Der widerrufene Darlehensantrag – und die Feststellungsklage des Kreditnehmers

Der Feststellungsantrag des Darlehensnehmers, aufgrund des Widerrufs seiner Vertragserklärung nicht mehr zur Zahlung von Zins- und Tilgungsleistungen aus dem Darlehensvertrag verpflichtet zu sein, zielt allein auf die vertraglichen Erfüllungsansprüche aus dem Darlehensvertrag gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Der widerrufene Darlehensantrag – und die Feststellungsklage des Kreditnehmers

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall wurde streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Darlehensnehmers gestritten. Dieser erwarb im November 2019 einen Gebrauchtwagen BMW M550d zum Kaufpreis von 40.980 €. Zur Finanzierung des über die Anzahlung von 3.500 € hinausgehenden Kaufpreises schlossen die Parteien einen Darlehensvertrag über 37.480 €. Das Darlehen sollte in 59 Monatsraten zu je 400, 04 € und einer im November 2024 fälligen Schlussrate von 18.000 € zurückgezahlt werden. Neben einer Information über ein Widerrufsrecht und weitere Pflichtangaben enthält der Darlehensvertrag folgende Angabe über die Verzugsfolgen:

„Für ausbleibende Zahlungen werden die gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr … berechnet. Der Basiszinssatz wird jeweils zum 1.01.und 1.07.eines Jahres ermittelt und von der Deutschen Bundesbank im Bundesanzeiger bekannt gegeben.“

Im Mai 2020 erklärte der Darlehensnehmer den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. Die Bank wies den Widerruf als verfristet zurück. Daraufhin forderte der Darlehensnehmer die Bank zur Rückabwicklung von Darlehens- und Kaufvertrag auf und bot ihr die Übergabe des finanzierten Fahrzeugs an.

Eine zunächst vom Darlehensnehmer gegen die Bank erhobene Schadensersatzklage wegen einer angeblichen Abgasmanipulation hatte keinen Erfolg. Mit der vorliegenden Klage hat der Darlehensnehmer die Feststellung begehrt, dass er (primär: wegen des erklärten Widerrufs) nicht zur Zahlung von Zinsen und zur Erbringung von Tilgungsleistungen gemäß Darlehensvertrag vom 12.11.2019 verpflichtet sei, hilfsweise, dass er hierzu wegen des erklärten Widerrufs vom 18.05.2020 nicht verpflichtet sei, und hilfshilfsweise, dass er nicht zur Zahlung von Zinsen und zur Erbringung von Tilgungsleistungen auf den mit der Bank geschlossenen Darlehensvertrag vom 12.11.2019 verpflichtet sei.

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Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Augsburg hat der Klage mit dem Hauptantrag stattgegeben1. Dagegen hat die Bank Berufung eingelegt, weil sie insbesondere die Ausübung des Widerrufsrechts für rechtsmissbräuchlich hält. Im Laufe des Berufungsverfahrens gab der Darlehensnehmer das Fahrzeug im Juni 2022 an die Bank zurück, wobei zu diesem Zeitpunkt nach einem Gutachten der T. GmbH der Händlereinkaufspreis des Fahrzeugs 23.109, 24 € betragen haben soll, woraus die Bank einen erlittenen Wertverlust von 17.870, 76 € errechnete. Unter hilfsweise erklärter Aufrechnung gegen die vom Darlehensnehmer auf das Darlehen geleisteten Zins- und Tilgungszahlungen von insgesamt 14.573, 56 € hält sie einen Wertersatzanspruch von noch 3.297, 20 € für gegeben, den sie nebst Zinsen gegen den Darlehensnehmer im Wege der Hilfswiderklage geltend macht. Der Darlehensnehmer begehrt hilfsweise im Wege einer Wider-Widerklage die Zahlung von 14.573, 56 € nebst Zinsen.

