Die Grenzwand – und der Schnee auf dem Nachbargrundstück

Das Abprallen von Schnee an einer baurechtlich genehmigten Grenzwand stellt zwar wie eine von einer Grenzbebauung ausgehende Lichtreflexion eine positive Einwirkung auf das Nachbargrundstück dar, beeinträchtigt es aber regelmäßig nur unwesentlich im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB. Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb angezeigt, weil das Dach des auf dem Nachbargrundstück errichteten Gebäudes nach den maßgeblichen DIN-Normen erst infolge der Grenzbebauung einer statischen Ertüchtigung bedarf.

Die Grenzwand – und der Schnee auf dem Nachbargrundstück

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ist die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, das an der Grenze zum Nachbargrundstück des Beklagten mit einem eingeschossigen Tankstellengebäude bebaut ist. Der Beklagte errichtete 2016/2017 auf seinem Grundstück direkt angrenzend an das Tankstellengebäude und unmittelbar neben dem dort bereits vorhandenen Bestandsgebäude ein mit einem Flachdach versehenes Zweifamilienhaus, welches das Flachdach des Tankstellengebäudes – ebenso wie bereits das Bestandsgebäude – um mehr als 0, 5 m überragt. Die Klägerin macht – soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse – geltend, wegen des unmittelbar angrenzenden mehr als 0, 5 m höheren Neubaus des Beklagten müsse das Dach des Tankstellengebäudes nach nunmehr einschlägigen DIN-Vorschriften mit einem Aufwand von 53.317, 75 € durch den Einbau einer zusätzlich tragenden Ebene in die Decke statisch ertüchtigt werden, um den veränderten Schneelastanforderungen infolge des von dem Neubau abprallenden Schnees zu entsprechen. Sie begehrt von dem Beklagten Ersatz dieser Kosten nebst Zinsen sowie die Feststellung seiner Ersatzpflicht für die entstandenen und noch entstehenden Kosten einer statischen Dachertüchtigung.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Köln hat die Klage abgewiesen1. Das Oberlandesgericht Köln hat die Berufung der Klägerin durch Beschluss zurückgewiesen2. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Köln kommt prinzipiell ein Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB sowie gemäß § 823 Abs. 2 i.V.m. § 907 BGB auf Zahlung von 53.317, 75 € für eine statische Dachertüchtigung des Tankstellengebäudes in Betracht. Die Klägerin habe aber nicht dargelegt, dass das Tankstellendach infolge des Neubaus nicht mehr den statischen Anforderungen entspreche. Zudem sei die Höhe des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs nicht hinreichend substantiiert. Das 40 Jahre alte Dach erfahre durch die gewünschte statische Ertüchtigung eine wirtschaftliche Aufwertung, zu deren Höhe es an Vortrag der Klägerin fehle. Ebenso wenig sei vorgetragen, dass die Statik allein aufgrund der baulichen Maßnahme des Beklagten zu ertüchtigen sei und nicht ohnehin einer Erneuerung oder Anpassung bedürfe.

Der Bundesgerichtshof sah dies ebenso und wies nun auch die Revision der Klägerin als unbegründet zurück. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts hielten rechtlicher Nachprüfung jedenfalls im Ergebnis stand, auch wenn dessen Entscheidung nichtd frei von Rechtsfehlern sei:

