Die im Urteil bestimmte Frist – und der Fristbeginn

Eine im Urteil nach § 255 Abs. 1 ZPO durch das Gericht bestimmte Frist beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung. Zu der Festlegung eines früheren Fristbeginns ist das Gericht nicht befugt.

Die im Urteil bestimmte Frist – und der Fristbeginn

Hat der Kläger für den Fall, dass der Beklagte nicht vor dem Ablauf einer ihm zu bestimmenden Frist den erhobenen Anspruch befriedigt, das Recht, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu fordern, so kann er nach § 255 Abs. 1 ZPO verlangen, dass die Frist im Urteil bestimmt wird. Soweit der (hier:) Unterlassungsanspruch als Hauptanspruch aus der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung folgt, beruht die Fristsetzung auf § 281 Abs. 1 BGB und der Schadensersatzanspruch auf § 280 Abs. 1 und 3, § 281 Abs. 1, Abs. 4 BGB. § 281 Abs. 1 BGB findet auch auf vertraglich vereinbarte Unterlassungspflichten Anwendung1. Dies gilt jedenfalls dann, wenn wie hier der Schuldner dieser Pflicht nur durch die Vornahme einer Handlung nachkommen kann. Die höchstrichterlich bislang noch nicht geklärte Frage, ob die Vorschrift des § 281 BGB auf dingliche Ansprüche aus § 1004 BGB entsprechend angewendet werden kann2, stellt sich daher im hier entschiedenen Fall nicht.

Ein Gericht ist nicht befugt, den Beginn einer von ihm gemäß § 255 Abs. 1 ZPO bestimmten Frist auf einen Zeitpunkt vor Eintritt der Rechtskraft festzulegen. Dies gilt (wegen § 308 ZPO) nicht nur dann, wenn ein Kläger – einer verbreiteten Praxis folgend – selbst die Setzung einer Frist ab Rechtskraft des Urteils beantragt3, sondern generell. Allerdings ist die Frage umstritten.

Nach der überwiegenden Ansicht beginnt die vom Gericht gesetzte Frist jedenfalls in den Fällen, in denen das Gericht den Fristbeginn nicht ausdrücklich festgelegt hat, mit Rechtskraft des Urteils4. Auch wenn der Gläubiger nach materiellem Recht die Fristsetzung zu einem früheren Zeitpunkt vornehmen könne, sei das Gericht nicht befugt, einen Fristbeginn vor Rechtskraft zu bestimmen5. Da der mit der Regelung des § 255 ZPO verfolgte Beschleunigungsgedanke ohnehin nicht besonders ausgeprägt sei, sprächen Gründe der Rechtssicherheit für einen Fristbeginn mit Rechtskraft des Urteils. Auch müsste die Frist neu bestimmt werden, sollte das Urteil angefochten werden6. Eine Frist könne zudem noch nicht zu laufen beginnen, wenn unklar sei, ob die Entscheidung, in der die Frist gesetzt worden sei, bestehen bleibe7.

Nach anderer Ansicht beginnt die Frist mit Verkündung des Urteils, soweit nicht etwas Anderes durch das Gericht bestimmt ist. Jedenfalls könne das Gericht den Fristbeginn auf die Verkündung des Urteils festsetzen. Es widerspreche dem von § 255 ZPO angestrebten Beschleunigungseffekt, wenn die Frist erst mit Rechtskraft des Urteils beginnen könne. Die Einschaltung des Gerichts solle die Fristsetzung erleichtern, nicht aber den Fristbeginn, den sogar der Gläubiger vorgeben könne, von etwaigen Rechtsmitteln des Schuldners abhängig machen8.

Richtig ist die erstgenannte Auffassung. Eine im Urteil nach § 255 Abs. 1 ZPO durch das Gericht bestimmte Frist beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung. Zu der Festlegung eines früheren Fristbeginns ist das Gericht nicht befugt.