Auf die Berufung der Bank hat das Oberlandesgericht München die Klage abgewiesen2: Die auf negative Feststellung gerichteten Haupt- und Hilfsanträge des Darlehensnehmers seien im Kern identisch und auch zulässig, indes aber unbegründet. Der Darlehensnehmer habe zwar seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung wirksam widerrufen. Der Widerruf sei nicht verfristet, weil die dem Darlehensnehmer erteilte Pflichtangabe über den Verzugszins fehlerhaft gewesen sei. Die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Darlehensnehmer sei auch nicht nach § 242 BGB rechtsmissbräuchlich. Eine unzulässige Rechtsausübung sei nach umfassender Bewertung der gesamten Fallumstände zu verneinen. Die nach Widerruf gezahlten Darlehensraten habe der Darlehensnehmer nur unter Vorbehalt geleistet. Gegen seine grundsätzliche Verpflichtung zur Zahlung von Wertersatz habe er sich nicht gewendet. Ihm sei nicht zumutbar gewesen, auf die weitere Nutzung des Fahrzeugs zu verzichten. Schließlich habe er das Fahrzeug im Juni 2022 an die Bank übergeben. Gleichwohl sei der Feststellungsantrag unbegründet, weil der Darlehensnehmer der Bank aufgrund des Widerrufs gemäß § 358 Abs. 4 Satz 1, § 357a Abs. 3 Satz 1 BGB aF zur Zahlung der vereinbarten Sollzinsen für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung des Darlehens verpflichtet sei. Dieser Anspruch sei zwischen den Parteien ausweislich der Widerrufsinformation vereinbart gewesen. Eine Rückzahlung des Darlehens sei im Zeitpunkt des Widerrufs nicht erfolgt. Etwas anderes ergebe sich im Hinblick auf § 358 Abs. 4 Satz 4 BGB auch nicht daraus, dass der Darlehensvertrag mit einem Kaufvertrag verbunden sei.

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Dagegen wendet sich der Darlehensnehmer mit der Nichtzulassungsbeschwerde und hatte vor dem Bundesgerichtshof Erfolg. Der Bundesgerichtshof hob das angefochtene Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das Oberlandesgericht München. Die Begründung, mit der das Oberlandesgericht München den Feststellungsantrag des Darlehensnehmers als unbegründet angesehen hat, könne keinen Bestand haben. Insoweit rüge der Darlehensnehmer zu Recht, dass das Oberlandesgericht München seinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt habe.

103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt sowie zur Rechtslage zu äußern sowie Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen3. Die genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt ferner voraus, dass die Verfahrensbeteiligten zu erkennen vermögen, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Den Gerichten obliegt in diesem Zusammenhang die Pflicht, von sich aus den Beteiligten alles für das Verfahren Wesentliche mitzuteilen; es bedarf keines Antrags und es besteht in der Regel keine Erkundigungspflicht des Grundrechtsträgers4. Art. 103 Abs. 1 GG normiert andererseits aber auch keine umfassende Frage, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben muss und nicht schon jeder Verstoß gegen die einfachgesetzlichen Hinweispflichten eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG darstellt. Verfassungsfest ist an den Hinweispflichten der Verfahrensordnungen vielmehr nur ein engerer Kern. Nur sofern gegen ihn verstoßen wird, liegt eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG vor5. Ein solcher Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt bei einer verbotenen Überraschungsentscheidung vor, wenn sich eine Entscheidung ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte6.

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Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.

Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, das Oberlandesgericht München habe gehörswidrig sein Urteil ohne den gebotenen richterlichen Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO auf einen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt, auf den es den Darlehensnehmer nicht zuvor hingewiesen hat und der auch nicht Gegenstand des Vorbingens der Bank gewesen ist. Die negative Feststellungsklage hatte in erster Instanz Erfolg. Dem mit der Berufung von der Bank dagegen vorgebrachten Einwand, die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Darlehensnehmer sei rechtsmissbräuchlich gewesen, ist das Oberlandesgericht München nicht gefolgt. Stattdessen hat es die Feststellungsklage mit einer anderen, von keiner der Parteien zuvor erörterten rechtlichen Erwägung für unbegründet gehalten. Darauf musste es zuvor den in erster Instanz noch obsiegenden Darlehensnehmer gemäß § 139 Abs. 2 ZPO hinweisen und ihm ausreichende Gelegenheit einräumen, dazu Stellung zu nehmen. Ein solcher Hinweis ist in den Akten nicht dokumentiert (§ 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO). Auch aus den gewechselten Schriftsätzen ergibt sich nicht, dass diese Frage Gegenstand der Erörterungen im Verhandlungstermin gewesen ist.

