Die Rechtsbeschwerde gegen die Anordnung einer Sicherheitsleistung durch das Beschwerdegericht ist nicht statthaft.

Die auf Art. 46 Abs. 3 EuGVVO aF gestützte Anordnung des Beschwerdegerichts ist keine nach Art. 44 EuGVVO aF, § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO anfechtbare Entscheidung, weil sie nicht über einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung im Sinne von Art. 43 EuGVVO aF ergangen ist.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorgängervorschrift Art. 37 Abs. 2 EuGVÜ waren mit dem autonom auszulegenden Begriff der „Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist“, nur Entscheidungen gemeint, die über die Begründetheit des Rechtsbehelfs gegen die Zulassung der Vollstreckung im Sinne von Art. 36 EuGVÜ befanden. Nicht erfasst waren hingegen Entscheidungen des Rechtsbehelfsgerichts nach Art. 38 EuGVÜ über die Aussetzung des Verfahrens oder die Anordnung einer Sicherheitsleistung, waren sie auch formell gesehen Teil des gleichen Gerichtsentscheids [1]. Lehnte das Rechtsbehelfsgericht zugleich mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf betreffend die Zulassung der Vollstreckung eine Aussetzung des Verfahrens ab oder ordnete es die Leistung einer Sicherheit an, enthielt der Gerichtsentscheid zwei voneinander zu unterscheidende Teile: Die gemäß Art. 37 Abs. 2 EuGVÜ anfechtbare Entscheidung nach Art. 36 Abs. 1 EuGVÜ und die gemäß Art. 37 Abs. 2 EuGVÜ nicht anfechtbare Entscheidung nach Art. 38 EuGVÜ [2].
Diese enge Auslegung ist auch für die im Streitfall einschlägigen Nachfolgeregelungen der Artt. 44, 46 EuGVVO aF zu beachten.
Die Auslegungsgrundsätze zum EuGVÜ sind auf die EuGVVO aF zu übertragen, soweit deren Vorschriften als gleichbedeutend angesehen werden können [3]. Diese Voraussetzung ist gegeben.
EuGVVO aF bestimmt mit nahezu identischem Wortlaut zu Art. 37 Abs. 2 EuGVÜ den möglichen Gegenstand des weiteren Rechtsbehelfs; Unterschiede ergeben sich nur aus der Verweisung auf die im Anhang – IV vorgesehenen mitgliedstaatlichen Rechtsbehelfe. Die vom Gerichtshof im Rahmen der systematischen Auslegung herangezogenen Bestimmungen zum Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des mit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung befassten Gerichts (Art. 36 Abs. 1 EuGVÜ) und zu den Anordnungsbefugnissen des Rechtsbehelfsgerichts bei einer im Ursprungsstaat noch nicht rechtskräftigen Entscheidung (Art. 38 EuGVÜ) entsprechen in ihrem wesentlichen Regelungsgehalt den Art. 43 Abs. 1 und Art. 46 Abs. 1 und 3 EuGVVO aF, die den genannten Bestimmungen aus dem Brüsseler Übereinkommen nachgebildet sind [4]. Art. 43 Abs. 1 EuGVVO aF fasst lediglich die im Brüsseler Übereinkommen in Abhängigkeit vom Ausgang des Verfahrens vor dem mit dem Antrag befassten Gericht getrennt geregelten Vorschriften zu den Rechtsbehelfen von Antragsteller und Schuldner (Art. 40 Abs. 1, Art. 36 Abs. 1 EuGVÜ und Art. 37 Abs. 2, Art. 41 EuGVÜ) zusammen, so dass die gerichtlichen Anordnungsbefugnisse nach Art. 46 Abs. 1 EuGVVO aF unabhängig davon bestehen, wer Rechtsbehelfsführer im Vollstreckbarerklärungsverfahren ist. Die Neuregelung erstreckt die Anordnungsbefugnisse zudem auf das Gericht des weiteren Rechtsbehelfs. Indessen gibt es weiterhin keine ausdrückliche Regelung zur Anfechtbarkeit von Entscheidungen über den Aussetzungsantrag oder die Anordnung einer Sicherheitsleistung.
