Verlässt ein Unfallbeteiligter wegen eines Auffahrunfalls bei eisglatter Fahrbahn sein Fahrzeug, um sich über die Unfallfolgen zu informieren, eröffnet er dadurch nicht selbst einen eigenständigen Gefahrenkreis. Stürzt er infolge der Eisglätte, verwirklicht sich nicht eine aufgrund der Straßenverhältnisse gegebene allgemeine Unfallgefahr, sondern die besondere durch den Unfall entstandene Gefahrenlage. Der Unfallverursacher haftet mithin auch für die Folgen dieses Sturzes

Verschuldenshaftung
Für die Frage der Verschuldenshaftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 StVO ist der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang zwischen den beiden Unfällen zu bejahen. Auch umfasst der Schutzbereich der Straßenverkehrsvorschriften, deren Verletzung durch die Unfallverursacherin zum Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Unfallbeteiligten geführt hat, den durch den Sturz entstandenen Schaden. Dazu haftet die Unfallverursacherin gemäß § 7 Abs. 1 StVG wegen der Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs.
Die Auffassung, dass der für die Verschuldenshaftung erforderliche haftungsbegründende Zurechnungszusammenhang zwischen dem durch die Unfallverursacherin verschuldeten Unfall und den Verletzungen des Unfallbeteiligten nicht gegeben sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Zwar lassen sich allgemein verbindliche Grundsätze, in welchen Fällen ein haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang bejaht oder verneint werden muss, nicht aufstellen. Letztlich kommt es auf eine wertende Betrachtung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls an [1]. Auch kann der Verursachungsbeitrag eines Zweitschädigers einem Geschehen eine Wendung geben, die die Wertung erlaubt, dass die durch den Erstunfall geschaffene Gefahrenlage für den Zweitunfall von völlig untergeordneter Bedeutung ist und eine Haftung des Erstschädigers nicht mehr rechtfertigt [2]. So liegt der Streitfall aber gerade nicht. Wirken in einem weiteren Unfall die besonderen Gefahren fort, die sich bereits im ersten Unfallgeschehen ausgewirkt hatten, kann der Zurechnungszusammenhang mit dem Erstunfall jedenfalls nicht verneint werden.
Der Bundesgerichtshof teilt nicht die Auffassung, dass sich in dem Sturz des Unfallbeteiligten ausschließlich die durch die Straßenverhältnisse begründete allgemeine Unfallgefahr verwirklichte. Auch wenn zum Unfallzeitpunkt aufgrund der winterlichen Straßenverhältnisse die Gefahr allgemein gegeben war, dass Fußgänger ins Rutschen geraten und stürzen, war für die Verletzung des Unfallbeteiligten entscheidend, dass er nur wegen des Auffahrunfalls aus seinem Fahrzeug ausstieg und über die eisglatte Fahrbahn ging, um die Unfallstelle zu besichtigen und zum Gehsteig zu gelangen. Der vom Berufungsgericht gezogene Vergleich mit einem beliebigen anderen Fußgänger, der zu dieser Zeit auf den Straßen des Unfallorts unterwegs war, lässt dies unberücksichtigt. Ohne den Unfall hätte der Unfallbeteiligte sein Fahrzeug an der Unfallstelle nicht verlassen und wäre auch nicht infolge der dort bestehenden Eisglätte gestürzt. In dem Sturz des Unfallbeteiligten realisierte sich mithin die besondere Gefahrenlage für die an einem Unfall beteiligten Fahrzeugführer, die zur Aufnahme der erforderlichen Feststellungen für eine gegebenenfalls notwendige Schadensabwicklung aus dem Fahrzeug aussteigen und sich auf der Fahrbahn bewegen müssen. Der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang mit dem von der Unfallverursacherinn verschuldeten Unfall kann danach nicht verneint werden.
Die vom Unfallbeteiligten geltend gemachten Unfallfolgen fallen auch in den Schutzbereich der von der Unfallverursacherinn verletzten Vorschriften. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es anerkannt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird. Eine Haftung besteht nur für diejenigen äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde [3]. Der geltend gemachte Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein „äußerlicher“, gleichsam „zufälliger“ Zusammenhang genügt nicht. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten [4]. Diese Frage ist nicht nur in Fällen der Haftung aus der Verletzung eines Schutzgesetzes [5] zu stellen, sondern auch für § 823 Abs. 1 BGB und § 7 StVG. Dem Täter sollen nur solche Folgen zugerechnet werden, die durch den Gebots- und Verbotszweck der Norm verhindert werden sollen. Hiernach sind Sinn und Tragweite der verletzten Norm zu untersuchen, um zu klären, ob der geltend gemachte Schaden durch diese Norm verhütet werden sollte.
