Zu den Voraussetzungen der Gebührenanrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren nach einem Prozessvergleich hat der Bundesgerichtshof erneut Stellung genommen:

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs betraf einen Fall, auf den § 15a RVG Anwendung findet, da davon auszugehen ist, dass die in Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG angeordnete Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr für die Höhe der gesetzlichen Gebühren im Verhältnis der Prozessparteien untereinander ohne Bedeutung ist und die entsprechend berechtigte Prozesspartei die Erstattung einer ungekürzten Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG beanspruchen kann1. Insoweit betont der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs nochmals, dass auch für die Zeit vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes2 davon auszugehen ist, dass die in Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG angeordnete Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr für die Höhe der gesetzlichen Gebühren im Verhältnis der Prozessparteien untereinander ohne Bedeutung ist und die entsprechend berechtigte Prozesspartei die Erstattung einer ungekürzten Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG beanspruchen kann.
Dabei kommt eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht nach den Regelungen in § 15a Abs. 2 RVG in Betracht. Danach kann ein Dritter sich auf die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat oder wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. Keine dieser Alternativen ist im Streitfall gegeben.
Im Kostenfestsetzungsverfahren haben materiell-rechtliche Einwendungen grundsätzlich unbeachtlich zu bleiben3. Sie sind gegebenenfalls im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO geltend zu machen. Die nach § 15a Abs. 2 Fall 1 RVG zulässige Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr im Fall der Erfüllung lässt ausnahmsweise eine materiell-rechtliche Einwendung zu. Im Hinblick auf die begrenzte Prüfungsbefugnis des Rechtspflegers im Kostenfestsetzungsverfahren4 ist hierfür aber Voraussetzung, dass die Erfüllung unstreitig oder ohne weiteres feststellbar ist5. Im Hinblick auf die fehlende Bezifferung des auf die Geschäftsgebühr entfallenden Zahlungsbetrags im Vergleich ist die Voraussetzungen für eine Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren im entschiedenen Streitfall daher nicht gegeben:
Der Formulierung in Ziffer 1 des Vergleichs ist nicht zu entnehmen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Geschäftsgebühr bei der Festsetzung des Vergleichsbetrags Berücksichtigung gefunden hat. Der gerichtliche Vergleichsvorschlag einer Zahlung von 30.000 € zuzüglich einer Geschäftsgebühr in Höhe von 1.999,20 € statt der eingeklagten Geschäftsgebühr in Höhe von 3.971,74 € wurde von den Parteien nicht akzeptiert. Dass in den Vergleichsbetrag von 32.000 € die Kostenforderung in Höhe von 1.999,20 € eingeflossen ist, ist möglich, jedoch nicht zwingend. Selbst im Fall vollständiger Leistung des Vergleichsbetrags kann nicht ohne weiteres festgestellt werden, inwieweit dieser Zahlung Erfüllungswirkung im Sinne des § 15a Abs. 2 Fall 1 RVG hinsichtlich der Geschäftsgebühr zukommen könnte. Auch aus der Abgeltungsklausel des Vergleichs folgt nicht zwingend, dass mit der Leistung der Vergleichssumme die geltend gemachten Ansprüche als in voller Höhe erfüllt gelten sollten. Sie bedeutet lediglich, dass der Kläger auf die Forderungen, die die Vergleichssumme der Höhe nach übersteigen, bei Erfüllung des Vergleichs verzichtet.
Der Vergleich stellt auch keinen die Anrechnung gemäß § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG rechtfertigenden Vollstreckungstitel bezüglich der Geschäftsgebühr dar. Die Abgeltung der klageweise geltend gemachten Forderungen durch eine vergleichsweise vereinbarte Teilleistung kann nicht mit der Titulierung der Gesamtforderung gleichgesetzt werden. Zwar wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung vereinzelt die Auffassung vertreten6, dass die Anrechnung zu erfolgen habe, weil durch den Begriff der „Abgeltung“ hinreichend zum Ausdruck gebracht werde, dass die Zahlung des vereinbarten Betrags auch der Erfüllung der vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr diene. Damit sei die Geschäftsgebühr von dem durch den Vergleich titulierten Zahlungsanspruch umfasst. Jedoch lehnt die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung eine Anrechnung in diesen Fällen ab7.
Es kann dahinstehen, ob von einer Titulierung durch den Vergleich dann ausgegangen werden könnte, wenn der Vergleich eine unmissverständliche Regelung enthielte, wonach die entsprechende Gebühr in einer bestimmten Höhe abgegolten werde. Jedenfalls für den Fall, dass der Vergleich eine solche ausdrückliche Regelung nicht enthält, stellt er keinen Vollstreckungstitel für die Geschäftsgebühr gegen den Dritten dar. Dies folgt schon daraus, dass nur dann, wenn der Vergleich die Geschäftsgebühr als eigenen bezifferten Gegenstand ausweist, konkret festgestellt werden kann, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr auf die entstandene Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Auch der Wortlaut des § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG macht das Erfordernis einer betragsmäßigen Bezifferung des Anspruchs deutlich. Danach kann sich ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen, „soweit wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht …“.
