Das Selbsttitulierungsrecht von Oldenburger Kreditinstituten

Das im niedersächsischen Landesrecht enthaltene Selbsttitulierungsrecht zweier öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.

Das Selbsttitulierungsrecht von Oldenburger Kreditinstituten

So das Bundesverfassungsgericht in den hier vorliegenden Fällen der Bremer Landesbank Kreditanstalt Oldenburg – Girozentrale – und der Landessparkasse zu Oldenburg, denen im niedersächsischen Landesrecht eingeräumt wird, die Zwangsvollstreckung ihrer Forderungen aufgrund eines von ihnen selbst gestellten Antrags zu betreiben, der einen vollstreckbaren Titel ersetzt (Selbsttitulierungsrecht). Zur Durchsetzung ihrer Forderungen müssen diese Kreditinstitute also nicht zuvor ein Urteil in einem Zivilprozess oder einen Titel im Mahnverfahren erwirken.

Die beiden Richtervorlagen betreffen zwei weitgehend inhaltsgleiche Bestimmungen des niedersächsischen Landesrechts. Die Vorlage des Oberlandesgerichts Oldenburg (1 BvL 8/11) betrifft eine Vorschrift des niedersächsischen Landesrechts, die der Bremer Landesbank Kreditanstalt Oldenburg – Girozentrale – ein Selbsttitulierungsrecht einräumt. Die Vorlage des Amtsgerichts Oldenburg (1 BvL 22/11) bezieht sich auf eine weitgehend inhaltsgleiche Regelung, die zu Gunsten der Landessparkasse zu Oldenburg wirkt.

Die beiden genannten Kreditinstitute treiben ihre Forderungen nach geltendem Recht im zivilprozessrechtlichen Zwangsvollstreckungsverfahren bei. Die zur Prüfung vorgelegten Vorschriften stellen die Vollstreckungsanträge der beiden Kreditinstitute einem vollstreckbaren Titel gleich. Sie befreien die genannten Kreditinstitute davon, einen Vollstreckungstitel und eine Vollstreckungsklausel nachweisen zu müssen.

Ohne Selbsttitulierungsrecht müssen Gläubiger eines Anspruchs grundsätzlich Klage erheben, um den Anspruch titulieren zu lassen (§ 704 ZPO). In der Bankpraxis ist es zudem üblich, dass sich Kreditinstitute bei dinglich besicherten Darlehen eine notariell beurkundete Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung erteilen lassen (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Diese ist jedoch mit Notarkosten verbunden. Zudem ermöglicht sie nicht die sofortige Vollstreckung; die Bank muss sich vom Notar zunächst eine vollstreckbare Ausfertigung erteilen lassen, den Schuldtitel dem Schuldner zustellen und danach eine zweiwöchige Wartefrist einhalten.

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind die vorlgelegten Regelungen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Denn sie gewähren nur der Bremer Landesbank Kreditanstalt Oldenburg – Girozentrale – und der Landessparkasse zu Oldenburg ein Selbsttitulierungsrecht. Zugunsten von drei weiteren öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten existiert in Niedersachsen eine inhaltsgleiche Vorschrift, die jedoch nicht zur Prüfung vorgelegt ist. Den niedersächsischen Privatbanken, den in Niedersachen tätigen überregionalen Privatbanken und den übrigen niedersächsischen Sparkassen steht eine solche Befugnis nicht zu.

Es sind keine tragfähigen sachlichen Gründe erkennbar, die diese Ungleichbehandlung der begünstigten Kreditinstitute rechtfertigen könnten. Eine Rechtfertigung folgt weder aus der Beschränkung ihres Gewinnerzielungsinteresses durch öffentliche Belange noch aus ihrem öffentlichen Auftrag, alle Bevölkerungskreise und insbesondere den Mittelstand mit kreditwirtschaftlichen Leistungen zu versorgen. Diese Ziel- und Zweckbestimmungen treffen in gleichem Maße auf alle anderen niedersächsischen Sparkassen zu. Überdies fehlt es an einem hinreichend deutlichen inneren Zusammenhang mit der vollstreckungsrechtlichen Begünstigung. Bei dem für die Selbsttitulierung in erster Linie in Betracht kommenden Kreditgeschäft stehen die begünstigten Institute im Wettbewerb mit den Geschäftsbanken, denen kein Selbsttitulierungsrecht zusteht. Dass die begünstigten Institute – wegen ihrer Verpflichtung zur Beachtung der Grundrechte als Anstalten des öffentlichen Rechts – den Schutz des Schuldners ohne vorhergehendes gerichtliches Verfahren zur Titulierung des Anspruchs gewährleistet sehen, rechtfertigt jedenfalls diesen Wettbewerbsvorteil gegenüber im selben Geschäftsfeld tätigen privaten Kreditinstituten nicht.

Dies führt jedoch nicht zur sofortigen Nichtigkeit der vorgelegten Regelungen. Die noch nicht abgeschlossenen Zwangsvollstreckungen auf Grundlage der vorgelegten Normen wären im Falle der Nichtigerklärung mit erheblichen Unsicherheiten belastet, die in vielen Vollstreckungsverfahren von den Gerichten zu klären wären. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet daher die weitere Anwendbarkeit der beanstandeten Vorschriften für alle bereits eingeleiteten Vollstreckungsverfahren. Zudem haben die betroffenen Kreditinstitute wegen des Selbsttitulierungsrechts bisher auf die übliche Bankpraxis verzichtet, sich bei dinglich besicherten Darlehen vom Schuldner die notariell beurkundete Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung erteilen zu lassen. Den begünstigten Kreditinstituten ist daher eine Übergangsfrist von einem Jahr ab dem 31. Januar 2013 zu gewähren, in der die bisherigen Regelungen weiter Grundlage für die Zwangsvollstreckung sein können. Über diesen Zeitpunkt hinaus bleibt die Selbsttitulierung bei bestimmten Rechtsgeschäften möglich, die vor dem 1. Februar 2013 abgeschlossen worden sind.

    1. § 21 Satz 2 des Gesetzes für den Freistaat Oldenburg betreffend die Staatliche Kreditanstalt Oldenburg (Staatsbank) vom 22. September 19331 und
    2. § 16 Absatz 2 Satz 2 des Gesetzes für den Landesteil Oldenburg betreffend die Landessparkasse zu Oldenburg vom 3. Juli 19332 Seite 150

    sind mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar.

  1. Die Vorschriften sind weiter anwendbar, soweit der schriftliche Antrag des Gläubigers auf Zwangsvollstreckung bereits gestellt worden ist oder bis zum Ablauf von einem Jahr ab dem 31. Januar 2013 gestellt wird.

    Über diesen Zeitpunkt hinaus ersetzt der schriftliche Antrag des Gläubigers auf Zwangsvollstreckung den vollstreckbaren, zugestellten Schuldtitel für Geldforderungen aus Darlehen, die durch ein Grundpfandrecht gesichert sind, und aus Grundpfandrechten, soweit der Darlehensvertrag und die Vereinbarung über die Bestellung oder Abtretung der Grundpfandrechte vor dem 1. Februar 2013 geschlossen worden ist.

Formelle Verfassungsgemäßheit

Die Regelung des § 21 Satz 2 des Gesetzes für den Freistaat Oldenburg betreffend die Staatliche Kreditanstalt Oldenburg (Staatsbank) und die Vorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes für den Landesteil Oldenburg betreffend die Landessparkasse zu Oldenburg sind mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht vereinbar.

