Mängelrüge – und ihre verkürzte Erfassung durch das Gericht

Mit einer Gehörsverletzung bei fehlender Berücksichtigung des Vortrags zum Verständnis des Verkäufers vom Inhalt einer Mängelrüge im Sinne des § 377 HGB1 hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Mängelrüge – und ihre verkürzte Erfassung durch das Gericht

Dem zugrunde lag ein Fall aus Berlin: Die klagende Käuferin bezog von der beklagten Zwischenhändlerin Rohware für die Herstellung von Fertiglebensmitteln. Die Zwischenhändlerin lieferte aufgrund der ihr am 11.07.und 23.08.2017 erteilten Aufträge am 2. und 21.08.sowie am 20.09.2017 insgesamt rund 15 t tiefgekühlte, in Scheiben geschnittene Jalapeños (Paprikaschoten) an die Käuferin. Während der Weiterverarbeitung zu Chili-Cheese-Nuggets fiel bei der Käuferin kurz vor Abschluss der Produktion am 13.10.2017 ein scharfkantiges Kunststoffteil zwischen einigen Jalapeños-Scheiben auf. Noch am 13.10.2017 teilte sie der Zwischenhändlerin in einem Telefonat mit, dass „in der gelieferten Ware Fremdkörper enthalten“ seien und die Ware deshalb nicht verkehrsfähig sei. Noch am selben Tag übersandte sie der Zwischenhändlerin Fotos per E-Mail. Im Text der Nachricht heißt es unter dem Betreff „Fremdkörper“: „anbei die Fotos zur Fremdkörper-Reklamation. Bitte geben Sie mir dazu ein kurzes Feedback“. Die beigefügten Fotos zeigen ein schwarzes Plastikteil zwischen tiefgefrorenen Jalapeños-Scheiben, einen Paketaufkleber für einen 10 kg-Karton mit den Angaben „GE805“, Produktionsdatum 8.11.2016, Mindesthaltbarkeitsdatum 8.11.2018 und einer „Lot Nr. M2261108“ sowie einen Schein über die Tiefkühleinlagerung von 7.280 kg mit Einlagerdatum 20.09.2017, Mindesthaltbarkeitsdatum 8.11.2018 und Chargennummer 2017090201701655. Die Käuferin sperrte die bereits produzierten und noch bei ihr befindlichen Teilmengen für den Verkauf und rief die schon ausgelieferten Nuggets zurück. Eine von ihr veranlasste Untersuchung der restlichen Rohware bei einem Drittunternehmen ergab das Vorhandensein weiterer Fremdkörper. Mit E-Mail vom 16.10.2017 bestätigte die Zwischenhändlerin den Eingang der Reklamation und kündigte eine Reaktion an. Bei einer kurz danach stattfindenden Krisensitzung besprachen die Parteien den Sachverhalt und die Möglichkeit der kurzfristigen Bereitstellung anderer Jalapeños-Rohware. Am 26.10.2017 teilte die Zwischenhändlerin unter Bezugnahme auf die „Reklamation der von uns gelieferten GE805 – Jalapeños grün in Scheiben“ in einer E-Mail an die Käuferin mit, dass sie nach Rücksprache mit ihrem Lieferanten einen Fremdkörperbefund nicht ausschließen könne.

