Standzeiten des Frachtführers

Die Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass „Standzeiten (des Frachtführers) nicht extra vergütet werden“, unterliegt der richterlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB. Die von § 412 Abs. 3 HGB abweichende Klausel benachteiligt einen Frachtführer im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen.

Standzeiten des Frachtführers

Dem Frachtführer steht ein Standgeld aus § 412 Abs. 3 HGB zu. Dieser Anspruch ist nach einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs nicht durch eine Klausel im Auftragsschreiben des Auftraggebers, dass Standzeiten nicht extra vergütet werden, ausgeschlossen, da diese Regelung gemäß der auch im kaufmännischen Verkehr geltenden Vorschrift des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist.

Bei der in Rede stehenden Standgeldklausel handelt es sich nicht um eine kontrollfreie Preisvereinbarung.

Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die weder von Rechtsvorschriften abweichen noch diese ergänzen, einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2, §§ 308, 309 BGB entzogen. Da die Vertragsparteien nach dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie Leistung und Gegenleistung grundsätzlich frei bestimmen können, sind Klauseln kontrollfrei, die Art und Umfang der vertragli-chen Hauptleistungspflicht und die dafür zu zahlende Vergütung unmittelbar bestimmen1. Neben den Bestimmungen über den Preis der vertraglichen Hauptleistung sind auch solche Klauseln nicht kontrollfähig, die das Entgelt für eine zusätzlich angebotene Sonderleistung festlegen, wenn hierfür keine rechtlichen Regelungen bestehen2. Kontrollfähig sind dagegen (Preis-)Nebenabreden, d.h. Abreden, die zwar mittelbare Auswirkungen auf Preis und Leistung haben, an deren Stelle aber, wenn eine wirksame vertragliche Regelung fehlt, dispositives Gesetzesrecht treten kann3.

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Nach diesen Grundsätzen unterliegt die Standgeldklausel in dem vom Auftraggeber formularmäßig verwendeten Auftragsschreiben der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB. Die Klausel weicht von der Vorschrift des § 412 Abs. 3 HGB ab, nach der dem Frachtführer bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen ein Anspruch auf Standgeld zusteht. Der Verwender verfolgt mit der Klausel das Ziel, das von Gesetzes wegen ihm zugewiesene Verzögerungsrisiko uneingeschränkt auf den Frachtführer abzuwälzen. Damit hat die Klausel zwar Auswirkungen auf das dem Frachtführer von seinem Auftraggeber geschuldete Entgelt. Ist die vom Verwender einseitig vorformulierte Regelung jedoch unwirksam, so tritt an deren Stelle die dispositive Bestimmung des § 412 Abs. 3 HGB. Es liegt mithin ein rechtlicher Maßstab im Sinne von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB vor, an dem die in Rede stehende Klausel gemessen werden kann (vgl. BGHZ 137, 27, 30).

Damit benachteiligt, so der Bundesgerichtshof, die streitgegenständliche Klausel den Frachtführer im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen.

Die Vorschrift des § 412 Abs. 3 HGB stellt klar, dass das Warten des Frachtführers über die gewöhnliche oder vertraglich vereinbarte Ladezeit hinaus eine im Zusammenhang mit der Vertragserfüllung stehende Leistung darstellt, für die er grundsätzlich eine Vergütung verlangen kann. Nach der gesetzlichen Regelung entfällt dieser Vergütungsanspruch nur dann, wenn die zusätzliche Wartezeit auf Umständen beruht, die dem Risikobereich des Frachtführers zu-zurechnen sind. Der einschränkungslose Ausschluss dieses Anspruchs in Allgemeinen Geschäftsbedingungen steht daher im Widerspruch zu dem wesentli-chen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung. Nach dem Inhalt der Klausel soll eine vom Gesetzgeber im Grundsatz für vergütungspflichtig erachtete Leistung vollständig vergütungsfrei gestellt werden.

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Der Bundesgerichtshof lehnt in seinem aktuellen Urteil auch die Auffassung ab, dass die Klausel einem Frachtführer zumutbar sei, weil er den Vertrag gemäß § 417 Abs. 2 HGB kündigen und die Ansprüche aus § 415 Abs. 2 HGB geltend machen könne, wenn ihm das Gut nicht innerhalb der Ladezeit zur Verfügung gestellt werde. Denn dabei werde, so der BGH, nicht hinreichend in Rechnung gestellt, dass der Frachtführer auf diesem Weg nur einen Teil der vereinbarten Vergütung realisieren kann. Er hat jedoch grundsätzlich einen Anspruch auf die volle Vergütung, da er uneingeschränkt leistungsbereit ist und dies auch gegenüber seinem Vertragspartner durch Bereitstellung des Transportfahrzeugs zum Ausdruck bringt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass in § 415 Abs. 2 Nr. 1 HGB bestimmt ist, dass der Frachtführer im Falle einer Kündigung neben der vereinbarten Fracht auch bereits angefallenes Standgeld beanspruchen kann. Dieser Anspruch entfiele, wenn man dieser Lösung folgte. Dies stellt ebenfalls eine unangemessene Benachteiligung des Frachtführers dar.

Die streitgegenständliche Klausel führt schließlich auch zu einer unangemessenen Haftungsbeschränkung zugunsten des Vertragspartners des Frachtführers. Die Entstehung des Anspruchs auf Standgeld setzt kein „Vertretenmüssen“ des Absenders bzw. Empfängers voraus. Die Vorschrift des § 412 Abs. 3 HGB greift vielmehr den Sphärengedanken auf, der auch anderen Regelungen (siehe etwa § 415 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 3, § 416 Satz 3, § 417 Abs. 4, § 419 Abs. 1 Satz 3 und § 420 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 HGB) zugrunde liegt4. Danach handelt es sich bei § 412 Abs. 3 HGB um eine gegenüber der normalen Verschuldenshaftung verschärfte Einstandspflicht des Absenders bzw. Empfängers. Die streitgegenständliche Klausel schließt demgegenüber die Pflicht zur Zahlung von Standgeld selbst dann aus, wenn die Verzögerung durch den Absender oder Empfänger grob fahrlässig oder gar vorsätzlich herbeigeführt wird. Sie kommt damit in ihrer Wirkung einem Haftungsausschluss ohne Berücksichtigung des Verschuldensmaßes gleich. Auch damit steht die Klausel in einem nicht gerechtfertigten Widerspruch zu den Wertungen des Gesetzes.

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Dem Anspruch des Frachtführers aus § 412 Abs. 3 HGB steht nicht entgegen, dass er nicht dargetan hat, dass ihm durch die Wartezeit ein Schaden entstanden ist. Bei dem Anspruch auf Standgeld handelt es sich gerade nicht um eine Schadensersatzleistung, sondern um eine Vergütung für die nach Ablauf der Lade- bzw. Entladezeit erbrachten Leistungen, insbesondere die verlängerte Bereitstellung des Transportmittels5.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Mai 2010 – I ZR 37/09

  1. BGHZ 143, 128, 138 f.; BGH, Urteil vom 18.04.2002 – III ZR 199/01, NJW 2002, 2386, m.w.N.[]
  2. BGHZ 137, 27, 30; BGH NJW 2002, 2386[]
  3. BGHZ 124, 254, 256; 137, 27, 29; 143, 128, 139[]
  4. vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs des Transportrechtsreform-gesetzes, BT-Drs. 13/8445, S. 41; MünchKomm.HGB/Czerwenka, 2. Aufl., § 412 Rdn. 38; Koller, Transportrecht, 6. Aufl., § 412 HGB Rdn. 53[]
  5. siehe BT-Drs. 13/8445, S. 41[]

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