Die formelle Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Vorschriften wird allerdings in den Vorlagebeschlüssen zu Recht nicht in Frage gestellt. Insbesondere besteht die Gesetzgebungskompetenz des Landes. Die zivilprozessuale Zwangsvollstreckung ist gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Der Bund hat von dieser Kompetenz im 8. Buch der Zivilprozessordnung zwar erschöpfend Gebrauch gemacht. Landesrechtliche Regelungen bleiben jedoch insoweit zulässig, als das Bundesrecht Vorbehalte zugunsten der Landesgesetzgebung enthält3. In diesem Sinne eröffnet § 801 Abs. 1 ZPO den Landesgesetzgebern die Möglichkeit, die gerichtliche Zwangsvollstreckung aufgrund anderer als der in den §§ 704, 794 ZPO bezeichneten Schuldtitel zuzulassen, so dass insoweit keine Sperrwirkung für die Länder besteht (Art. 72 Abs. 1 GG).

Verstoß gegen den Allgemeinen Gleichheitssatz

Die vorgelegten Regelungen verletzen jedoch den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen4. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können5. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht nur, dass die Ungleichbehandlung an ein der Art nach sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpft, sondern verlangt auch für das Maß der Differenzierung einen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist. Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können6.

Nach diesen Grundsätzen sind die vorgelegten Regelungen selbst bei Anlegung eines zurückgenommenen Prüfungsmaßstabs mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Gründe, die nach Art und Gewicht geeignet wären, die durch § 21 Satz 2 OL-StaatsbankG und § 16 Abs. 2 Satz 2 OL-LSpkG bewirkte Ungleichbehandlung in ihrem Ausmaß zu rechtfertigen, sind nicht erkennbar.

Die begünstigten Kreditinstitute – die Bremer Landesbank und die Landessparkasse zu Oldenburg – werden im Vergleich zu anderen Kreditinstituten, die in demselben Geschäftsfeld tätig sind und denen kein Selbsttitulierungsrecht zusteht, ungleich behandelt.

Die beanstandeten Normen gewähren nur der Bremer Landesbank und der Landessparkasse zu Oldenburg ein entsprechendes Selbsttitulierungsrecht. Zugunsten von drei weiteren öffentlichrechtlichen Kreditinstituten existiert in Niedersachsen eine inhaltsgleiche Vorschrift (§ 79 NVwVG). Den niedersächsischen Privatbanken, den in Niedersachen tätigen überregionalen Privatbanken und den übrigen niedersächsischen Sparkassen steht eine solche Befugnis indes nicht zu.

Das dadurch bewirkte Ausmaß der Ungleichbehandlung ist nicht unerheblich. Ohne Selbsttitulierungsrecht müssen Gläubiger eines Anspruchs grundsätzlich Klage erheben, um den Anspruch titulieren zu lassen (§ 704 ZPO). Dies ist mit einem erheblichen Zeitaufwand und der dadurch bedingten Gefahr einer Verschlechterung der Vermögenssituation des Schuldners sowie mit Kosten verbunden. Die in der Bankpraxis bei dinglich besicherten Darlehen sonst übliche notariell beurkundete Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) ist nicht geeignet, dieser Ungleichbehandlung ihr Gewicht zu nehmen. Der Schuldner muss bereit sein, die Unterwerfungserklärung in der gesetzlich bestimmten Form abzugeben. Zudem ermöglicht die Unterwerfungserklärung nicht die sofortige Vollstreckung. Die Bank muss sich vom Notar zunächst eine vollstreckbare Ausfertigung erteilen lassen (§ 797 Abs. 2 ZPO), den Schuldtitel dem Schuldner zustellen (§ 750 Abs. 1, § 795 ZPO) und danach eine zweiwöchige Wartefrist einhalten (§ 798 ZPO). Die notarielle Beurkundung der Zwangsvollstreckungsunterwerfung verursacht überdies Notarkosten. Insoweit sind die vom Selbsttitulierungsrecht begünstigten Kreditinstitute im Wettbewerb bevorteilt: Sie können ihre Darlehen günstiger anbieten, ohne vollstreckungsrechtliche Aufwände und Beschwernisse hinnehmen zu müssen, denen ihre Wettbewerber namentlich im Geschäftsbankenbereich ausgesetzt sind.

Es lassen sich keine tragfähigen sachlichen Gründe finden, die die festgestellte Ungleichbehandlung gegenüber den privaten und gegenüber anderen öffentlichrechtlich verfassten Kreditinstituten in Niedersachsen rechtfertigen könnten.

Die vollstreckungsrechtliche Privilegierung lässt sich in den hier in Rede stehenden Fällen weder – wie die Bremer Landesbank meint – mit einem durch öffentliche Belange eingeschränkten Gewinnerzielungsinteresse noch – wie die Landessparkasse zu Oldenburg geltend macht – mit deren öffentlichem Auftrag, alle Bevölkerungskreise und insbesondere den Mittelstand mit kreditwirtschaftlichen Leistungen zu versorgen, rechtfertigen.

Diese Ziel- und Zweckbestimmungen für die Geschäftspolitik sind als Sachgrund für eine gleichheitsgerechte Differenzierung zwar nicht schon im Ansatz ausgeschlossen, hier aber bereits deshalb nicht tragfähig, weil sie in gleichem Maße auf alle anderen niedersächsischen Sparkassen zutreffen, denen ein solches Recht zur Selbsttitulierung nicht eingeräumt ist. Hierauf hat auch die niedersächsische Landesregierung in ihrem Entwurf eines Rechtsvereinfachungsgesetzes 1990, das die Aufhebung der Selbsttitulierungsrechte vorsah, ausdrücklich hingewiesen7.

Überdies können das durch öffentliche Interessen begrenzte Gewinnerzielungsbestreben der Bremer Landesbank (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 2 des Staatsvertrages zwischen der Freien Hansestadt Bremen und dem Land Niedersachsen über die Bremer Landesbank) und die öffentliche Aufgabe der Landessparkasse zu Oldenburg, eine angemessene Versorgung insbesondere des Mittelstandes mit Kreditmitteln zu gewährleisten (vgl. § 2 Abs. 1 der Satzung der Landessparkasse zu Oldenburg; § 4 Abs. 1 Satz 1 NSpG), zur Rechtfertigung des Titulierungsrechts mangels hinreichenden Zusammenhangs nicht herangezogen werden. Zwar können grundsätzlich Aufgaben im öffentlichen Interesse die Begründung von Vorrechten, die sich als Wettbewerbsvorteile auswirken, rechtfertigen. Es fehlt insoweit vorliegend jedoch an einem hinreichend deutlichen Zusammenhang mit der in Rede stehenden vollstreckungsrechtlichen Begünstigung.

Bei dem für die Selbsttitulierung in erster Linie in Betracht kommenden Kreditgeschäft stehen die Bremer Landesbank und die Landessparkasse zu Oldenburg im Wettbewerb mit den Geschäftsbanken, denen kein Selbsttitulierungsrecht zusteht. Dies verdeutlichen die bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Verfahren, denen jeweils Darlehen ohne erkennbaren Bezug zu dem Bereich der Wirtschaftsförderung zugrunde liegen, in dem die hier in Rede stehenden öffentlichrechtlichen Kreditinstitute eine gewisse Sonderstellung einzunehmen vermögen. Möglicherweise in anderen Geschäftsbereichen bestehende Wettbewerbsbeschränkungen zugunsten öffentlichrechtlicher Banken, die dort eine besondere Behandlung gegebenenfalls zu rechtfertigen vermögen, können die hier festgestellte Ungleichbehandlung indes nicht ausgleichen8. Es ist nicht belegt oder auch nur plausibel, dass die Bremer Landesbank in einer für die allgemeine Betrachtung maßgeblichen Zahl von Fällen wegen „besonderer öffentlicher Interessen“ auf die vollstreckungsrechtliche Durchsetzung begründeter Forderungen verzichten würde. Ebenso wenig steht die allen Sparkassen obliegende Aufgabe, die Bevölkerung in ihrem Geschäftsgebiet mit geld- und kreditwirtschaftlichen Leistungen zu versorgen, in einem hinreichenden inneren Zusammenhang mit dem Vorteil, die Forderungen schneller und kostengünstiger als andere Banken zwangsweise durchsetzen zu können. Soweit die Landessparkasse zu Oldenburg die Auffassung vertritt, die zügige und kostengünstige Vollstreckungsmöglichkeit stelle sicher, dass Gelder schnell wieder zur Verfügung stünden und erneut als Kreditmittel ausgereicht werden könnten, beschreibt dies nur den gerade zu beanstandenden Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Banken. Auch wenn dieser Vorteil den hier betroffenen öffentlichrechtlichen Kreditinstituten mittelbar erlaubt, ihre öffentlichen Aufgaben effektiver wahrzunehmen, so fehlt es doch an einem konkreten Bezug des Selbsttitulierungsrechts zur Mittelstandsförderung.

Eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung kommt auch nicht, wie die Niedersächsische Landesregierung meint, unter dem Gesichtspunkt einer wirtschaftslenkenden Maßnahme in Betracht. Hier ist schon nicht ersichtlich, dass der niedersächsische Landesgesetzgeber mit dem Festhalten an den in Rede stehenden Vorschriften solche wirtschaftslenkende Zwecke hätte verfolgen wollen. So ist im Gesetzgebungsverfahren zum Rechtsvereinfachungsgesetz 1990, das ursprünglich die Abschaffung der Selbsttitulierungsrechte vorsah, im Gegenteil eine nicht gerechtfertigte Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der anderen Kreditinstitute hervorgehoben worden9. Die geplante Aufhebung der Vorschriften wurde lediglich im Blick darauf nicht verabschiedet, dass der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen empfahl, „das sogenannte Titulierungsrecht einiger entsprechend bevorrechtigter Kreditinstitute mit Rücksicht auf althergebrachte Rechte und die fehlende Erkennbarkeit zwingender Verbraucherschutzinteressen und etwaiger gravierender Wettbewerbsverzerrungen derzeit – zumindest vorläufig – beizubehalten“10.

Des Weiteren kann die vollstreckungsrechtliche Bevorzugung nicht damit gerechtfertigt werden, dass die begünstigten Kreditinstitute als Anstalten öffentlichen Rechts an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) gebunden sind11. Dass die Bremer Landesbank und die Landessparkasse zu Oldenburg wegen ihrer Verpflichtung zur Beachtung der Grundrechte des Schuldners deren Schutz ohne vorhergehendes gerichtliches Verfahren zur Titulierung des Anspruchs gewährleistet sehen, rechtfertigt jedenfalls diesen Wettbewerbsvorteil gegenüber im selben Geschäftsfeld tätigen privaten Kreditinstituten nicht.

Ebenso wenig lässt sich das Selbsttitulierungsrecht darauf stützen, dass die Bremer Landesbank und die Landessparkasse zu Oldenburg im Vergleich zu den Privatbanken, die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und der Bundesbank kontrolliert werden, einer zusätzlichen Staatsaufsicht unterstehen. Die zur Prüfung gestellten Vorschriften räumen den Kreditinstituten gerade das Recht ein, ihre Ansprüche eigenständig zu titulieren. Die Aufsicht könnte allenfalls kontrollieren, ob die Voraussetzungen der Selbsttitulierung (zum Beispiel die Antragstellung durch den Vorstand) ordnungsgemäß gehandhabt werden. Dass der titulierte Anspruch im Einzelfall tatsächlich besteht, kann von der allgemeinen Staatsaufsicht im Rahmen der ihr obliegenden Rechtmäßigkeitskontrolle nicht gewährleistet werden.

Zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung kann weiter nicht darauf abgestellt werden, dass die von anderen privaten Kreditinstituten üblicherweise verlangte notarielle Zwangsvollstreckungsunterwerfung (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) für den Schuldner wegen der damit verbundenen Kosten nachteilig sei. Damit ist lediglich der Wettbewerbsvorteil der begünstigten Kreditinstitute benannt, um dessen Rechtfertigung es gerade geht.