Dieser Verfahrensverstoß kann erheblich sein. Der Darlehensnehmer hatte keine Gelegenheit, zu dem entscheidungserheblichen Gesichtspunkt vorzutragen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht München unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Nichtzulassungsbeschwerde anders entschieden hätte. Ganz im Gegenteil hätte es auf der Grundlage seiner Feststellungen und seiner keinen revisionsrechtlich relevanten Rechtsfehler aufweisenden Würdigung zur Wirksamkeit der Widerrufserklärung des Darlehensnehmers anders entscheiden müssen.

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Der Feststellungsantrag des Darlehensnehmers, den der Bundesgerichtshof als Prozesserklärung selbst auslegen kann, zielt allein auf die vertraglichen Erfüllungsansprüche aus dem Darlehensvertrag gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB7. Die Auslegung des Klageantrags in diesem Sinne ist auch nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig und entspricht der wohlverstandenen Interessenlage. Wäre der Antrag des Darlehensnehmers dagegen dahin zu verstehen, er leugne nicht (nur) Ansprüche der Bank aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB, sondern einen Anspruch der Bank aus dem nach Widerruf entstandenen Rückgewährschuldverhältnis gemäß § 358 Abs. 4 Satz 1, § 357a Abs. 3 Satz 1 BGB in der bis zum 27.05.2022 geltenden Fassung (künftig: aF), fehlte insoweit das erforderliche Feststellungsinteresse. Bei einer negativen Feststellungsklage entsteht das Feststellungsinteresse des Darlehensnehmers regelmäßig aus einer vom Bank (nicht notwendig ausdrücklich) aufgestellten Bestandsbehauptung („Berühmen“) der vom Darlehensnehmer verneinten Rechtslage8. Da die Bank die Wirksamkeit des Widerrufs und damit das Zustandekommen eines Rückgewährschuldverhältnisses bestreitet, berühmt sie sich keines Anspruchs aus § 358 Abs. 4 Satz 1, § 357a Abs. 3 Satz 1 BGB aF.

Der Feststellungsantrag ist auch nicht unzulässig geworden, weil der Darlehensnehmer das Fahrzeug an die Bank übergeben hat. Dabei handelt es sich auf der Grundlage der Feststellungen des Oberlandesgerichts München um einen rein tatsächlichen Vorgang. Dem Vorbringen der Parteien lässt sich nicht entnehmen, dass sie zugleich den Darlehensvertrag beendet hätten oder die Bank den Widerruf als wirksam akzeptiert hätte. Vielmehr berühmt sie sich weiterhin der Erfüllungsansprüche aus dem Darlehensvertrag.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19. September 2023 – XI ZR 58/23

  1. LG Augsburg, Urteil vom 21.02.2022 – 112 O 1895/21[]
  2. OLG München, Urteil vom 08.03.2023 – 27 U 1757/22[]
  3. vgl. BVerfGE 98, 218, 263; BVerfG, NJW 2017, 3218 Rn. 47 mwN[]
  4. vgl. BVerfG, NJW 2017, 3218 Rn. 49 mwN[]
  5. vgl. BVerfG, NJW 2017, 3218 Rn. 50 mwN[]
  6. vgl. BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144 f.; 98, 218, 263; BGH, Beschlüsse vom 13.01.2011 – VII ZR 22/10, NJW-RR 2011, 487 Rn. 6; und vom 24.09.2019 – VI ZR 418/18, NJW-RR 2020, 188 Rn. 8[]
  7. vgl. BGH, Urteile vom 16.05.2017 – XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 13; und vom 19.02.2019 – XI ZR 225/17 12[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 16.05.2017 aaO mwN[]

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