Die Versetzung eines Dienstordnungsangestellten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit bedarf keiner Zustimmung des Integrationsamtes. § 92 Satz 1 SGB IX ist insoweit nicht analog anzuwenden.

§ 92 Satz 1 SGB IX erfasst die Versetzung eines Dienstordnungsangestellten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nicht. Die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit unterscheidet sich von den Voraussetzungen, dem Bedeutungsgehalt1 und von den Rechtsfolgen her grundlegend von den in § 92 Satz 1 SGB IX aufgeführten Versicherungsfällen. Insbesondere wird das Dienstverhältnis eines Dienstordnungsangestellten durch die Versetzung in den Ruhestand nicht endgültig beendet, sondern kann unter den Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 BeamtStG bei Wiederherstellung der Dienstfähigkeit reaktiviert werden.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf2 bedurfte die Versetzung in den Ruhestand auch nicht in entsprechender Anwendung des § 92 Satz 1 SGB IX der Zustimmung des Integrationsamtes. Die für eine Analogie erforderlichen Voraussetzungen haben nicht vorgelegen und sind auch durch die Aufhebung des § 128 Abs. 2 SGB IX zum 1.05.2004 nicht entstanden.
Dienstordnungsangestellte der Sozialversicherungsträger sind trotz der weitgehend öffentlichrechtlichen Ausgestaltung ihrer Anstellungsverhältnisse weder Beamte, noch haben sie einen beamtenrechtlichen Status. Infolge der Unterstellung des Dienstverhältnisses unter die Dienstordnung im Anstellungsvertrag der Parteien wirkt jedoch die Dienstordnung in ihrer jeweiligen Fassung gesetzesgleich auf das Dienstverhältnis ein3. Für Dienstordnungsangestellte gelten damit im selben Umfang wie für Beamte die jeweils gültigen in Bezug genommenen beamtenrechtlichen Vorschriften. Dazu gehören auch die Bestimmungen über die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit in §§ 26 ff. BeamtStG und über die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach den Disziplinargesetzen, § 21 Nr. 3, § 47 Abs. 1 BeamtStG iVm. § 10 BDG. Für Beamte besteht durch diese Vorschriften ein in sich geschlossenes System hinsichtlich der Voraussetzungen einer Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit und der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
Bis zum 30.04.2004 gehörte zu diesem Regelungssystem auch die Beteiligung des Integrationsamtes gemäß § 128 Abs. 2 SGB IX aF. Danach war vor Versetzung schwerbehinderter Beamter in den Ruhestand das für die Dienststelle zuständige Integrationsamt zu hören. Diese Norm ist mit Ablauf des 30.04.2004 durch Art. 1 Nr. 32 Buchst. a des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23.04.20044 aufgehoben worden. Seitdem ist kraft des ausdrücklich erklärten, wenn auch nicht begründeten Willens des Gesetzgebers eine Beteiligung des Integrationsamtes vor der Ruhestandsversetzung von Beamten und ihrer Entfernung aus dem Dienst nicht mehr vorgesehen. Dieses Regelungssystem, an dem der Kläger über den Verweis auf die für Landesbeamte geltenden Bestimmungen in § 20 Abs. 1 Buchst. b der Dienstordnung teil hat, ist, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht, nicht unvollständig, so dass bereits deshalb kein Raum für eine analoge Anwendung der §§ 85 ff. SGB IX bzw. des § 92 Abs. 1 SGB IX ist5.
Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 29. Juni 19616 eine Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nach §§ 14 ff. SchwBeschG vor einer Entfernung des Dienstordnungsangestellten aus dem Dienst im Wege der Dienststrafe für erforderlich gehalten (jetzt: Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach den Disziplinargesetzen). Es hat angenommen, dass § 35 SchwBeschG als Vorgängerbestimmung des § 128 Abs. 2 SGB IX auf Dienstordnungsangestellte weder direkt noch analog Anwendung finde. Das Dienstverhältnis eines Dienstordnungsangestellten sei zwar einem Beamtenverhältnis angenähert, letztlich aber doch ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis geblieben, weil es auf einem Arbeitsvertrag und nicht einem hoheitsrechtlichen Anstellungsakt beruhe. Die bloße Erklärung der Anwendbarkeit der beamtenrechtlichen Landesbestimmungen in einer Dienstordnung ändere daran nichts. § 35 SchwBeschG gelte nur für Beamte im staatsrechtlichen Sinne, also solche, die durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde in das Beamtenverhältnis berufen worden seien.
Ausgehend von der Entscheidung vom 29. Juni 19617 hat das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 20.10.19778 angenommen, § 19 SchwbG als Vorgängerregelung des § 92 SGB IX solle den Schwerbehinderten, deren Arbeitsverhältnis aus Gründen ende, die mit ihrer Behinderung im Zusammenhang stünden, unabhängig von der rechtstechnischen Ausgestaltung der Beendigung einen verstärkten Bestandsschutz gewähren. Dieser soziale Schutzgedanke treffe auch auf Schwerbehinderte zu, deren Arbeitsverhältnis bei Vorliegen von Dienstunfähigkeit ohne Kündigung ende. Diese Vergleichbarkeit der Interessenlagen gebiete es, § 19 SchwbG auf Fälle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Dienstunfähigkeit entsprechend anzuwenden.
Diese Rechtsprechung hat überwiegend Zustimmung gefunden9.
An der Rechtsprechung vom 29. Juni 19616 und vom 20.10.19778 hält der für die Versetzung von Dienstordnungsangestellten in den Ruhestand und deren Entlassung zuständige Sechste Bundesarbeitsgericht des Bundesarbeitsgerichts nicht fest. Der Bestandsschutz des Dienstverhältnisses von Dienstordnungsangestellten richtet sich allein nach den in der Dienstordnung in Bezug genommenen beamtenrechtlichen Bestimmungen. Inwieweit die Hauptfürsorgestelle bzw. das Integrationsamt vor der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand oder Entlassung von Dienstordnungsangestellten nach den für sie geltenden beamtenrechtlichen Bestimmung zu beteiligen war, ergab sich demzufolge bis zum 30.04.2004 allein aus § 128 Abs. 2 SGB IX bzw. seinen Vorläuferregelungen.
Auch nach der Aufhebung des § 128 Abs. 2 SGB IX zum 1.05.2004 ist für eine Beteiligung des Integrationsamtes in entsprechender Anwendung der §§ 85 ff. SGB IX bzw. des § 92 SGB IX kein Raum.
Auch insoweit fehlt es bereits an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Dienstordnungsangestellte sind gegen Versetzungen in den Ruhestand oder Entfernung aus dem Dienstverhältnis gegen ihren Willen in gleicher Weise gesichert wie Beamte. Dann bedürfen sie aber in diesen Fällen ebenso wenig wie Beamte eines zusätzlichen Schutzes durch eine Beteiligung des Integrationsamtes nach §§ 85 ff. SGB IX bzw. § 92 SGB IX10.
Darüber hinaus fehlt es bei der Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit, wie sie hier streitbefangen ist, an einer vergleichbaren Interessenlage zwischen Personen, bei denen einer der Versicherungsfälle des § 92 Satz 1 SGB IX vorliegt, und einem dienstunfähigen Dienstordnungsangestellten. Dafür reicht es nicht aus, dass sowohl berufsunfähige als auch dienstunfähige Personen aus gesundheitlichen Gründen die ihnen obliegenden Pflichten nicht mehr uneingeschränkt erfüllen können11. Erforderlich ist vielmehr, dass beide Tatbestände infolge ihrer Ähnlichkeit in der für die gesetzliche Bewertung maßgebenden Hinsicht gleich zu bewerten sind12. Erforderlich ist also, dass der gesetzessprachlich nicht erfasste, dh. gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle13. Das ist nicht der Fall.