Im vorliegenden Vergleich ist nur die Verteilung der Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs zwischen den Parteien tituliert. In welchem Umfang die vorgerichtlichen Kosten mit dem Vergleichsschluss erledigt werden sollten bzw. in der Vergleichssumme, die an den Kläger zu zahlen ist, eingeschlossen sind, lässt sich daraus nicht entnehmen. Entgegen der Auffassung der Rechts-beschwerde kann zur Bestimmung des Inhalts des Vergleichs auch nicht auf die Prozessakten und die im Rechtsstreit vor Vergleichsschluss gestellten Anträge zurückgegriffen werden. Da es sich um einen Vollstreckungstitel handelt, ist allein der protokollierte Inhalt des Vergleichs maßgebend8.
Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr kann auch nicht nach § 15a Abs. 2 Fall 3 RVG erfolgen. Der Rechtsbeschwerde ist zuzugeben, dass der Vorschrift nicht eindeutig entnommen werden kann, was unter demselben Verfahren im Sinne des § 15a Abs. 2 Fall 3 RVG zu verstehen ist. Im Streitfall bedarf diese Frage deshalb keiner Klärung, weil die Voraussetzungen der Anrechnung jedenfalls mangels einer betragsmäßigen Bezifferung der Geschäftsgebühr im Vergleich nicht gegeben sind.
Wäre „das selbe Verfahren“ im Sinne des § 15a Abs. 2 Fall 3 RVG umfassend als Hauptsache- und Kostenfestsetzungsverfahren zu verstehen, ist nach Sinn und Zweck der Regelungen in § 15a Abs. 2 RVG die Anrechnung jedenfalls daran gebunden, dass die Geschäftsgebühr im Hauptsacheverfahren erfolgreich geltend gemacht worden ist. Nur dann kann die Geschäftsgebühr vom Rechtspfleger betragsmäßig im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren zur Anrechnung auf die Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht werden. Die Parteien haben aber auf eine betragsmäßige Festlegung der Geschäftsgebühr im Vergleich verzichtet. Auch im Übrigen lässt sich dem Vergleich nicht entnehmen, ob die Geschäftsgebühr davon umfasst ist. Kommt die Berufung auf die Anrechnung hingegen nur dann in Frage, wenn beide Gebühren im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht worden sind9, fehlt im vorliegenden Fall die Geltendmachung der Geschäftsgebühr durch den Kläger im Kostenfestsetzungsverfahren. Kommt mithin eine Anrechnung nicht in Betracht, ist die Verfahrensgebühr ungeschmälert festzusetzen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. Dezember 2010 – VI ZB 45/10
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 19.10.2010 – VI ZB 26/10; vom 16.11.2010 – VI ZB 47/10; vom 02.09.2009 – II ZB 35/07, NJW 2009, 3101 Rn. 6 ff.; vom 09.12.2009 – XII ZB 175/07, NJW 2010, 1375 Rn. 11 ff. m.w.N. zum Streitstand; vom 03.02.2010 – XII ZB 177/09, FamRZ 2010, 806 Rn. 10; vom 11.03.2010 – IX ZB 82/08, AGS 2010, 159; vom 29.04.2010 – V ZB 38/10, FamRZ 2010, 1248 Rn. 9 f.; und vom 10.08.2010 – VIII ZB 15/10[↩]
- Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli 2009, BGBl. I S. 2449[↩]
- vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29.09.2010 – 2 W 266/10, m.w.N.[↩]
- vgl. in Prütting/ Gehrlein/K.Schmidt ZPO, 2. Aufl., § 104 Rn. 15; Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl. § 104 Rn. 21 „materiell-rechtliche Einwendungen“[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 11.10.2006 – XII ZR 285/02, NJW 2007, 1213[↩]
- OLG Saarbrücken, AGS 2010, 60, 61 ff.[↩]
- vgl. etwa OLG München, JurBüro 2010, 23, 24; OLG Naumburg, JurBüro 2010, 299, 300; OLG Celle, Beschluss vom 29.09.2010 – 2 W 266/10; OLG Karlsruhe, AGS 2010, 209[↩]
- vgl. Zöller/Stöber, aaO, § 794 Rn. 14a und § 704 Rn. 5[↩]
- BGH, Beschluss vom 29.09.2009 – X ZB 1/09, NJW 2010, 76, Rn. 25[↩]