Mit der Klage hat die Käuferin zuletzt Ersatz des Warenwerts der bereits produzierten Nuggets und der Kosten für die sachverständige Untersuchung des Kunststoffteils sowie für die Einlagerung und Vernichtung der produzierten Ware verlangt. Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Berlin hat der Klage stattgegeben2. Auf die Berufung der Zwischenhändlerin hat das Kammergericht die Klage abgewiesen3. Die Revision hat das Kammergericht nicht zugelassen. Der Käuferin stehe, so das Kammergericht, der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus dem Kaufvertrag bereits deshalb nicht zu, weil er gemäß § 377 Abs. 1, 3 HGB ausgeschlossen sei. Selbst wenn unterstellt werde, dass die Rügefrist erst mit der Entdeckung des Fremdkörpers am 13.10.2017 begonnen habe und unter Berücksichtigung des anschließenden Wochenendes bis zum 17.10.2017 gelaufen wäre, fehle es an einer hinreichend bestimmten Mängelrüge der Käuferin. Hierfür müssten Art und Umfang des Mangels wenigstens in allgemeiner Form so genau dargelegt werden, dass der Verkäufer das Vorhandensein des behaupteten Mangels prüfen, Beweise sichern und gegebenenfalls Abhilfe schaffen könne. Die Mitteilung vom 13.10.2017 genüge diesen Anforderungen auch unter Berücksichtigung der übermittelten Fotos nicht. Es sei denkbar, dass sich die Beanstandung auf lediglich einen einzelnen – den abgebildeten – Karton, auf alle Kartons mit der „Lot Nr. M2261108“, auf die gesamte am 20.09.2017 erfolgte Lieferung, auf sämtliche Ware mit der (vorangestellten) Nummer „K5409“ aus allen drei Lieferungen oder aber auf die gesamte Ware aus allen drei Lieferungen beziehe. Welche Mangelbehauptung die Käuferin nun konkret erhoben habe, habe ein Empfänger in der Person der Zwischenhändlerin anhand der Mängelanzeige nicht feststellen können. Das sei hier auch bedeutsam, weil die Zwischenhändlerin bei der Inanspruchnahme ihrer Lieferantin und der Nachforschung bei dieser davon abhängig sei, in welchem Umfang ihr gegenüber Mängel angezeigt würden. Unter anderem die Untersuchung und Nachforschung durch den Verkäufer sei der Grund für das Bestimmtheitserfordernis.

Die hiergegen gerichtete zulässige Nichtzulassungsbeschwerde der Käuferin hat in der Sache Erfolg (§ 544 Abs. 9 ZPO), weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Kammergericht hat den Anspruch der Käuferin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Denn es hat deren Vorbringen in einem zentralen Punkt – der Frage einer ordnungsgemäßen Mangelanzeige gemäß § 377 Abs. 1, 3 HGB – gehörswidrig übergangen.

. Das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen4. Als grundrechtsgleiches Recht soll es sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben5

In den Entscheidungsgründen müssen die wesentlichen Tatsachen- und Rechtsausführungen verarbeitet werden. Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu würdigen und in den Entscheidungsgründen hierzu Stellung zu nehmen. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde6

Gemessen hieran ist dem Kammergericht, wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht rügt, eine Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten. 

Nach dem Rechtsstandpunkt des Kammergerichts war es für das Vorliegen einer hinreichend bestimmten Mängelrüge im Oktober 2017 entscheidend, ob die Zwischenhändlerin als Verkäuferin aufgrund der ihr seitens der Käuferin bis zum 17.10.2017 überlassenen Informationen das Vorhandensein des behaupteten Mangels der gelieferten Rohware prüfen, diesbezügliche eigene Nachforschungen anstellen und ihre eigene Lieferantin in Anspruch nehmen konnte. Das Kammergericht hat dementsprechend bei seiner Würdigung maßgeblich auf die Verständnismöglichkeit der Zwischenhändlerin als Empfängerin der Rüge abgestellt.

In diesem Zusammenhang kam dem – vom Kammergericht (sogar) als unstreitig gewerteten – Vortrag der Käuferin entscheidende Bedeutung zu, wonach die Zwischenhändlerin mit der als Anlage eingereichten E-Mail vom 26.10.2017 über die aufgrund der Beanstandung von ihr zwischenzeitlich ergriffenen Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung des beanstandeten Fremdkörperbefunds berichtet hat. Darin teilt die Zwischenhändlerin mit, dass sie aufgrund der Reklamation zu den gelieferten „GE805 – Jalapeños“ ihren Lieferanten kontaktiert und von diesem eine – erste, aus ihrer Sicht nicht ausreichende – Stellungnahme zur angezeigten Verunreinigung erhalten habe. Sie habe dem Produzenten deshalb für eine substantiellere Stellungnahme Proben des Fremdkörpers zur Analyse überlassen und sich im Falle einer wiederum nicht zufriedenstellenden Antwort die Beauftragung eigener Untersuchungen vorbehalten. Ferner werde sie ihren gesamten Lagerbestand bei demselben Unternehmen wie die Käuferin scannen lassen und bitte zudem um Mitteilung des der Käuferin vorliegenden Befundes. Schließlich hat die Zwischenhändlerin erklärt, dass sie einen Eintrag weiterer Fremdkörper in den Lieferungen (Folgechargen) nicht ausschließen könne. 