Schließlich ist für die zur Prüfung gestellte Regelung des § 16 Abs. 2 Satz 2 OL-LSpkG12 – anders als die Landessparkasse zu Oldenburg meint – der sogenannten Traditionsklausel der niedersächsischen Landesverfassung (Art. 72 Abs. 2 LV) kein sachgerechter Differenzierungsgrund zu entnehmen. Ungeachtet des Vorrangs des Bundesrechts vor dem Landesrecht (Art. 31 GG) ist die Gewährleistung des Art. 72 Abs. 2 LV durch ein Entfallen des Selbsttitulierungsrechts der Landessparkasse zu Oldenburg nicht berührt. Es ist nicht erkennbar, dass das Selbsttitulierungsrecht der Landessparkasse eine „überkommene heimatgebundene Einrichtung“ des ehemaligen Landes Oldenburg wäre und im „Bewusstsein der eingesessenen Bevölkerung“ verankert sein könnte13. Dass der Bestand des Kreditinstituts nicht vom Fortbestehen des Selbsttitulierungsrechts abhängt, räumt die Landessparkasse zu Oldenburg selbst ein.

Selbsttitulierungsrecht und Rechtsprechungsmonopol

Danach sind die Regelungen des § 21 Satz 2 des Gesetzes für den Freistaat Oldenburg betreffend die Staatliche Kreditanstalt Oldenburg (Staatsbank) und des § 16 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes für den Landesteil Oldenburg betreffend die Landessparkasse zu Oldenburg mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Die Frage, ob sie mit den Erfordernissen effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art.20 Abs. 3 GG beziehungsweise Art.19 Abs. 4 GG) und mit dem Rechtsprechungsmonopol (Art. 92 GG) in Einklang stehen, kann deswegen offenbleiben.

Verfassungswidrigkeit und Übergangsbestimmungen

Die Verfassungswidrigkeit der vorgelegten gesetzlichen Vorschriften ist auszusprechen (§ 81 BVerfGG), führt hier jedoch nicht zu deren Nichtigkeit (§ 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 Satz 1 BVerfGG). Die Regelungen haben vielmehr für bestimmte Fallgruppen weiter anwendbar zu bleiben, um die Rechtssicherheit unter den Betroffenen nicht zu gefährden und die Normverwerfung nicht auf der Rechtsfolgenseite in einen wettbewerbsbenachteiligenden Effekt für die bislang begünstigten öffentlichrechtlichen Kreditinstitute umschlagen zu lassen.

Eine bloße Unvereinbarkeitserklärung verbunden mit der Anordnung einer – etwa auch nur befristeten – weiteren Anwendbarkeit der als verfassungswidrig zu beanstandenden Regelung ist geboten, wenn durch die Nichtigerklärung der Norm ein Zustand geschaffen würde, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt wäre als der bisherige14. Neben den Grundrechten ist vor allem das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in der Ausprägung des Prinzips der Rechtssicherheit als ein Rechtsgut anerkannt, zu dessen Schutz die befristete weitere Anwendbarkeit einer nicht verfassungskonformen Regelung gerechtfertigt und geboten sein kann. So kann es sich verhalten, wenn mit der Nichtigerklärung der angegriffenen Regelung rechtliche Verhältnisse einträten, aufgrund derer sowohl bei den Gerichten als auch bei den Rechtsunterworfenen Unsicherheit über die Rechtslage entstünde15.

Dem steht hier nicht entgegen, dass die betroffenen öffentlichrechtlichen Kreditanstalten nicht den Schutz materieller Grundrechte genießen16. Hier geht es um das jenseits des Kataloges der materiellen Grundrechte im Rechtsstaatsprinzip (Art.20 Abs. 3 GG) verankerte Gebot der Rechtssicherheit als allgemeinem Verfassungsgrundsatz und in seiner objektivrechtlichen Bedeutung für den Rechtsfolgenausspruch im Rahmen einer Normenkontrolle.