Zu Recht rügt die Revision, dass das Oberlandesgericht Köln beweisbewehrten Sachvortrag der Klägerin durch seine Annahme übergeht, es fehle Vortrag zum maßgeblichen Vergleich der Schneelastverhältnisse unmittelbar vor und nach Errichtung des Erweiterungsbaus. Tatsächlich hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 26.02.2021 statische Nachweise für das Flachdach des Tankstellengebäudes vorgelegt und hierzu ausgeführt, dass es vor Errichtung des Neubaus die maßgeblichen DIN-Vorschriften nicht gegeben habe, so dass keine zusätzlichen statischen Anforderungen zu beachten gewesen seien. Auf den Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 05.03.2021 hat sie ergänzend vorgetragen, dass erst zum Zeitpunkt der Errichtung des Neubaus der Ansatz der Schneelast nach den dann gültigen Normen erforderlich geworden sei und Beweis für ihre Behauptung angetreten, vor Errichtung des Neubaus sei das Tankstellengebäude dauerhaft und uneingeschränkt standsicher gewesen, durch sachverständiges Zeugnis eines Statikers und durch Sachverständigengutachten. Der Vortrag ist erkennbar dahin zu verstehen, dass bis zum Baubeginn auf dem Grundstück des Beklagten alle statischen Anforderungen erfüllt waren und erst durch die vor Errichtung des Neubaus in Kraft getretenen Normen andere statische Anforderungen entstanden sind. Weiterer Vortrag war nicht zu halten.

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auszugleichenden Nachteile3 ebenfalls zu berücksichtigen sind4.

Schließlich hat die Klägerin vorgetragen, dass die Statik allein aufgrund der baulichen Maßnahme des Beklagten einer Ertüchtigung bedarf. Auf der Grundlage dieses Vortrags ist zugleich ausgeschlossen, dass sie unabhängig von dem Bauvorhaben des Beklagten einer Erneuerung oder Anpassung bedurft hätte. Weiteren Vortrag musste die Klägerin entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Köln hierzu nicht halten.

Diese Rechtsfehler verhelfen der Revision gleichwohl nicht zum Erfolg, weil sich der angegriffene Beschluss aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Das Oberlandesgericht Köln hat die Berufung im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

Selbst wenn infolge des Neubaus auf dem Grundstück des Beklagten eine statische Dachertüchtigung erforderlich wäre, stünde der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung der hierfür notwendigen Kosten zu.

Ein Ausgleichsanspruch ergibt sich nicht aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer, der nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB eine wesentliche Immission im Sinne von § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB zu dulden hat, einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung die ortsübliche Nutzung seines Grundstücks über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.

Voraussetzung für einen Ausgleichsanspruch ist unter anderem eine von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkung.

Unter für einen Ausgleichsanspruch erforderlichen Einwirkungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur diejenigen zu verstehen, die positiv die Grundstücksgrenze überschreitende, sinnlich wahrnehmbare Wirkungen entfalten5. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung, die auf das Reichsgericht zurückgeht, zählen daher sog. negative Einwirkungen nicht zu den abwehrfähigen Einwirkungen im Sinne von § 906 BGB6. Diese werden durch eine Nutzung des Nachbargrundstücks verursacht, die sich auf dessen Fläche beschränkt und das betroffene Grundstück nur mittelbar beeinträchtigt. So stellt das Abhalten von Wind durch ein Gebäude keine unzulässige Einwirkung auf das Nachbargrundstück dar7. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt entschieden, dass negative Einwirkungen durch das Abhalten von natürlichen Zuführungen wie etwa Licht und Luft – beispielsweise durch Anpflanzungen – nicht nach §§ 905, 906, 907, 1004 BGB abgewehrt werden können8. Die Abschattung von Funkwellen durch ein Hochhaus hat der Bundesgerichtshof ebenfalls als nicht von § 906 BGB erfasste negative Einwirkung angesehen9.

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Die Unterscheidung zwischen negativen und positiven Einwirkungen ist auf Kritik gestoßen. Da erstere den Eigentümer mindestens genauso beeinträchtigen könnten wie letztere, seien negative Einwirkungen den positiven jedenfalls dann gleichzustellen, wenn sie zu unzumutbaren Beeinträchtigungen führten10. Auch wird auf Abgrenzungsschwierigkeiten verwiesen11. Jedenfalls müsse für bestimmte Fallgruppen die Einordnung als negative Immission überdacht werden12.

