Die aus § 1 Abs. 2 BAGchG folgende Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung eine Weiterbeschäftigung zu geänderten, möglicherweise auch zu schlechteren Arbeitsbedingungen anzubieten, bezieht sich grundsätzlich nicht auf freie Arbeitsplätze in einem im Ausland gelegenen Betrieb des Unternehmens.

Die aus § 1 Abs. 2 BAGchG folgende Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung – ggf. im Wege der Änderungskündigung – eine Weiterbeschäftigung zu geänderten, möglicherweise auch zu erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen anzubieten, bezieht sich grundsätzlich nicht auf freie Arbeitsplätze in einem im Ausland gelegenen Betrieb des Arbeitgebers. Der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes ist gemäß § 23 Abs. 1 BAGchG nur auf Betriebe anzuwenden, die in der Bundesrepublik Deutschland liegen. In diesem Sinne muss auch der Betriebsbegriff in § 1 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 BAGchG verstanden werden. Ob dies der Berücksichtigung von Beschäftigungsmöglichkeiten im Ausland entgegensteht, falls der Arbeitgeber seinen Betrieb als Ganzen oder einen Betriebsteil unter Wahrung der Identität verlagert, hat das Bundesarbeitsgericht noch nicht entschieden.
In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall ist die beklagte Arbeitgeberin ein Unternehmen der Textilindustrie mit Sitz in Nordrhein-Westfalen. Sie unterhält seit geraumer Zeit in der Tschechischen Republik eine Betriebsstätte, in der sie Verbandsstoffe herstellt. Die „Endfertigung“ der Stoffe erfolgte in einem am Sitz der Arbeitgeberin gelegenen Betrieb. In diesem war die Arbeitnehmerin seit 1984 als Textilarbeiterin tätig. Im Juni 2011 beschloss die Arbeitgeberin, ihre gesamte Produktion in der tschechischen Betriebsstätte zu konzentrieren. In Deutschland sollte lediglich die Verwaltung nebst „kaufmännischem Bereich“ bestehen bleiben. Mit Blick hierauf erklärte die Arbeitgeberin gegenüber den an ihrem Sitz beschäftigten Produktionsmitarbeitern eine ordentliche Beendigungskündigung. Die klagende Arbeitnehmerin ist dagegen der Auffassung, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Arbeitgeberin habe ihr durch den Ausspruch einer Änderungskündigung die Möglichkeit geben müssen, über einen Umzug zumindest nachzudenken.
Die Kündigungsschutzklage blieb – wie bereits vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf1 – vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos. Aufgrund der Verlagerung der „Endfertigung“ in die – mehrere hundert Kilometer von ihrem Sitz entfernte – tschechische Betriebsstätte hatte die Arbeitgeberin keine Möglichkeit mehr, die Arbeitnehmerin in einem inländischen Betrieb weiterzubeschäftigen. Umstände, unter denen ausnahmsweise eine Verpflichtung des Arbeitgebers zu erwägen wäre, Arbeitnehmer im Ausland weiterzubeschäftigen, lagen nicht vor.
Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs. 1 BAGchG unwirksam. Sie ist iSv. § 1 Abs. 2, Abs. 3 BAGchG sozial gerechtfertigt.
Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 BAGchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt.
Dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich daraus ergeben, dass der Arbeitgeber sich zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer im Betrieb dauerhaft entfallen lässt. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist2. Ohne Einschränkung nachzuprüfen ist hingegen, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist3.
Wird die Kündigung auf eine zu erwartende künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, braucht diese bei Kündigungsausspruch noch nicht tatsächlich eingetreten zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet4. Das ist der Fall, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf objektive Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde mit einiger Sicherheit ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund vorliegen5. Allerdings muss eine der entsprechenden Prognose zugrunde liegende eigene unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden sein. Andernfalls kann eine zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeiten führende Entscheidung nicht sicher prognostiziert werden6.