Ein solcher Ausnahmefall, in dem die verfassungsrechtlich zu beanstandenden Vorschriften für eine Übergangszeit und für bestimmte Fallgestaltungen weiter anwendbar bleiben müssen, ist hier gegeben.

Würden die zur Prüfung gestellten Regelungen für nichtig erklärt, hätten die betroffenen Kreditinstitute für ihre bereits begründeten Forderungen keine Vollstreckungstitel inne. Dies würde insbesondere sämtliche bereits laufenden Zwangsvollstreckungsverfahren betreffen und die Rechtssicherheit hinsichtlich bereits durchgeführter Vollstreckungsmaßnahmen beeinträchtigen (vgl. § 79 Abs. 2 BVerfGG). Nach der in der fachrechtlichen Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Meinung sind Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach der Zivilprozessordnung bei Fehlen eines wirksamen Vollstreckungstitels nichtig17. Jedenfalls wären solche Maßnahmen fehlerbehaftet und anfechtbar. Die auf der Grundlage der in Rede stehenden landesrechtlichen Normen durchgeführten, noch nicht abgeschlossenen Zwangsvollstreckungen wären deshalb im Falle der Nichtigerklärung der Normen mit erheblichen Unsicherheiten belastet, die in vielen Vollstreckungsverfahren von den Gerichten zu klären wären.

Darüber hinaus wären die betroffenen Kreditinstitute bei einer Nichtigerklärung der Normen gehalten, sich einen Schuldtitel im Sinne der §§ 704, 794 ZPO zu verschaffen, um ihre Forderungen vollstrecken zu können. Für die Bremer Landesbank und die Landessparkasse zu Oldenburg erwiese sich die sie bisher gleichheitswidrig begünstigende Rechtslage nach einer Nichtigerklärung im Ergebnis als nachteilig: Wegen des ihnen eingeräumten Selbsttitulierungsrechts haben die betroffenen Kreditinstitute bei Begründung der Verbindlichkeiten von der kostenauslösenden Schaffung eines Titels durch notarielle Beurkundung der Zwangsvollstreckungsunterwerfung abgesehen. Letzteres ist zumindest im Bereich der grundpfandrechtlich gesicherten Darlehen gängige Bankpraxis18.

Von Verfassungs wegen ist zwar die künftige Beseitigung des festgestellten Verfassungsverstoßes durch die gleichheitswidrige Privilegierung der Bremer Landesbank und der Landessparkasse zu Oldenburg gefordert, nicht aber darüber hinaus deren faktische Schlechterstellung. Denn die bereits in der Vergangenheit angelegte Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der übrigen Kreditinstitute geht lediglich von einzelnen, regionalen Kreditinstituten aus; inhaltsgleiche Regelungen existieren – soweit erkennbar – nur für drei weitere, kleinere niedersächsische Kreditinstitute. In der Praxis auftretende, von den benachteiligten Kreditinstituten reklamierte gravierende Unzuträglichkeiten sind bislang nicht bekannt geworden. Auch der Schutz der betroffenen Schuldner verlangt keine Nichtigerklärung; denn ihre Interessen erscheinen durch die vollstreckungsrechtlichen Abwehrmöglichkeiten, namentlich die Vollstreckungsgegenklage im Ergebnis effektiv gesichert, zumal diese prozessuale Konstellation die Beweislastverteilung hinsichtlich des materiellen Anspruchs im Grundsatz unberührt lässt19.