Die gegenteilige Auffassung fasst es den Schutzbereich der von der Unfallverursacherinn missachteten straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften der § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 StVO zu eng. Deren Schutzzweck erstreckt sich, wie schon aus § 1 StVO zu entnehmen ist, auf die Verhütung von Unfallrisiken und die mit dieser Bedrohung für Leben und Gesundheit in einem inneren Zusammenhang stehenden Gesundheitsschäden. Hierzu können auch erst im Anschluss an den Verkehrsunfall also bei der Bergung oder bei der Unfallaufnahme erlittene Verletzungen gehören, in denen sich die Gefahren des Straßenverkehrs an der Unfallstelle verwirklichen [6]. Mithin wird auch der durch den Sturz bedingte Schaden des Unfallbeteiligten vom Schutzzweck der von der Unfallverursacherinn missachteten Straßenverkehrsvorschriften umfasst.
Gefährdungshaftung gemäß §§ 7, 11 StVG
Darüber hinaus bejaht der Bundesgerichtshof auch Ansprüche des Unfallbeteiligten gegen die Unfallverursacherin aus Gefährdungshaftung gemäß §§ 7, 11 StVG:
Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verletzt worden ist. Auch das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass dieses Haftungsmerkmal nach der Rechtsprechung des erkennenden Bundesgerichtshofs entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen ist. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit-)geprägt worden ist [7]. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist [8]. An dem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es dann, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will [9]. Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es außerdem maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht [10].
Nach diesen Grundsätzen ist die Verletzung des Unfallbeteiligten der vom Fahrzeug der Unfallverursacherinn ausgehenden Betriebsgefahr zuzurechnen. Auch das Berufungsgericht bejaht zutreffend den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Auffahrunfall und dem Sturz des Unfallbeteiligten. Anders als das Berufungsgericht meint, fällt der Schaden des Unfallbeteiligten jedoch gerade nicht deshalb in einen Gefahrenkreis, der unabhängig von der Betriebsgefahr bestand, weil zur Zeit des Unfalls auf den Straßen des Unfallortes eine allgemeine Eisglätte herrschte. Anders als in dem vom Berufungsgericht für seine Auffassung zitierten BGH, Urteil vom 02.07.1991 – VI ZR 6/91, BGHZ 115, 84 ff. verwirklichte sich beim Sturz des Unfallbeteiligten nicht ein von ihm selbst eröffneter eigenständiger Gefahrenkreis, dessen Risiken er selbst tragen muss. Vielmehr wurde der Unfallbeteiligte durch den beim Betrieb des Fahrzeugs von der Unfallverursacherinn verursachten Auffahrunfall erst veranlasst, aus seinem Pkw auszusteigen und über die eisglatte Fahrbahn zu gehen, um sich über die Unfallfolgen zu informieren.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Februar 2013 – VI ZR 116/12
- vgl. BGH, Urteile vom 10.02.2004 – VI ZR 218/03, VersR 2004, 529, 530 und vom 05.10.2010 – VI ZR 286/09, VersR 2010, 1662 Rn.20[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 10.02.2004 – VI ZR 218/03 und vom 05.10.2010 – VI ZR 286/09, jeweils aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 22.04.1958 – VI ZR 65/57, BGHZ 27, 137, 140 ff.; vom 06.06.1989 – VI ZR 241/88, BGHZ 107, 359, 364; vom 07.06.1968 – VI ZR 1/67, VersR 1968, 800, 802 f. und vom 22.05.2012 – VI ZR 157/11, VersR 2012, 905 Rn. 14; BGH, Urteile vom 11.06.2010 – V ZR 85/09, NJW 2010, 2873 Rn. 24; vom 11.01.2005 – X ZR 163/02, NJW 2005, 1420, 1421; Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., vor § 249 Rn. 29 f. mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 20.09.1988 – VI ZR 37/88, VersR 1988, 1273, 1274; vom 06.05.2003 – VI ZR 259/02, VersR 2003, 1128, 1130; BGH, Urteil vom 14.03.1985 – IX ZR 26/84, NJW 1986, 1329, 1332, jeweils mwN[↩]
- § 823 Abs. 2 BGB[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 06.06.1989 – VI ZR 241/88, BGHZ 107, 359, 364[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 05.07.1988 – VI ZR 346/87, BGHZ 105, 65, 66 f.; vom 31.01.2012 – VI ZR 43/11, BGHZ 192, 261 Rn. 17; vom 19.04.1988 – VI ZR 96/87, VersR 1988, 641; vom 06.06.1989 – VI ZR 241/88, VersR 1989, 923, 924 f. und vom 03.07.1990 – VI ZR 33/90, VersR 1991, 111, 112[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 03.07.1962 – VI ZR 184/61, BGHZ 37, 311, 315 ff.; vom 27.01.1981 – VI ZR 204/79, BGHZ 79, 259, 262 f.; vom 31.01.2012 – VI ZR 43/11 aaO; vom 06.06.1989 – VI ZR 241/88 aaO und vom 03.07.1990 – VI ZR 33/90 aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2005 – VI ZR 168/04, VersR 2005, 992, 993 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 11.07.1972 – VI ZR 86/71, VersR 1972, 1074 f.; vom 10.10.1972 – VI ZR 104/71, VersR 1973, 83 f. und vom 10.02.2004 – VI ZR 218/03, VersR 2004, 529, 531[↩]