Richtigerweise ist jedenfalls das Abprallen von Schnee an einem auf dem Nachbargrundstück errichteten Gebäude als positive Einwirkung im Sinne von § 906 BGB einzuordnen12. Zwar hält sich eine Grenzbebauung in den räumlichen Grenzen des Grundstücks, so dass es für deren Errichtung keiner Rechtfertigung nach § 906 Abs. 1 BGB bedarf. Das Abprallen von Schnee stellt sich nur als mittelbare Folge der zulässigen baulichen Nutzung des Grundstücks dar. Wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, erscheint es aber wenig überzeugend, physikalische Vorgänge, die auf naturgesetzlicher Wirkung beruhen, generell von den Einwirkungen im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB auszunehmen. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass zu den positiven Einwirkungen auch die eine Blendung verursachende Reflexion von Licht durch Photovoltaikanlagen oder glasierte Dachziegel zählt13. Das trifft zu. Denn in diesen Fällen werden dem beeinträchtigten Grundstück nicht nur Vorteile entzogen. Die elektromagnetischen Wellen sind vielmehr Einwirkungen im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB, nämlich positiv die Grundstücksgrenze überschreitende, sinnlich wahrnehmbare Wirkungen. Dementsprechend stellt das Abprallen von Schnee an einer Grenzwand wie eine von einer Grenzbebauung ausgehende Lichtreflexion eine grenzüberschreitende Einwirkung auf das Nachbargrundstück dar; im einen wie im anderen Fall geht die Einwirkung von der auf dem Nachbargrundstück befindlichen Grenzbebauung aus. Soweit der Bundesgerichtshof das für die Reflexion von Fernsehwellen anders gesehen hat14, hält er daran nicht fest.

Der Klägerin steht gleichwohl kein Ausgleichsanspruch zu, weil von dem Neubau des Beklagten abprallender Schnee die Benutzung des Grundstücks der Klägerin nur unwesentlich beeinträchtigt. Da es insoweit keiner weiteren Feststellungen bedarf, kann der Bundesgerichtshof die hierzu erforderliche Würdigung selbst vornehmen.

Nach § 903 BGB ist der Eigentümer einer Sache berechtigt, mit dieser nach Belieben zu verfahren. Die Rechte aus dem Eigentum haben nur insoweit zurückzutreten, als das Gesetz oder Rechte Dritter der Ausübung der Rechte aus dem Eigentum entgegenstehen (§ 903 Satz 1, § 1004, § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 16.04.2010 – V ZR 171/09, NJW 2010, 1808 Rn. 7). § 906 BGB ist Teil des bürgerlichrechtlichen Nachbarrechts der §§ 905 bis 924 BGB. Er ist ein Element des Interessenausgleichs, der für eine sachgerechte Nutzung von Grundstücken im nachbarlichen Raum unerlässlich ist15. Durch § 906 BGB soll der bei der Nutzung eines Grundstücks im Verhältnis zu den benachbarten Grundstücken möglicherweise auftretende Konflikt in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden. In der Regelung findet die Situationsgebundenheit des Grundeigentums ihren Ausdruck, durch die das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis und die hieraus erwachsenden wechselseitigen Rücksichtnahmepflichten ihre Prägung erfahren16. Zu diesem Zweck enthält die Vorschrift eine Beschränkung der Eigentümerrechte nach § 903 BGB15.