Um der Rechtssicherheit und den berechtigten Belangen der Bremer Landesbank und der Landessparkasse zu Oldenburg Rechnung zu tragen, wird daher von einer Nichtigerklärung der beanstandeten Regelung abgesehen. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet die weitere Anwendbarkeit der beanstandeten Regelungen für alle Verfahren, die mittels eines titel- und klauselersetzenden Vollstreckungsantrags bereits eingeleitet sind. Der Bremer Landesbank sowie der Landessparkasse zu Oldenburg ist eine Übergangsfrist von einem Jahr ab dem 31.01.2013 zu gewähren, in der die bisherigen Regelungen weiter Grundlage für die Zwangsvollstreckung sein können.

Im Hinblick auf die übliche Bankpraxis, bei grundpfandrechtlich besicherten Geldforderungen die notariell beurkundete Unterwerfung des Schuldners unter die sofortige Zwangsvollstreckung zu verlangen, ist darüber hinaus anzuordnen, dass der schriftliche Antrag der Bremer Landesbank oder der Landessparkasse zu Oldenburg auf Zwangsvollstreckung über diesen Zeitpunkt hinaus den vollstreckbaren zugestellten Schuldtitel ersetzt, soweit es um Geldforderungen aus Darlehen geht, die durch ein Grundpfandrecht gesichert sind, und hinsichtlich der Vollstreckung aus Grundpfandrechten, soweit der Darlehensvertrag und die Vereinbarung über die Bestellung oder Abtretung der Grundpfandrechte vor dem 1.02.2013 geschlossen worden ist20.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18. Dezember 2013 – 1 BvL 8/11 und 1 BvL 22/11

  1. Gesetzblatt für den Freistaat Oldenburg – Landesteil Oldenburg -, Band 48 Nummer 144; erneut bekannt gemacht im Niedersächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt, Sonderband II (Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts 1. 1. 1919 – 8. 5. 1945), Seite 751[]
  2. Gesetzblatt für den Freistaat Oldenburg – Landesteil Oldenburg -, Band 48 Nummer 115; erneut bekannt gemacht im Niedersächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt, Sonderband II (Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts 1. 1. 1919 – 8. 5. 1945[]
  3. vgl. BVerfGE 83, 24, 30 m.w.N.[]
  4. vgl. BVerfGE 122, 210, 230; 126, 268, 277; stRspr[]
  5. vgl. BVerfGE 117, 1, 30; 122, 1, 23; 126, 400, 416; 129, 49, 68 f.; Beschluss vom 07.02.2012 – 1 BvL 14/07, NJW 2012, 1711, Rn. 42[]
  6. vgl. BVerfGE 110, 412, 432; 126, 29, 47; 129, 49, 68 f.[]
  7. Nds. Landtag, Drucks 11/4440, S. 48[]
  8. vgl. BVerfGE 64, 229, 241[]
  9. vgl. Gesetzentwurf des Landesministeriums, Nds. Landtag, Drucks 11/4440, S. 47 f.[]
  10. Nds. Landtag, Drucks 11/5157, S. 5[]
  11. vgl. dazu BVerfGE 128, 226, 244 ff.[]
  12. BVerfG – 1 BvL 22/11[]
  13. vgl. Nds. StGHE 1, 120, 135[]
  14. vgl. BVerfGE 99, 216, 243 f.; 119, 331, 382 f.; 125, 175, 256[]
  15. vgl. BVerfGE 119, 331, 383[]
  16. vgl. BVerfGE 75, 192, 197 ff.[]
  17. vgl. Baumbach/Lauterbach, ZPO, 70. Aufl.2012, Grundz § 704 Rn. 57; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl.2011, Vorbem. § 704 Rn. 58[]
  18. vgl. Epp, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl.2011, § 94 Rn. 224; Wolfsteiner, Die vollstreckbare Urkunde, 2. Aufl.2006, § 7.3[]
  19. vgl. BGHZ 147, 203, 208; Herget, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl.2012, § 767 Rn. 11[]
  20. vgl. zu dieser Übergangsanordnung auch den Entwurf eines Niedersächsischen Rechtsvereinfachungsgesetzes 1990, Nds. Landtag, Drucks 11/4440, S. 7[]
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