Daran gemessen lagen im Kündigungszeitpunkt Gründe iSd. § 1 Abs. 2 BAGchG vor.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Arbeitgeberin habe im Juni 2011 den Entschluss gefasst, ihre Produktionstätigkeit am Standort W Ende Januar 2012 auf Dauer einzustellen und die „Endfertigung“ ihrer Verbandstoffe künftig in ihrer tschechischen Betriebsstätte durchführen zu lassen. Ihre Entscheidung habe sie den Planungen entsprechend auch umgesetzt. Diese Feststellungen greift die Revision nicht an.
Im Kündigungszeitpunkt war danach die Prognose gerechtfertigt, im Umfang entsprechender personeller Überkapazitäten werde das Beschäftigungsbedürfnis für Mitarbeiter im Produktionsbereich am Standort W mit Ablauf der jeweiligen Kündigungsfrist entfallen7. Zum wesentlichen Inhalt der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit gehört die Freiheit zur Gestaltung der betrieblichen Organisation. Sie umfasst auch die Festlegung, an welchem Standort welche arbeitstechnischen Ziele verfolgt werden. Es ist nicht Sache der Arbeitsgerichte, dem Arbeitgeber insoweit eine „bessere“ oder „richtigere“ Betriebs- oder Unternehmensstruktur vorzuschreiben8.
Für eine getroffene und – wie im Streitfall – durchgeführte Organisationsentscheidung spricht die Vermutung, dass sie aus sachlichen Gründen erfolgt ist und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht. Es oblag deshalb der Arbeitnehmerin, die Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die Entscheidung der Arbeitgeberin offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist9. Dies ist ihr nicht gelungen. Die Arbeitnehmerin hat gemeint, die Arbeitgeberin habe vor der Produktionsverlagerung mit den in W beschäftigten Arbeitnehmern über eine Absenkung der Vergütung verhandeln müssen. Das ist kein beachtlicher Einwand. Das Unterlassen entsprechender Bemühungen führt nicht dazu, dass die Entscheidung der Arbeitgeberin rechtsmissbräuchlich wäre, zumal es ihr nicht nur um eine Einsparung von Lohnkosten ging, sondern auch um eine Reduzierung von Transportkosten.
Der Umstand, dass die Arbeitgeberin ihre unternehmerische Tätigkeit im Bereich der „Endfertigung“ nicht vollständig aufgegeben hat, steht der sozialen Rechtfertigung der Kündigung nicht entgegen.
Die Verlagerung der mit der „Endfertigung“ zusammenhängenden Tätigkeiten nach J ändert – unbeschadet der Frage, wie der Begriff des „Betriebes“ in § 1 Abs. 2 Satz 1 BAGchG zu verstehen ist – nichts daran, dass der bisherige Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin als solcher ersatzlos weggefallen ist. Für diese Bewertung spricht die erhebliche räumliche Entfernung zwischen den fraglichen Standorten, die – ausgehend von der in den Vorinstanzen mitgeteilten Anschrift der tschechischen Betriebsstätte der Arbeitgeberin – mehr als 800 Kilometer beträgt. Hinzu kommt, dass nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Arbeitgeberin die alte Betriebsgemeinschaft im betreffenden Arbeitsbereich tatsächlich aufgelöst worden ist10. Die Einstellung der Produktion in Deutschland bewirkte überdies, dass der Arbeitgeberin nach dem 31.01.2012 eine Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin auf der bisherigen Vertragsgrundlage nicht mehr möglich war. Zwar haben die Parteien im Arbeitsvertrag einen bestimmten Arbeitsort nicht ausdrücklich vereinbart. Daraus folgt aber nicht, dass die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin einseitig eine Tätigkeit in ihrer tschechischen Betriebsstätte hätte zuweisen können. Ist der Arbeitsort nicht näher bestimmt, kann der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer auf der Grundlage seines Direktionsrechts (§ 106 GewO) allenfalls innerhalb der Grenzen des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland versetzen11. Soweit die Arbeitnehmerin nach dem Arbeitsvertrag verpflichtet sein sollte, „auch eine andere Tätigkeit in der Firma auszuüben“, kann daraus – unabhängig davon, ob es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen oder um atypische Erklärungen handelt – nicht abgeleitet werden, die Arbeitgeberin habe sich eine länderübergreifende Versetzung der Arbeitnehmerin vorbehalten wollen. Für ein solches Verständnis fehlt es an Anhaltspunkten, zumal im Arbeitsvertrag als „Firma“ die Arbeitgeberin unter ihrer Anschrift in W bezeichnet ist. Die Parteien verstehen ihre Vereinbarungen selbst nicht anders.