Dem Wortlaut des § 255 ZPO lässt sich eine solche Beschränkung des Fristbeginns allerdings nicht entnehmen. Lediglich im materiellem Recht finden sich Normen, in denen die rechtskräftige Verurteilung zur Leistung Voraussetzung für die Setzung einer Frist ist, die deshalb auch nicht vorher laufen kann. Dazu gehören § 1052 Abs. 1, § 2128 Abs. 2 und § 2193 Abs. 2 BGB. In diesen Fällen kann der Gläubiger nach § 255 Abs. 2 ZPO eine Frist durch das Gericht setzen lassen. Ebenso war § 255 Abs. 1 ZPO anwendbar auf § 283 Abs. 1 BGB in der Fassung vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, wonach der Gläubiger dem Schuldner nach rechtskräftiger Verurteilung zur Bewirkung der Leistung eine angemessene Frist bestimmen und nach dem Ablauf der Frist Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen konnte. § 283 BGB a.F. stellte den Hauptanwendungsfall des § 255 Abs. 1 ZPO dar. In allen diesen Fällen gibt bzw. gab das materielle Recht ausdrücklich vor, dass der durch das Gericht bestimmte Fristbeginn frühestens mit der Rechtskraft der Verurteilung zur Leistung möglich ist. Andere Regelungen des materiellen Rechts sehen hingegen einen rechtskräftigen Titel für die Fristsetzung nicht vor, wie z.B. § 281 Abs. 1 oder § 250 Satz 2 BGB. Hier kann der Gläubiger frei darüber entscheiden, wann er die Frist setzt. Diese Differenzierung betrifft allerdings das materielle Recht. Ein Rückschluss auf das Prozessrecht ergibt sich daraus nicht.

Dass die Frist frühestens mit Rechtskraft der Entscheidung beginnen kann, folgt aber daraus, dass es sich bei dem Antrag auf gerichtliche Bestimmung einer Frist nach § 255 ZPO um eine Gestaltungsklage handelt. Die Fristsetzung ist vergleichbar mit sonstigen Fällen, in denen das Gesetz eine Gestaltung des Rechtsverhältnisses der Parteien aufgrund richterlichen Ermessens vorsieht. Ein Beispiel aus dem materiellen Recht stellt § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB dar, wonach das Gericht eine Leistungsbestimmung durch Urteil treffen kann, wenn die von der Partei getroffene Leistungsbestimmung nicht der Billigkeit entspricht9. Auch bei einer Fristbestimmung gemäß § 255 ZPO greift das Gericht rechtsgestaltend in das Rechtsverhältnis der Parteien ein; es stellt keine schon bestehende Rechtslage fort, sondern führt eine bestimmte Rechtslage erst herbei10. Die Gestaltungswirkung eines Urteils tritt aber erst mit seiner Rechtskraft ein11.

Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber im Rahmen des § 255 ZPO von diesen allgemeinen Grundsätzen abweichen und bewusst auf die Rechtskraft der Entscheidung für den Fristbeginn verzichtet hat, ergeben sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm nicht. § 255 ZPO war zunächst Teil des Entwurfes zu § 283 BGB a.F.12. Infolgedessen wäre die Rechtskraft der Entscheidung für den Fristbeginn notwendige Voraussetzung gewesen. In dem weiteren Gesetzgebungsverfahren ist der Regelungsgehalt des § 255 ZPO aus dem § 283 BGB a.F. gelöst worden, um das materielle Recht und das Prozessrecht zu trennen. Dass es insoweit nicht mehr auf die Rechtskraft des Urteils ankommen sollte, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen.