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Gemäß § 906 Abs. 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks von einem anderen Grundstück ausgehende Immissionen allerdings insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nur unwesentlich beeinträchtigt. Ein Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB setzt daher voraus, dass eine wesentliche Einwirkung nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB geduldet werden muss17. Die Duldung unwesentlicher Beeinträchtigungen ist in Einschränkung der in §§ 903, 1004 BGB getroffenen Regelungen erforderlich, um den Nachbarn unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Interessen eine möglichst weitgehende wirtschaftlich sinnvolle Nutzung ihrer Grundstücke zu ermöglichen18. Wann eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt, beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und dem, was diesem unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist19, wobei Natur und Zweckbestimmung des von der Beeinträchtigung betroffenen Grundstücks in seiner konkreten Beschaffenheit eine entscheidende Rolle spielen20. Ob die Benutzung eines Grundstücks wesentlich oder nur unwesentlich beeinträchtigt ist, hängt maßgebend davon ab, in welchem Ausmaß die Benutzung nach der tatsächlichen Zweckbestimmung des Grundstücks gestört wird21. Daneben können wertende Momente, etwa des Nachbarrechts und des öffentlichen Rechts, in die Beurteilung einbezogen werden22.

Das Abprallen von Schnee an einer baurechtlich genehmigten Grenzwand stellt nach diesen Grundsätzen zwar wie eine von einer Grenzbebauung ausgehende Lichtreflexion eine positive Einwirkung auf das Nachbargrundstück dar, beeinträchtigt es aber regelmäßig – und so auch hier – nur unwesentlich im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB.

Bei entsprechenden Witterungsbedingungen ist hier allerdings mit einer erhöhten Schneelast auf dem Tankstellendach der Klägerin zu rechnen, da der vom Gebäude des Beklagten abprallende Schnee dorthin geraten kann. Die Nutzung des Grundstücks zum Betrieb einer Tankstelle wird jedoch nicht unmittelbar eingeschränkt. Die Klägerin betreibt auch nach Errichtung des Neubaus ihre Tankstelle weiter. Die Errichtung des Neubaus auf der Grundstücksgrenze ist ferner von einer Baugenehmigung gedeckt. Der Beklagte nutzt sein Grundstück in baurechtlich zulässiger Weise, insbesondere was die Lage des Baukörpers an der Grundstücksgrenze und dessen Höhe anbelangt. Zwar hat die Legalisierungswirkung einer Baugenehmigung keinen Einfluss auf das Bestehen von Ansprüchen aus § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 906 BGB, weil die Baugenehmigung nach den Landesbauordnungen unbeschadet privater Rechter Dritter ergeht und deshalb keine privatrechtsgestaltende Ausschlusswirkung haben kann23. Gleichwohl fehlt es bei einer zulässigen baulichen Nutzung des Grundstücks in aller Regel an der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks, da sich die Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält. Weil die rechtlich zulässige Bebauung eines Grundstücks zu den sozialadäquaten Formen der Grundstücksnutzung gehört, sind daraus herrührende Einwirkungen jedenfalls in gewissen Grenzen zumutbar und in diesem Rahmen als unwesentliche Beeinträchtigung des benachbarten Grundstücks im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB anzusehen. Die Klägerin musste die Errichtung des Neubaus dulden, weil der Beklagte von seinem Recht Gebrauch gemacht hat, mit seinem Grundstück nach Belieben zu verfahren (§ 903 BGB). Eine Pflicht, von der Errichtung des Hauses im Interesse der Klägerin abzusehen, bestand nicht.

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Wollte man bei einer solchen Fallkonstellation gleichwohl eine wesentliche Beeinträchtigung annehmen, hätte der Eigentümer mangels Duldungspflicht gemäß § 906 Abs. 1 BGB gegen jede baurechtlich zulässige Grenzbebauung des Nachbargrundstücks, welche das eigene Gebäude überragt, einen primären Abwehranspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB. Eine Grenzbebauung auf dem Nachbargrundstück wäre damit weitgehend ausgeschlossen. Darüber hinaus könnte ein Grundstückseigentümer sogar die Beseitigung eines Bestandsgebäudes auf dem Nachbargrundstück verlangen, wenn nachträglich DIN-Normen in Kraft treten, die eine statische Ertüchtigung des eigenen Gebäudes erfordern. Würde die Schwelle zur Wesentlichkeit so niedrig angesetzt, wäre eine Grenzbebauung im Ergebnis für alle Grundstückseigentümer mit unwägbareren Risiken verbunden; hier fiele der Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen einseitig zu Lasten des Beklagten aus, da seine Möglichkeit zu einer wirtschaftlich sinnvollen Grundstücksnutzung stark eingeschränkt wäre.

Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb angezeigt, weil das Dach des auf dem Nachbargrundstück der Klägerin errichteten Gebäudes – wovon nach dem Vortrag der Klägerin revisionsrechtlich auszugehen ist – nach den maßgeblichen DIN-Normen erst infolge der Grenzbebauung einer statischen Ertüchtigung bedarf. Die notwendige Dachertüchtigung stellt sich als lediglich mittelbare Folge der veränderten Schneelasten dar. Das Tankstellengebäude der Klägerin trägt gleichsam bereits eine Schadensanlage in sich, die sich infolge der erhöhten statischen Anforderungen verwirklicht. Dass die vorhandene Bebauung die statischen Vorgaben im Hinblick auf die zu erwartende Schneelast nicht (mehr) erfüllt, fällt aber jedenfalls dann allein in den Risikobereich des die Anlage unterhaltenden Grundstückseigentümers, wenn – wie hier – eine Beeinträchtigung allein durch physikalische Vorgänge eintritt, die auf naturgesetzlicher Wirkung beruhen. Die Ertüchtigung des Dachs obliegt allein der Klägerin, die als Eigentümerin des Tankstellengrundstücks Adressatin der in technischen Normen enthaltenen statischen Anforderungen und für deren Beachtung verantwortlich ist.

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Die Klägerin hat ebenfalls keinen Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß § 1004 Abs. 1, § 862 Abs. 1 BGB unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen24. Da die durch den abprallenden Schnee ausgehende Einwirkung entsprechend den vorstehenden Ausführungen jedenfalls nicht wesentlich ist, mangelt es schon an einem für den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch erforderlichen Abwehranspruch der Klägerin.

Die Klage bleibt auch unter dem Gesichtspunkt der Unterhaltung einer gefahrdrohenden Anlage erfolglos (§ 823 Abs. 2, § 907 Abs. 1 BGB). Zwar ist § 907 Abs. 1 BGB ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB25. Die Voraussetzungen dieser Norm sind aber nicht gegeben. Der Eigentümer eines Grundstücks kann sich grundsätzlich gegen die von einem Nachbargrundstück ausgehenden Einwirkungen einer Anlage, die sein Eigentum beeinträchtigen, zur Wehr setzen. Inhalt und Umfang dieses Anspruchs im Einzelnen ergeben sich aber aus den allgemeinen gesetzlichen Regelungen über Eigentum und Nachbarrecht, insbesondere den §§ 903, 905, 906 BGB. Nur in dem hiernach gegebenen Rahmen kann der Eigentümer sich gegen Beeinträchtigungen zur Wehr setzen26. Daher scheidet ein Unterlassungs- bzw. Beseitigungsanspruch des Eigentümers gemäß § 907 Abs. 1 BGB aus, wenn er – wie hier die Klägerin – die Einwirkung zu dulden hat, weil sie unwesentlich ist.

Schließlich lässt sich ein Ausgleichsanspruch der Klägerin nicht aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis herleiten. Die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn ergeben sich in erster Linie aus den Bestimmungen des Nachbarrechts und haben dort eine ins einzelne gehende Sonderregelung erfahren27. Müssen positive Einwirkungen – wie hier – gemäß § 906 Abs. 1 BGB geduldet werden, sind sie rechtmäßig, und das Gesetz sieht einen Ausgleichsanspruch nicht vor; diese gesetzliche Regelung kann nicht mithilfe des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses umgangen oder erweitert werden28.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. März 2023 – V ZR 97/21

