter die für den Ausschluss erforderlichen Schwellenwerte auch durch Transaktionen mit einzelnen Aktionären, z.B. durch Paketerwerbe, außerhalb des formellen Angebotsverfahrens erreicht haben, sofern die Transaktionen in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot stehen.
Hätte der Gesetzgeber mit dem engen zeitlichen Zusammenhang die DreiMonatsFrist des § 39a Abs. 4 Satz 1 WpÜG gemeint, hätte es nahe gelegen, das auch so auszudrücken und nicht einen unbestimmten Begriff zu gebrauchen. Dieser Begriff deutet eher darauf hin, dass nur ein kürzerer als der DreiMonatsZeitraum gemeint ist. Dann aber spricht nichts gegen ein Abstellen allein auf die (weitere) Annahmefrist. Denn dadurch wird die Rechtsunsicherheit vermieden, die entstehen würde, wenn der „enge zeitliche Zusammenhang“ auch dann noch angenommen würde, wenn die (weitere) Annahmefrist schon abgelaufen ist.
Auch die Übernahmerichtlinie, deren Umsetzung §§ 39a, 39c WpÜG dienen, spricht nicht gegen die Annahme, für das Übernahmerecht aus § 39a WpÜG komme es nur auf Erwerbsvorgänge innerhalb der (weiteren) Annahmefrist an. In Erwägungsgrund 24 der Richtlinie heißt es:
Die Mitgliedstaaten sollten die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um einem Bieter, der im Zuge eines Übernahmeangebots einen bestimmten Prozentsatz des stimmberechtigten Kapitals einer Gesellschaft erworben hat, die Möglichkeit zu geben, die Inhaber der übrigen Wertpapiere zum Verkauf ihrer Wertpapiere zu verpflichten. … Diese Ausschluss- … verfahren sollten nur unter bestimmten Bedingungen im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten gelten. …
In Art. 15 der Übernahmerichtlinie heißt es:
(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Bieter von allen verbleibenden Wertpapierinhabern verlangen kann, dass sie ihm ihre Wertpapiere zu einem angemessenen Preis verkaufen. …
(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Vorschriften in Kraft sind, nach denen sich berechnen lässt, wann der Schwellenwert erreicht ist.
Daraus lässt sich lediglich entnehmen, dass ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot bestehen muss und aus den Vorschriften möglichst klar hervorgehen muss, wann die Voraussetzungen für eine Übernahme der restlichen Aktien erfüllt sind. Im Übrigen kann dieser Zeitpunkt nach nationalem Recht ohne Vorgabe durch die Richtlinie bestimmt werden. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV ist somit nicht geboten.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. Dezember 2012 – II ZR 198/11
- Hasselbach in Kölner Komm-WpÜG, 2. Aufl., § 39c Rn. 4 ff.[↩]
- so Süßmann in Geibel/Süßmann, Wertpapiererwerbs- und übernahmegesetz, 2. Aufl., § 39a Rn. 2, 8; Stöwe, Der übernahmerechtliche Squeezeout, 2007, S. 106; s. auch Meyer, WM 2006, 1135, 1142; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 318[↩]
- so Deilmann, NZG 2007, 721, 722[↩]
- so Kießling, Der übernahmerechtliche Squeeze-out gemäß §§ 39a, 39b WpÜG, 2008, S. 52[↩]
- ohne feste Grenze Johannsen-Roth/Illert, ZIP 2006, 2157, 2159; Santelmann in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl., § 39a Rn. 15; Heidel/Lochner in Heidel, Aktiengesetz und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., 2011, WpÜG § 39a Rn.19[↩]
- OLG Frankfurt am Main, ZIP 2012, 1602, 1605, Rechtsbeschwerde anhängig unter II ZB 14/12; Paefgen, WM 2007, 765, 766; Ott, WM 2008, 384, 387; Nagel, AG 2009, 395 ff.; Müller, EWiR 2009, 523, 524; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, KapitalmarktrechtsKommentar, 4. Aufl., WpÜG § 39a Rn. 9; Hasselbach in Kölner KommWpÜG, 2. Aufl., § 39a Rn. 45; Schüppen/Tretter in Haarmann/Schüppen, Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl., § 39a Rn. 17; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, WpÜG, Stand 10/10, § 39a Rn. 18, Holzborn/Müller in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., Anh. § 327a/§§ 39a39c WpÜG Rn. 7; für Erwerbe bis zur gerichtlichen Entscheidung wohl MünchKomm-AktG/Grunewald, 3. Aufl., WpÜG § 39a Rn.20, 22[↩]
- Hasselbach in Kölner KommWpÜG, 2. Aufl., § 39a Rn. 8[↩]
- Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 21.04.2004 betreffend Übernahmeangebote vom 17.03.2006, BT-Drucks. 16/1003, S. 21[↩]
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