Schnittentbindung oder Vakuumextraktion

Ist eine Schnittentbindung aufgrund besonderer Umstände relativ indiziert und ist sie deshalb eine echte Alternative zu einer vaginal-operativen Entbindung, besteht eine Pflicht zur Aufklärung der Mutter über die Möglichkeit der Schnittentbindung.

Schnittentbindung oder Vakuumextraktion

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Bundesgerichtshofs ist eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit erforderlich, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten1. Gemäß diesem allgemeinen Grundsatz braucht der geburtsleitende Arzt zwar in einer normalen Entbindungssituation, bei der die Möglichkeit einer Schnittentbindung medizinisch nicht indiziert und deshalb keine echte Alternative zur vaginalen Geburt ist, ohne besondere Veranlassung die Möglichkeit einer Schnittentbindung nicht zur Sprache zu bringen. Anders liegt es aber, wenn für den Fall, dass die Geburt vaginal erfolgt, für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen, daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung sprechen und diese unter Berücksichtigung auch der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellt2. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Risiken für die Mutter oder das Kind entstehen, weil die Mutter die natürliche Sachwalterin der Belange auch des Kindes ist3.

Bei der Wahl zwischen vaginaler Entbindung, ggf. mit VakuumExtraktion, und Schnittentbindung handelt es sich für die davon betroffene Frau um eine grundlegende Entscheidung, bei der sie entweder ihrem eigenen Leben oder dem Leben und der Gesundheit ihres Kindes Priorität einräumt. Das Recht jeder Frau, selbst darüber bestimmen zu dürfen, muss möglichst umfassend gewährleistet werden. Andererseits soll die werdende Mutter während des Geburtsvorgangs aber auch nicht ohne Grund mit Hinweisen über die unterschiedlichen Gefahren und Risiken der verschiedenen Entbindungsmethoden belastet werden, und es sollen ihr nicht Entscheidungen für eine dieser Methoden abverlangt werden, solange es noch ganz ungewiss ist, ob eine solche Entscheidung überhaupt getroffen werden muss. Darüber hinaus muss jede Aufklärung auch einen konkreten Gehalt haben; ein Aufklärungsgespräch auf so unsicherer Grundlage müsste weitgehend theoretisch bleiben. Eine vorgezogene Aufklärung über die unterschiedlichen Risiken der verschiedenen Entbindungsmethoden ist deshalb nicht bei jeder Geburt erforderlich und auch dann noch nicht, wenn nur die theoretische Möglichkeit besteht, dass im weiteren Verlauf eine Konstellation eintreten kann, die als relative Indikation für eine Schnittentbindung zu werten ist. Eine solche Aufklärung ist jedoch immer dann erforderlich und muss dann bereits zu einem Zeitpunkt vorgenommen werden, zu dem die Patientin sich noch in einem Zustand befindet, in dem diese Problematik mit ihr besprochen werden kann, wenn deutliche Anzeichen dafür bestehen, dass sich der Geburtsvorgang in Richtung auf eine solche Entscheidungssituation entwickeln kann, in der die Schnittentbindung notwendig oder zumindest zu einer echten Alternative zur vaginalen Entbindung wird. Das ist etwa dann der Fall, wenn sich bei einer Risikogeburt konkret abzeichnet, dass sich die Risiken in Richtung auf die Notwendigkeit oder die relative Indikation einer Schnittentbindung entwickeln können4.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. Mai 2011 – VI ZR 69/10

  1. vgl. BGH, Urteile vom 22.09.1987 – VI ZR 238/86, BGHZ 102, 17, 22; vom 15.02.2000 – VI ZR 48/99, BGHZ 144, 1, 10; und vom 21.11.1995 – VI ZR 329/94, VersR 1996, 233[]
  2. vgl. BGH, Urteile vom 06.12.1988 – VI ZR 132/88, BGHZ 106, 153, 157; vom 16.02.1993 – VI ZR 300/91, VersR 1993, 703, 704; vom 19.01.1993 – VI ZR 60/92, VersR 1993, 835, 836; vom 25.11.2003 – VI ZR 8/03, VersR 2004, 645, 648; und vom 14.09. 2004 – VI ZR 186/03, VersR 2005, 227 Rn. 9[]
  3. vgl. BGH, Urteile vom 06.12.1988 – VI ZR 132/88; und vom 14.09.2004 – VI ZR 186/03, jeweils aaO[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 16.02.1993 – VI ZR 300/91, aaO S. 704[]