Die Kündigung ist nicht unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs der Änderungskündigung unwirksam. Insoweit kann zugunsten der Arbeitnehmerin unterstellt werden, dass zumindest ein Teil der im Bereich der „Endfertigung“ erledigten Tätigkeiten in der tschechischen Betriebsstätte der Arbeitgeberin weiterhin anfällt und dort ein entsprechender zusätzlicher Arbeitskräftebedarf entstanden ist. Bei den fraglichen Stellen handelt es sich nicht um „freie“ Arbeitsplätze iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 BAGchG.
Eine Kündigung ist nur dann iSd. § 1 Abs. 2 BAGchG durch „dringende“ betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, dem bei Ausspruch der Kündigung absehbaren Wegfall des Beschäftigungsbedarfs durch andere Maßnahmen – sei es technischer, organisatorischer oder wirtschaftlicher Art – als durch eine Beendigungskündigung zu entsprechen. Das Merkmal der „Dringlichkeit” der betrieblichen Erfordernisse ist Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (ultima-ratio-Prinzip), aus dem sich ergibt, dass der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine sowohl diesem als auch ihm selbst objektiv mögliche anderweitige Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, ggf. zu geänderten Bedingungen, anbieten muss12. Diese in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 BAGchG konkretisierte Kündigungsschranke gilt unabhängig davon, ob in dem Betrieb ein Betriebsrat besteht und ob dieser der Kündigung widersprochen hat13.
Erfüllt der Arbeitnehmer das Anforderungsprofil der fraglichen Stelle, bedarf es grundsätzlich keiner weiter gehenden Prüfung, ob dem Arbeitnehmer die Tätigkeit zumutbar ist. Das gilt auch dann, wenn deren Zuweisung eine Vertragsänderung erforderlich macht. Eine ggf. erforderliche Änderungskündigung darf nur in „Extremfällen“ unterbleiben, zB bei einer völlig unterwertigen Beschäftigung. Der Arbeitnehmer soll grundsätzlich selbst entscheiden können, ob er eine Weiterbeschäftigung unter veränderten, möglicherweise sogar erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen für zumutbar erachtet oder nicht14.
Für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 BAGchG der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig. Dabei gilt eine abgestufte Darlegungslast. Bestreitet der Arbeitnehmer lediglich den Wegfall seines bisherigen Arbeitsplatzes, genügt der Vortrag des Arbeitgebers, wegen der betrieblichen Notwendigkeiten sei eine Weiterbeschäftigung zu den gleichen Bedingungen nicht möglich. Will der Arbeitnehmer vorbringen, es sei eine Beschäftigung an anderer Stelle möglich, obliegt es ihm darzulegen, wie er sich diese Beschäftigung vorstellt. Erst daraufhin muss der Arbeitgeber eingehend erläutern, aus welchen Gründen eine Umsetzung nicht in Betracht kam15.
Danach hat sich die Arbeitnehmerin nicht auf eine geeignete anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit berufen, soweit sie die Auffassung vertreten hat, die Arbeitsplätze in W hätten bei Entwicklung eines Sanierungskonzepts erhalten werden können. Der Arbeitgeber ist in den Grenzen der Willkür frei in seiner Entscheidung, an welchem Standort er seine unternehmerische Tätigkeit entfaltet. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten können deshalb nur im Rahmen der von ihm vorgegebenen Arbeitsorganisation Berücksichtigung finden16.