Auf dieses zentrale Vorbringen zum (tatsächlichen) Verständnis der Zwischenhändlerin hinsichtlich der ihr übermittelten Informationen7 sowie zu den von ihr auf dieser Grundlage veranlassten Untersuchungen, Nachforschungen und möglichen Abhilfen ist das Kammergericht nicht eingegangen. Vielmehr hat es seine Würdigung, wonach für den Empfänger einer solchen Mängelrüge nicht erkennbar sei, was der Käufer konkret beanstande, allein auf allgemeine Erwägungen zu einem möglichen Aussagegehalt der den Lichtbildern entnehmbaren Informationen gestützt, ohne sich hierbei (erkennbar) mit dem seitens der Käuferin konkret gehaltenen Vortrag zum tatsächlichen Verständnishorizont der Zwischenhändlerin auseinanderzusetzen. Soweit es dabei darauf verwiesen hat, dass die Zwischenhändlerin bei der Inanspruchnahme ihres Lieferanten und bei der eigenen Nachforschung vom Umfang der Mängelanzeige abhängig sei und – im allgemeinen – die Möglichkeit zur Untersuchung und Nachforschung durch den Verkäufer der Grund für das rechtliche Bestimmtheitserfordernis sei, lassen diese vorrangig abstrakt gehaltenen Aussagen darauf schließen, dass das Kammergericht das Klägervorbringen zu den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls gehörswidrig übergangen hat. Setzt sich ein Gericht mit einem Parteivortrag nicht inhaltlich auseinander, sondern mit Leerformeln über diesen hinweg, ist das im Hinblick auf die Anforderungen aus dem Verfahrensgrundrecht nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht anders zu behandeln als ein kommentarloses Übergehen des Vortrags8.

Die dem Kammergericht unterlaufene Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich (§ 544 Abs. 9 ZPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Kammergericht, hätte es das Vorbringen der Käuferin in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen, zur Annahme einer hinreichenden Bestimmtheit der Mängelrüge gelangt wäre. 

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. April 2024 – VIII ZR 35/23

  1. im Anschluss an BGH, Urteile vom 18.06.1986 – VIII ZR 195/85, NJW 1986, 3136 unter – II 1; vom 21.10.1987 – VIII ZR 324/8619; vom 14.05.1996 – X ZR 75/94, NJW 1996, 2228 unter – II 2[]
  2. LG Berlin, Urteil vom 25.03.2020 – 105 O 64/18[]
  3. KG, Urteil vom 30.01.2023 – 2 U 1017/20[]
  4. st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, NJW 2022, 3413 Rn. 26; BGH, Beschlüsse vom 30.08.2022 – VIII ZR 429/21, NZM 2022, 831 Rn. 10; vom 05.10.2022 – VIII ZR 88/21, WM 2022, 2242 Rn. 10; jeweils mwN[]
  5. vgl. BGH, Beschlüsse vom 13.12.2022 – VIII ZR 298/21, ZIP 2023, 972 Rn. 17; vom 08.08.2023 – VIII ZR 20/23, NJW 2023, 3496 Rn. 12; vom 06.02.2024 – VI ZR 526/20 10; jeweils mwN[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 06.09.2022 – VIII ZR 352/21 11 mwN; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 14.10.2020 – IV ZB 4/20, NJW-RR 2020, 1389 Rn. 17; vom 01.06.2023 – I ZR 154/22 12; jeweils mwN[]
  7. vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Gesichtspunkts BGH, Urteile vom 18.06.1986 – VIII ZR 195/85, NJW 1986, 3136 unter – II 1; vom 21.10.1987 – VIII ZR 324/8619; vom 14.05.1996 – X ZR 75/94, NJW 1996, 2228 unter – II 2; Achilles in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 377 Rn. 188[]
  8. vgl. BGH, Beschluss vom 05.10.2021 – VIII ZB 68/20 38 mwN[]

Bildnachweis: