Räumungsklage – und die erneute Kündigung in der Berufungsinstanz

Das Berufungsgericht darf über das auf eine nach Verkündung des erstinstanzlichen Räumungsurteils erklärte weitere Kündigung des Vermieters gestützte Räumungsbegehren in der Sache entscheiden, wenn der Vermieter diesen Klagegrund zulässigerweise – etwa im Wege der Anschlussberufung (§ 524 ZPO) – in das Berufungsverfahren eingeführt hat.

Räumungsklage – und die erneute Kündigung in der Berufungsinstanz

Es liegt eine hilfsweise Klageänderung vor, wenn der Vermieter im Berufungsrechtszug sein Räumungsbegehren nunmehr auch auf diese weitere Kündigung stützt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Streitgegenstand durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und durch den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet1. Dementsprechend hat der Vermieter, der erstinstanzlich mit dem auf die ursprüngliche Kündigung gestützten Räumungsbegehren durchgedrungen war, dadurch, dass er dieses Begehren zusätzlich mit der weiteren – auf Mietrückstände für weitere Monate beruhenden – Kündigung unterlegt hat, einen neuen Streitgegenstand in den Prozess eingeführt, nämlich ein Räumungsbegehren, das hilfsweise auf diese erneute Kündigung und den darin geltend gemachten Kündigungsgrund gestützt war2. Die auf diese Weise herbeigeführte nachträgliche (Eventual)Klagehäufung (§ 260 ZPO) ist deshalb wie eine Klageänderung im Sinne der §§ 263, 533 ZPO mit den dafür geltenden Regeln zu behandeln3.

Den neuen Klagegrund konnte und musste der Vermieter zweitinstanzlich im Wege eines Anschlussrechtsmittels in den Rechtsstreit einführen. Denn der Berufungsbeklagte, der seine in erster Instanz erfolgreiche Klage erweitern oder auf einen neuen Klagegrund stellen will, muss sich dazu gemäß § 524 ZPO der Berufung der Gegenseite anschließen. Das gilt auch dann, wenn – wie hier – die Einführung des neuen Klagegrundes eine Änderung des Sachantrags nicht erforderlich macht. Auch in einem solchen Fall will nämlich der Berufungsbeklagte, der im Berufungsrechtszug seine Klage auf einen anderen Klagegrund stützt, damit mehr erreichen als die bloße Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung über den mit der Klage verfolgten Anspruch4.

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Die Anschlussberufung muss auch sonst den Anforderungen des § 524 ZPO genügen. Dabei ist es insbesondere unschädlich, dass der Vermieter, als er sich in seiner Berufungserwiderung auf die spätere Kündigung gestützt hat, dieses Vorgehen nicht als Anschlussberufung bezeichnet hat. Für die Einlegung eines Anschlussrechtsmittels ist keine dahingehende ausdrückliche Erklärung erforderlich. Es genügt vielmehr jede Erklärung, die sich ihrem Sinn nach als Begehren auf Abänderung des Urteils erster Instanz darstellt. Dementsprechend kann der Anschluss an das Rechtsmittel der Gegenseite auch konkludent in der Weise erfolgen, dass der Kläger – wie im Streitfall – sein im Übrigen unverändertes Klagebegehren auf einen weiteren Klagegrund stützt5.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. Februar 2015 – VIII ZR 175/14

  1. BGH, Urteile vom 09.06.2011 – I ZR 41/10, GRUR 2012, 180 Rn.19; vom 07.12 2007 – V ZR 210/06, NJW 2008, 1953 Rn. 15; jeweils mwN[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 20.11.2012 – VIII ZR 157/12, GE 2013, 117 Rn. 8[]
  3. vgl. BGH, Urteile vom 27.09.2006 – VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 8; vom 10.01.1985 – III ZR 93/83, NJW 1985, 1841 unter 4; jeweils mwN; BGH, Beschluss vom 20.11.2012 – VIII ZR 157/12, aaO[]
  4. BGH, Urteile vom 09.06.2011 – I ZR 41/10, aaO Rn. 22; vom 07.12 2007 – V ZR 210/06, aaO[]
  5. BGH, Urteil vom 09.06.2011 – I ZR 41/10, aaO Rn. 26[]
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