Das Ruhestandsverhältnis steht mit dem aktiven Beamtenverhältnis in einem untrennbaren rechtlichen Zusammenhang. Nach dem Grundsatz der Statusakzessorietät wirken Pflichten aus dem aktiven Verhältnis wie zB die Treuepflicht fort, neue Pflichten werden begründet14. Im Unterschied zu dem Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, das in den von § 92 Satz 1 SGB IX genannten Fällen endgültig endet, kann das Dienstverhältnis des Dienstordnungsangestellten deshalb bei Wiederherstellung der Dienstfähigkeit unter den in § 29 Abs. 1 BeamtStG genannten Voraussetzungen reaktiviert werden. Darum ist das KontrollKorrektiv einer Zustimmung des Integrationsamtes nach § 92 SGB IX nicht erforderlich. § 92 SGB IX soll den Schwerbehinderten bei einer nur zeitweiligen Änderung seines Gesundheitszustandes vor dem endgültigen Verlust des Arbeitsplatzes schützen. Hat der schwerbehinderte Dienstordnungsangestellte es in der Hand, durch Stellung eines Antrags nach § 29 Abs. 1 BeamtStG bei einer Wiederherstellung seiner Leistungsfähigkeit das Dienstverhältnis zu reaktivieren, ist er auf den besonderen Bestandsschutz des § 92 Satz 1 SGB IX nicht angewiesen15.
Darüber hinaus würde die analoge Anwendung der §§ 85 ff. SGB IX auf die Entlassung bzw. Ruhestandsversetzung von Dienstordnungsangestellten nicht etwa Wertungswidersprüche verhindern, sondern gerade zu solchen Widersprüchen führen. Eine analoge Anwendung der Bestandsschutzbestimmungen des Schwerbehindertenrechts bei Versetzungen in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit und Entfernung aus dem Dienst reißt den Personenkreis der Dienstordnungsangestellten aus dem gesetzesgleich auf sie einwirkenden System des Beamtenrechts teilweise heraus und implementiert systemfremde Elemente des Arbeitsrechts. Dies führte zu einer Besserstellung der Dienstordnungsangestellten gegenüber Beamten. Eine solche Besserstellung ist unzulässig16.
Eine Vorlage an den Großen Bundesarbeitsgericht des Bundesarbeitsgerichts nach § 45 ArbGG ist nicht erforderlich. Zum einen ist für die Versetzung von Dienstordnungsangestellten in den Ruhestand und deren Entlassung nunmehr der Sechste Bundesarbeitsgericht des Bundesarbeitsgerichts zuständig. Zum anderen stellt sich die Rechtsfrage, ob und inwieweit das Integrationsamt bei der Entlassung von Dienstordnungsangestellten wegen Dienstvergehen oder deren Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit zu beteiligen ist, aufgrund des gänzlich geänderten Regelungskontextes und nach der Aufhebung des § 128 Abs. 2 SGB IX neu. Die rechtliche Grundlage der früheren Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts ist entfallen, diese Entscheidungen sind „überholt“17. Deshalb fehlt es an der für eine Anrufung des Großen Bundesarbeitsgerichts erforderlichen Identität der Rechtslage18.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Mai 2012 – 6 AZR 679/10