  1. LG Köln, Urteil vom 04.08.2020 – 30 O 289/18[]
  2. OLG Köln, Beschluss vom 07.05.2021 – 16 U 145/20[]
  3. vgl. hierzu BGH, Urteil vom 11.06.1999 – V ZR 377/98, BGHZ 142, 66, 70 f.[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 14.09.2001 – V ZR 291/00, NJOZ 2001, 2195, 2196[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344, 345 ff.; Urteil vom 22.02.1991 – V ZR 308/89, BGHZ 113, 384, 386; Urteil vom 11.07.2003 – V ZR 199/02, NZM 2003, 727[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2015 – V ZR 229/14, NZM 2015, 793 Rn. 6[]
  7. vgl. RG Gruchot 58 [1914] 1028[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344, 345 mwN[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344, 347; Urteil vom 10.07.2015 – V ZR 229/14, NZM 2015, 793 Rn. 12 ff.[]
  10. vgl. PWW/Lemke, BGB, 17. Aufl., § 903 Rn. 5 sowie § 906 Rn. 9; Wenzel, NJW 2005, 241, 247[]
  11. vgl. Stresemann in Festschrift für Wenzel, 2005, S. 425, 432 ff.[]
  12. vgl. MünchKomm-BGB/Brückner, 9. Aufl., § 906 Rn. 56[][]
  13. vgl. OLG Stuttgart, MDR 2009, 1099; OLG Karlsruhe, NJOZ 2014, 1010, 1011; OLG Düsseldorf, NJOZ 2018, 652 Rn. 12; OLG Hamm, MDR 2019, 1311; Grüneberg/Herrler, BGB, 82. Aufl., § 1004 Rn. 9; Staudinger/Roth, BGB [2020], § 906 Rn. 123; a.A. OLG Zweibrücken, MDR 2001, 984, 985[]
  14. vgl. BGH, Urteil vom 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344, 348[]
  15. vgl. BGH, Urteil vom 12.12.2003 – V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 193[][]
  16. vgl. BGH, Urteil vom 18.09.2009 – V ZR 75/08, NJW 2009, 3787 Rn.19[]
  17. vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2006 – V ZR 2/06, NJW-RR 2007, 168 Rn. 13[]
  18. vgl. MünchKomm-BGB/Brückner, 9. Aufl., § 906 Rn. 68[]
  19. BGH, Urteil vom 27.10.2006 – V ZR 2/06, NJW-RR 2007, 168 Rn. 8; Urteil vom 14.11.2003 – V ZR 102/03, BGHZ 157, 33, 43[]
  20. vgl. BGH, Urteil vom 21.10.2005 – V ZR 169/04, NJW-RR 2006, 235, 237[]
  21. vgl. BGH, Urteil vom 02.03.1984 – V ZR 54/83, BGHZ 90, 255, 260 f.[]
  22. vgl. BGH, Urteil vom 14.11.2003 – V ZR 102/03, BGHZ 157, 33, 43; Urteil vom 20.11.1992 – V ZR 82/91, BGHZ 120, 239, 255[]
  23. vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2022 – V ZR 99/21, NJW 2022, 2400 Rn. 23[]
  24. vgl. BGH, Urteil vom 20.04.1990 – V ZR 282/88, BGHZ 111, 158, 162; Urteil vom 18.09.2009 – V ZR 75/08, NJW 2009, 3787 Rn. 9 jeweils mwN[]
  25. vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2001 – V ZR 422/99, NJW-RR 2001, 1208, 1209; RGZ 145, 107, 115[]
  26. vgl. BGH, Urteil vom 12.11.1999 – V ZR 229/98, NJW-RR 2000, 537 f.[]
  27. vgl. BGH, Urteil vom 22.02.1991 – V ZR 308/89, BGHZ 113, 384, 389[]
  28. vgl. jeweils zum Notwegrecht BGH, Urteil vom 06.05.2022 – V ZR 50/21, NJW-RR 2022, 1381 Rn. 17; Urteil vom 24.01.2020 – V ZR 155/18, NJW 2020, 1360 Rn.19[]
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