Grund der Regelung des § 230b CPO, nun § 255 ZPO, war lediglich die Beschleunigung im Prozess13. Die Beschleunigung aber spielt vor allem in den Fällen eine Rolle, in denen der Fristsetzung eine rechtskräftige Verurteilung vorausgehen muss. In den anderen Fällen ist der Gläubiger nicht auf die Fristsetzung durch das Gericht angewiesen, um den Schuldner zur Handlung oder – wie hier – Unterlassung anzuhalten. Denn er kann die Frist – vorgerichtlich oder parallel zum gerichtlichen Verfahren – selber setzen und seinen Klageantrag nach fruchtlosem Ablauf der Frist umstellen.

Richtigerweise hätte das Berufungsgericht der Beklagten deshalb eine Frist (erst) ab Rechtskraft des Urteils setzen müssen. Nicht zu beanstanden ist demgegenüber die Annahme des Berufungsgerichts, eine Frist von sechs Wochen sei angemessen. Die Beurteilung der Angemessenheit ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten14. Das Revisionsgericht kann lediglich nachprüfen, ob der Tatrichter den Begriff der Angemessenheit verkannt oder sonst unzutreffende rechtliche Maßstäbe angelegt hat, ob er Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze hinreichend beachtet hat oder ob ihm von der Revision gerügte Verfahrensverstöße unterlaufen sind, indem er etwa wesentliche Tatumstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt hat15. Derartige Fehler sind dem Berufungsgericht nicht unterlaufen und werden im Revisionsverfahren auch nicht geltend gemacht. Da es keiner weiteren Feststellungen mehr bedarf, ordnet der Bundesgerichtshof unter teilweiser Änderung der Urteile des Berufungsgerichts und des Landgerichts eine Frist von sechs Wochen ab Rechtskraft an.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. November 2021 – V ZR 271/20

  1. vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl., § 281 Rn. 4[]
  2. vgl. dazu BGH, Urteil vom 11.06.2021 – V ZR 41/19, NJW-RR 2021, 1166 Rn. 10 f.[]
  3. vgl. dazu OLG München, NJW-RR 2018, 1245 Rn. 16[]
  4. vgl. AG Frankfurt a.M., DGVZ 1962, 62; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 255 Rn. 10; BLAHG/Anders, ZPO, 79. Aufl., § 255 Rn. 8; BeckOK ZPO/Bacher [01.07.2021], § 255 Rn. 16.1; PG/Geisler, ZPO, 13. Aufl., § 255 Rn. 2; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 42. Aufl., § 255 Rn. 1; Zimmermann, ZPO, 10. Aufl., § 255 Rn. 1; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 255 Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, 4. Aufl., § 255 Rn. 9; Wieser, NJW 2003, 2432, 2433[]
  5. vgl. BeckOK ZPO/Bacher [01.07.2021], § 255 Rn. 16.1[]
  6. vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 255 Rn. 10[]
  7. vgl. Nöldecke, ZZP 29 [1901], 262, 264[]
  8. vgl. MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl., § 255 Rn. 10; Musielak/Voit/Foerste, ZPO, 18. Aufl., § 255 Rn. 4[]
  9. vgl. zu weiteren Fällen Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl., § 92 Rn. 11 ff.[]
  10. vgl. MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl., § 255 Rn. 3; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 42. Aufl., § 255 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, 4. Aufl., § 255 Rn. 13; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl., § 92 Rn. 13, aA Stamm ZfPW 2020, 86, 92: Feststellungsklage[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2018 – V ZR 148/17, NJW-RR 2018, 522 Rn. 13; BGH, Urteil vom 04.04.2006 – X ZR 122/05, NJW 2006, 2472 Rn. 22 zu einem Gestaltungsurteil gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB[]
  12. vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. – II S. 534 f.; Nöldecke, ZZP 29 [1901], 262, 263[]
  13. Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 1898, Neudruck 1983, Bd. 8, S. 99[]
  14. vgl. BGH, Urteil vom 21.06.1985 – V ZR 134/84, NJW 1985, 2640 zu § 326 BGB a.F.[]
  15. vgl. BGH, Urteil vom 14.10.2020 – VIII ZR 318/19, NJW 2021, 464 Rn. 12[]