Die Arbeitgeberin musste der Arbeitnehmerin zur Vermeidung einer Beendigungskündigung nicht eine Weiterbeschäftigung in J anbieten.
Der Berücksichtigung der fraglichen Stellen steht zwar nicht deren Anforderungsprofil entgegen, wie die Arbeitgeberin gemeint hat. Diese hat sich hierfür lediglich auf sprachliche Barrieren berufen. Ihr pauschaler Vortrag lässt nicht erkennen, welche Anforderungen der Arbeitsplatz an die Sprachkenntnisse der Arbeitnehmerin objektiv stellt und weshalb mögliche Hindernisse nicht innerhalb einer zumutbaren Einarbeitungszeit hätten überwunden werden können.
Die Arbeitgeberin brauchte der Arbeitnehmerin ein entsprechendes Änderungsangebot aber deshalb nicht zu unterbreiten, weil sich die Verpflichtung des Arbeitgebers aus § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 BAGchG, den Arbeitnehmer an einem anderen – freien – Arbeitsplatz im selben oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens zu beschäftigen, grundsätzlich nicht auf Arbeitsplätze in einem im Ausland gelegenen Betrieb oder Betriebsteil des Unternehmens erstreckt. Ob dies auch dann gilt, wenn der Arbeitgeber ganze Betriebe oder doch Betriebsteile ins Ausland verlagert, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Es fehlt an Anhaltspunkten dafür, dass es sich bei dem Bereich „Endfertigung“ um einen organisatorisch abgegrenzten Betriebsteil handelte.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich mit der hier aufgeworfenen Rechtsfrage noch nicht näher befasst. Sie war entweder deshalb, weil sich der Arbeitnehmer nicht auf eine Weiterbeschäftigung im Ausland berufen hatte17, oder aus anderen Gründen18 nicht entscheidungserheblich.
Das Landesarbeitsgericht geht davon aus, etwaige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Ausland seien im Rahmen von § 1 Abs. 2 BAGchG nicht zu berücksichtigen. Als „Betrieb“ iSv. § 1 BAGchG seien nur die in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen organisatorischen Einheiten bzw. Teile eines Unternehmens anzusehen19.
Dies ist jedenfalls für die hier vorliegende Konstellation zutreffend.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts findet der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes – sofern eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes kein anderes Ergebnis gebietet – nur auf in Deutschland gelegene Betriebe Anwendung20. Das ergibt die am Wortlaut, an der Systematik und der Entstehungsgeschichte sowie an Sinn und Zweck des § 23 BAGchG orientierte Auslegung21. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Verständnis des kündigungsschutzrechtlichen Betriebsbegriffs von Verfassungs wegen nicht beanstandet22.
Die sich daraus ergebenden Beschränkungen des durch das Kündigungsschutzgesetz gewährleisteten Bestandsschutzes sind auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 BAGchG zu berücksichtigen. Die Regelung knüpft, soweit sie die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf das Unternehmen ausdehnt, an die Beschäftigung in „Betrieben“ an. Der „Unternehmensbezug“ der Weiterbeschäftigungspflicht besteht nur mittelbar, dh. vermittelt über den Betriebsbegriff. Der Begriff des „Betriebes“ in § 1 BAGchG ist grundsätzlich nicht anders zu verstehen als in § 23 BAGchG23.
Für die Beschränkung der Weiterbeschäftigungspflicht des Arbeitgebers auf organisatorische Einheiten, die in Deutschland gelegen sind, spricht insbesondere der – bereits für die Auslegung des Betriebsbegriffs in § 23 Abs. 1 BAGchG maßgebende – Gesichtspunkt, dass die Frage nach der Sozialwidrigkeit der Kündigung nahezu immer eine Einbeziehung der betrieblichen Gegebenheiten erfordert. Das betrifft – neben der gesetzlich vorgeschriebenen Sozialauswahl – in besonderem Maße die in Rede stehende Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer ggf. eine anderweitige Beschäftigung im selben oder in einem anderen Betrieb seines Unternehmens anzubieten. Schon die Beurteilung, ob freie Beschäftigungskapazitäten in einem ausländischen Betrieb zur Verfügung stehen, kann in der Regel nicht losgelöst von den Rechtsverhältnissen der dort tätigen Arbeitnehmer beurteilt werden. Auch kann es sein, dass mehrere zur Entlassung anstehende Arbeitnehmer betriebsübergreifend um eine geringere Zahl freier Arbeitsplätze konkurrieren. Bei der Prüfung, welcher Arbeitnehmer in einer solchen Situation bei der Stellenbesetzung Vorrang genießt, ist vorausgesetzt, dass gegenüber allen betroffenen Beschäftigten und dem Arbeitgeber dasselbe – deutsche – Arbeitsrecht und Kündigungsschutzrecht angewendet und durchgesetzt werden kann. Diese Voraussetzung sicherzustellen ist das Anliegen der Anknüpfung an den Begriff des „Betriebes“ in § 23 Abs. 1 BAGchG24. Im Rahmen von § 1 BAGchG gilt nichts anderes. Die Norm legt fest, unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist. Anders als in einem kohärenten System kann der vom Gesetzgeber mit den Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes angestrebte Ausgleich gegenläufiger Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers, ggf. aber auch der Arbeitnehmer untereinander, nicht gelingen.
Überdies könnte sonst die Freiheit des Arbeitgebers bei der Auswahl ggf. neu einzustellender Arbeitnehmer eingeschränkt sein, ohne dass dies dem im ausländischen Betrieb geltenden Recht entsprechen müsste. Auch könnte die Verpflichtung des Arbeitgebers, freie Arbeitsplätze in einem im Ausland gelegenen Betrieb in die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 BAGchG einzubeziehen, zulasten der Beschäftigungschancen Dritter gehen, obwohl diese uU nicht die Möglichkeit hatten, einen deutschen Arbeitnehmern vergleichbaren Bestandsschutz zu erwerben25. Dafür, dass der deutsche Gesetzgeber solch weitreichende Auswirkungen des Kündigungsschutzes beabsichtigt hat, fehlt es an Anhaltspunkten.
Die Beschränkung der Verpflichtungen aus § 1 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 BAGchG auf in Deutschland gelegene „Betriebe“ führt nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung der jeweiligen Belegschaft. Es stellt einen maßgebenden Unterschied dar, ob ein Betrieb im Inland oder Ausland angesiedelt ist. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Feststellung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung an die Voraussetzung zu knüpfen, dass die fragliche betriebliche Organisation in der Bundesrepublik Deutschland liegt, ist nicht willkürlich26.
Im Streitfall kann dahinstehen, ob „freie“ Arbeitsplätze im Ausland dann zu berücksichtigen sind, wenn die Arbeitsverhältnisse der im ausländischen Betrieb tätigen Arbeitnehmer – etwa aufgrund einer Rechtswahl – deutschem (Kündigungs-)Recht unterliegen27. Ebenso kann offen bleiben, ob sich ein Arbeitnehmer dann auf eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Ausland berufen kann, wenn im Arbeitsvertrag eine Versetzungsklausel vereinbart ist, die dem Arbeitgeber die Zuweisung einer entsprechenden Tätigkeit ermöglicht28. So liegt der Streitfall nicht. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthält keine entsprechende Abrede. Dem Vorbringen der Parteien sind auch keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass auf die Arbeitsverhältnisse der in J tätigen Arbeitnehmer deutsches Recht zur Anwendung gelangte. Darauf, ob das individuelle Arbeitsverhältnis der Parteien im Falle seiner Fortführung im Ausland weiterhin deutschem Recht unterläge oder ob ein Statutenwechsel einträte, kommt es nicht an29. Ein möglicher Wechsel des Vertragsstatuts könnte zwar im Rahmen der Prüfung, ob ein Änderungsangebot ausnahmsweise entbehrlich ist, Bedeutung gewinnen. Er ist aber für sich genommen kein geeigneter Maßstab für die Beurteilung, ob das Kündigungsschutzgesetz dem Arbeitgeber ggf. die Verpflichtung auferlegt, dem Arbeitnehmer im Wege der Änderungskündigung ein Angebot zur Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz in einem im Ausland gelegenen Betrieb zu unterbreiten30.