Angesichts der gegenüber dem Brüsseler Übereinkommen unveränderten Zielsetzung, den freien Verkehr der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch Vereinfachung der Formalitäten im Hinblick auf ihre rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung zu gewährleisten (vgl. Erwägungsgründe 2, 6 und 17 der EuGVVO aF), und der vom Verordnungsgeber angestrebten Kontinuität zum Brüsseler Übereinkommen (Erwägungsgründe 5 aE und 19) bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der EuGVVO aF eine Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten im Hinblick auf Nebenentscheidungen des Beschwerdegerichts über die Aussetzung oder Anordnung von Sicherheitsleistungen gewollt gewesen wäre. Vielmehr spricht Erwägungsgrund 18 Satz 2 davon, dass dem Antragsteller (nur) für den Fall der Ablehnung seines Antrags auf Vollstreckbarerklärung ein Rechtsbehelf möglich sein muss. Zudem waren die Änderungen im Verfahren zur Vollstreckbarerklärung von der Erwägung getragen, dieses Verfahren weiter zu straffen (vgl. Erwägungsgründe 17 und 18 EuGVVO aF) [5]. Die deutsche Kommentarliteratur hat die enge Auslegung des Gerichtshofs zum Brüsseler Übereinkommen ebenfalls für das EuGVVO aF übernommen [6].
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. Oktober 2016 – IX ZB 11/16
- EuGH, Urteil vom 04.10.1991, C183/90, van Dalfsen /van Loon, Slg. 1991, I4743, 4765 Rn. 21 bis 24; vom 11.08.1995, C432/93, Sisro, Slg. 1995, I2269, 2288 Rn. 28 ff; zur isolierten Anfechtung der Weigerung, solche Maßnahmen anzuordnen: BGH, Beschluss vom 21.04.1994 – IX ZB 8/94, NJW 1994, 2156, 2157 unter II. 1. und 3.[↩]
- EuGH, Urteil vom 04.10.1991, aaO, Rn. 23 f; vgl. auch Generalanwalt van Gerven in der Rechtssache van Dalfsen /van Loon, Slg. 1991, I4743, 4755 Nr. 11 ff[↩]
- etwa EuGH, Urteil vom 14.05.2009, C180/06, Ilsinger, Slg. 2009, I3961 Rn. 41; vom 14.03.2013, C419/11, ?eská spo?itelna /Gerald Feichter, RIW 2013, 292 Rn. 27 mwN; vom 28.01.2015, C375/13, Kolassa /Barclays Bank, NJW 2015, 1581 Rn. 21; vgl. für Art. 13 Abs. 1 EuGVÜ und Art. 15 Abs. 1 EuGVVO aF BGH, Urteil vom 30.03.2006 – VII ZR 249/04, BGHZ 167, 83 Rn.19; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Einl EuGVO Rn. 68; zur Übertragung der Auslegung zu EuGVÜ und EuGVVO aF auf die LuganoÜbereinkommen BGH, Urteil vom 24.06.2014 – VI ZR 315/13, WM 2014, 1614 Rn.20[↩]
- zu Art. 38 EuGVÜ, Art. 46 EuGVVO aF Althammer in Simons/Hausmann, Brüssel I‑Verordnung, 2012, Art. 46 Rn. 1 mwN[↩]
- OGH Wien, Beschluss vom 25.03.2004 – 3 Ob 20/04v, unter 1.,; vom 27.04.2005 – 3 Ob 23/05m[↩]
- MünchKomm-ZPO/Gottwald, ZPO, 4. Aufl., Art. 46 EuGVVO aF Rn. 9; Mäsch in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl., Art. 44 Brüssel I‑VO Rn. 3 und Art. 46 Brüssel I‑VO Rn. 15; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 44 Brüssel I‑VO Rn. 2 und Art. 46 Brüssel I‑VO Rn. 22; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 44 EuGVO Rn. 5 und Art. 46 EuGVVO Rn. 10; Althammer in Simons/Hausmann, Brüssel I‑Verordnung, 2012, Art. 46 Rn. 15[↩]
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