- vgl. BAG 20.10.1977 – 2 AZR 688/76 – zu I der Gründe, AP SchwbG § 19 Nr. 1 = EzA SchwbG § 19 Nr. 1; Neumann in Neumann/Pahlen/MajerskiPahlen SGB IX 12. Aufl. § 92 Rn. 7[↩]
- LAG Düsseldorf 23.09.2010 – 5 Sa 737/10[↩]
- BAG 22.07.2010 – 6 AZR 82/09, Rn. 11, 19, EzTöD 100 TVöDAT § 2 Dienstordnungs-Angestellte Nr. 4[↩]
- BGBl. I S. 606[↩]
- vgl. zu dieser Voraussetzung einer Analogie BAG 20.01.2005 – 2 AZR 134/04, BAGE 113, 199, 204[↩]
- BAG 29.06.1961 – 2 AZR 371/60, BAGE 11, 168[↩][↩]
- BAG 29.06.1961- 2 AZR 371/60, BAGE 11, 168[↩]
- - 2 AZR 688/76, AP SchwbG § 19 Nr. 1 = EzA SchwbG § 19 Nr. 1[↩][↩]
- zur Entscheidung BAG 29.06.1961 – 2 AZR 371/60, BAGE 11, 168: Lampe in Großmann GKSGB IX Stand Februar 2010 § 128 Rn. 6, 8; aA soweit ersichtlich nur Scheunemann PersV 1962, 83; zur Entscheidung BAG 20.10.1977 – 2 AZR 688/76, AP SchwbG § 19 Nr. 1 = EzA SchwbG § 19 Nr. 1: APS/Vossen 4. Aufl. § 92 SGB IX Rn. 12; Braasch in Deinert/Neumann Handbuch SGB IX 2. Aufl. § 19 Rn. 151; Lampe in Großmann GKSGB IX Stand September 2008 § 92 Rn. 8; Griebeling in Hauck/Noftz SGB IX Stand Mai 2010 K § 92 Rn. 9; KR/Etzel 9. Aufl. § 92 SGB IX Rn. 10; Kossens/von der Heide/Maaß/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 92 Rn. 3; Lampe Der Kündigungsschutz behinderter Arbeitnehmer Rn. 584; Neumann in Neumann/Pahlen/MajerskiPahlen SGB IX 12. Aufl. § 92 Rn. 7; MüllerWenner in MüllerWerner/SGB IX Teil 2 2. Aufl. § 92 Rn. 6; Kreitner in jurisPK-SGB IX Stand 14.02.2011 § 92 SBG IX Rn. 10.1; Stähler jurisPR-ArbR 12/2011 Anm. 7 zu C; Hohmann in Wiegand Schwerbehindertenrecht Stand Dezember 2011 § 92 Rn. 32; für eine analoge Anwendung von § 19 SchwbG: BAG 20.10.1977 – 2 AZR 688/76 – zu I 3 der Gründe, aaO; zust. Jülicher Anm. AP SchwbG § 19 Nr. 1[↩]
- vgl. die Argumentation in BAG 5.09.1986 – 7 AZR 193/85, BAGE 54, 1, 8, für die Nichteinbeziehung eines in der Probezeit entlassenen Dienstordnungsangestellten in den Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 KSchG[↩]
- so aber Stähler jurisPR-ArbR 12/2011 Anm. 7 zu C[↩]
- BGH 13.04.2006 – IX ZR 22/05, Rn. 18, BGHZ 167, 178; Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6. Aufl. S. 381[↩]
- BAG 29.09.2004 – 1 ABR 39/03, BAGE 112, 100, 107[↩]
- BAG 5.02.2009 – 6 AZR 151/08, Rn. 36, BAGE 129, 265[↩]
- vgl. BAG 27.07.2011 – 7 AZR 402/10, Rn. 34, EzA TzBfG § 17 Nr. 14 für einen tariflichen Wiedereinstellungsanspruch[↩]
- vgl. BAG 22.07.2010 – 6 AZR 82/09, Rn. 26, EzTöD 100 TVöDAT § 2 Dienstordnungs-Angestellte Nr. 4[↩]
- vgl. BVerfG 2.07.1992 – 2 BvR 972/92 – NStZ 1993, 90[↩]
- vgl. BGH 10.12.2002 – X ARZ 208/02 – BGHZ 153, 173; vgl. allg. für Gesetzesänderungen GMP/Prütting 7. Aufl. § 45 Rn. 18[↩]