Das Ergebnis widerspricht nicht der Rechtsprechung des Achten Bundesarbeitsgerichts des Bundesarbeitsgerichts, nach der von einem – den Tatbestand der Betriebs(teil)stilllegung ausschließenden – Betriebs(teil)übergang iSv. § 613a BGB auch bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt auszugehen sein kann31. Im entschiedenen Fall ging es um die – identitätswahrende – Verlagerung eines organisatorisch abgegrenzten Betriebsteils ins (grenznahe und überdies deutschsprachige) Ausland bei gleichzeitigem Wechsel des Betriebsinhabers. Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt hier nicht vor. Weder den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch dem beiderseitigen Parteivorbringen ist zu entnehmen, dass es sich bei dem Aufgabenbereich der „Endfertigung“ um einen organisatorisch abgegrenzten Betriebsteil gehandelt hätte, der identitätswahrend als Ganzer nach J verlagert worden wäre.
Die verfassungskonforme Auslegung des Betriebsbegriffs mag – je nach den Umständen des Falls – ein anderes Ergebnis gebieten, wenn ein Arbeitgeber unweit einer Ländergrenze im In- und Ausland mehrere einheitlich gelenkte Betriebsstätten unterhält und Aufgaben im „kleinem Grenzverkehr“ von der einen in die andere Einheit verlagert32. Auch so liegt der Streitfall nicht.
Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs. 3 BAGchG sozial ungerechtfertigt. Das Landesarbeitsgericht hat – unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts – angenommen, die Arbeitnehmerin sei mit Arbeitnehmern, die über den 31.01.2012 hinaus in W weiterbeschäftigt worden seien, nicht vergleichbar. Die Würdigung, die von der Revision nicht angegriffen wird, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Auf eine Sozialauswahl mit Arbeitnehmern, die in der Betriebsstätte J beschäftigt sind, hat sich die Arbeitnehmerin in den Vorinstanzen nicht berufen. Im Übrigen wären in die Sozialauswahl wegen ihrer Betriebsbezogenheit jedenfalls solche Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, die im Kündigungszeitpunkt im Ausland beschäftigt waren und deren Arbeitsverhältnis nicht deutschem Recht unterlag.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. August 2013 – 2 AZR 809/12
- LAG Düsseldorf 05.12.2012 – 15 Sa 759/12[↩]
- BAG 20.12 2012 – 2 AZR 867/11, Rn. 33; 24.05.2012 – 2 AZR 124/11, Rn. 21[↩]
- BAG 24.05.2012 – 2 AZR 124/11 – aaO[↩]
- vgl. BAG 23.02.2012 – 2 AZR 548/10, Rn.19; 9.09.2010 – 2 AZR 493/09, Rn. 22[↩]
- BAG 23.02.2012 – 2 AZR 548/10 – aaO; 23.02.2010 – 2 AZR 268/08, Rn. 18, BAGE 133, 240[↩]
- BAG 23.02.2012 – 2 AZR 548/10 – aaO[↩]
- zur Produktionsverlagerung ins Ausland: vgl. BAG 18.09.1997 – 2 AZR 657/96, Rn. 12 ff.; zur Schließung von Dienststellen/Standorten bei gleichzeitiger Konzentration von Aufgaben an einem anderen Standort: siehe BAG 12.08.2010 – 2 AZR 558/09, Rn. 17; 12.08.2010 – 2 AZR 945/08, Rn. 31[↩]
- vgl. BAG 22.11.2012 – 2 AZR 673/11, Rn. 21; 26.09.2002 – 2 AZR 636/01, zu II 1 b der Gründe, BAGE 103, 31[↩]
- vgl. BAG 25.10.2012 – 2 AZR 552/11, Rn. 26 mwN[↩]
- zur Betriebsverlagerung als Betriebsstilllegung: vgl. BAG 12.02.1987 – 2 AZR 247/86, zu II 1 a der Gründe[↩]
- zum Meinungsstand: vgl. ErfK/Preis 13. Aufl. § 106 GewO Rn. 16[↩]
- BAG 25.10.2012 – 2 AZR 552/11, Rn. 29; 23.11.2004 – 2 AZR 38/04, zu B I 2 a der Gründe, BAGE 112, 361[↩]
- BAG 2.02.2006 – 2 AZR 38/05, Rn.20 mwN[↩]
- BAG 23.02.2010 – 2 AZR 656/08, Rn. 57, BAGE 133, 226; 5.06.2008 – 2 AZR 107/07, Rn. 15[↩]
- BAG 25.10.2012 – 2 AZR 552/11, Rn. 30; 1.03.2007 – 2 AZR 650/05, Rn. 21[↩]
- vgl. BAG 27.09.2001 – 2 AZR 246/00, zu I 1 c cc der Gründe[↩]
- vgl. BAG 18.09.1997 – 2 AZR 657/96[↩]
- vgl. BAG 13.12 2012 – 6 AZR 608/11, Rn. 89[↩]
- im Ergebnis ebenso LAG Berlin-Brandenburg 5.05.2011 – 5 Sa 219/11 – und – 5 Sa 220/11; LAG Hamburg 11.05.2011 – 5 Sa 1/11; Bader/Bram/Bram § 1 BAGchG Rn. 305; Hoffmann-Remy/Zaumseil DB 2012, 1624; Horcher FA 2010, 43, 44; aA LAG Hamburg 22.03.2011 – 1 Sa 2/11; SES/Schwarze § 1 Rn. 315; Gravenhorst jurisPR-ArbR 41/2012 Anm. 4; Deinert JbArbR Bd. 50 S. 77, 96; mit Einschränkungen auch HWK/Quecke 5. Aufl. § 1 BAGchG Rn. 277; Wisskirchen DB 2007, 340, 345 f.[↩]
- BAG 26.03.2009 – 2 AZR 883/07, Rn. 13; 17.01.2008 – 2 AZR 902/06, Rn. 18, BAGE 125, 274[↩]
- im Einzelnen BAG 17.01.2008 – 2 AZR 902/06, Rn. 23 ff., aaO[↩]
- vgl. BVerfG 12.03.2009 – 1 BvR 1250/08[↩]
- st. Rspr., vgl. BAG 17.01.2008 – 2 AZR 902/06, Rn. 16, BAGE 125, 274; 3.06.2004 – 2 AZR 386/03, Rn. 28[↩]
- vgl. BAG 26.03.2009 – 2 AZR 883/07, Rn. 16[↩]
- vgl. LAG Berlin-Brandenburg 5.05.2011 – 5 Sa 219/11, zu I 2.01.2 der Gründe[↩]
- vgl. BAG 17.01.2008 – 2 AZR 902/06, Rn. 32, BAGE 125, 274[↩]
- die Berücksichtigung solcher Vertragsverhältnisse jedenfalls bei der Feststellung der Betriebsgröße iSd. § 23 Abs. 1 BAGchG erwägend: BAG 26.03.2009 – 2 AZR 883/07, Rn.20[↩]
- befürwortend Horcher FA 2010, 43, 47[↩]
- zur Problematik vgl. BAG 25.04.2013 – 6 AZR 49/12, Rn. 166; Deinert JbArbR Bd. 50 S. 77, 83; Junker NZA-Beil.2012, 8, 9, 14; Pauls Betriebsverlagerung ins Ausland und Wegzugsfreiheit des Unternehmers S. 27 ff.[↩]
- vgl. Hoffmann-Remy/Zaumseil DB 2012, 1624, 1625[↩]
- BAG 26.05.2011 – 8 AZR 37/10, Rn. 36, 45[↩]
- dazu Boigs jurisPR-ArbR 8/2012 Anm. 1[↩]