Der nicht ordnungsgemäße Unterschrift unter die Berufungsschrift

Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessfortsetzungsvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung. Sie ist vom Revisionsgericht deshalb von Amts wegen zu prüfen1.

Der nicht ordnungsgemäße Unterschrift unter die Berufungsschrift

Eine zulässige Berufung setzt ua. voraus, dass die Berufungsschrift als bestimmender Schriftsatz von einem bei einem Landesarbeitsgericht nach § 11 Abs. 4 Satz 1, Satz 2 und Satz 4 ArbGG vertretungsberechtigten Prozessbevollmächtigten nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und eigenhändig unterschrieben ist, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO2. Der Schriftzug, mit dem die Berufungsschrift abschließt, ist erheblich kürzer und weniger ausgeprägt als andere Schriftzüge, mit denen Schriftsätze dieses Rechtsstreits unterzeichnet sind. Er begründet Zweifel daran, ob es sich um eine ordnungsgemäße Unterschrift oder ein bloßes Handzeichen handelt3.

Selbst wenn der Schriftzug nicht den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO genügen sollte, geht das Bundesarbeitsgericht von einer zulässigen Berufung aus. Es kann unterstellt werden, dass nach §§ 233, 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO in die Berufungsfrist wieder einzusetzen ist.

Wiedereinsetzung kann nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch ohne Antrag des Beklagten von Amts wegen gewährt werden. Dass der Beklagte die versäumte Prozesshandlung der Berufungseinlegung nicht ausdrücklich nachgeholt hat, ist unschädlich. Er hat sie bereits vorgenommen, indem er eine formwirksame Berufungsbegründung eingereicht hat. In der noch ordnungsgemäß unterzeichneten Berufungsbegründung ist zugleich die Prozesshandlung der Berufungseinlegung enthalten4.

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Der Wiedereinsetzung steht nicht die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO entgegen. Danach kann eine Wiedereinsetzung nur innerhalb eines Jahres nach Ablauf der versäumten Frist beantragt werden.

Ungeachtet des absoluten Charakters von § 234 Abs. 3 ZPO ist diese Bestimmung nicht anzuwenden, wenn sonst der Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art. 2 Abs. 1 iVm. Art.20 Abs. 3 GG verletzt wäre5.

Dies wäre der Fall, wenn der vom Landesarbeitsgericht; und vom Arbeitsgericht als Unterschrift iSv. § 130 Nr. 6 ZPO gebilligte Schriftzug erstmals vom Revisionsgericht außerhalb der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO als nicht ausreichendes Handzeichen eingestuft würde und der betroffenen Partei keine Reaktionsmöglichkeit mehr eröffnet wäre.

Prozessbevollmächtigte müssen zwar die höchstrichterlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze kennen. Der verfassungsrechtlich gebotene Vertrauensschutz kann jedoch verletzt sein, wenn derselbe Spruchkörper die von ihm längere Zeit gebilligte Form einer Unterzeichnung ohne Vorwarnung nicht mehr hinnehmen will6.

Geschütztes Vertrauen wäre auch verletzt, wenn erst das Revisionsgericht die von den zuvor befassten Gerichten gebilligte Praxis der Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze beanstandete und eine Korrektur dieses Mangels unter Berufung auf die Frist des § 234 Abs. 3 ZPO ausschlösse.

Das Landesarbeitsgericht hat die knappen Schriftzüge, mit denen der Prozessbevollmächtigte des Beklagten gezeichnet hat, zumindest in zwei vor dem Bundesarbeitsgericht anhängigen Streitigkeiten unbeanstandet gelassen. Daher kann von einem schutzwürdigen Vertrauen ausgegangen werden, das der Anwendung des § 234 Abs. 3 ZPO entgegensteht.

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Die Sache muss nicht an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden. Das Bundesarbeitsgericht kann unterstellen, dass in die Berufungsfrist wieder einzusetzen ist.

Nach § 237 ZPO ist für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich das Gericht zuständig, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung, hier also die Berufungseinlegung, zusteht. Diese Zuständigkeit gilt sowohl für einen ausdrücklich gestellten Wiedereinsetzungsantrag als auch für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nach § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO. Angesichts der grundlegenden Entscheidungskompetenz des Berufungsgerichts kann in der Revisionsinstanz nur in Ausnahmefällen davon abgesehen werden, die Sache zur Entscheidung über die Wiedereinsetzung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen7.

Ein solcher Ausnahmefall kann angenommen werden, wenn ein Wiedereinsetzungsgrund nach Aktenlage unzweifelhaft ist oder die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zugunsten der säumigen Partei unterstellt werden kann8. Die Wiedereinsetzung kann zB unterstellt werden, wenn die Entscheidung über die Revision materiell-rechtlich zu demselben Ergebnis führt wie die Versagung der Wiedereinsetzung9.

Im Streitfall kann die Wiedereinsetzung zugunsten des Beklagten unterstellt werden. Die Entscheidung in der Sache und die Ablehnung der Wiedereinsetzung führen materiell zu demselben Ergebnis. Da die Klage zulässig und begründet ist, ergeht in jedem Fall ein die Ansprüche zus Urteil. Das Bundesarbeitsgericht kann dies, ohne in Beurteilungsspielräume des Landesarbeitsgerichts einzugreifen, selbst entscheiden. In der unterstellten Wiedereinsetzung liegt deshalb keine Entscheidung zulasten des Klägers.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 3. Juli 2019 – 10 AZR 498/17

  1. st. Rspr., vgl. BAG 24.10.2018 – 10 AZR 278/17, Rn. 13 mwN[]
  2. vgl. für die Berufungsbegründung BAG 24.10.2018 – 10 AZR 278/17, Rn. 16[]
  3. vgl. zu den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Unterschrift BAG 25.02.2015 – 5 AZR 849/13, Rn.19 mwN, BAGE 151, 66[]
  4. BGH 3.06.2014 – VIII ZB 23/14, Rn. 11; 26.09.2002 – III ZB 44/02, zu II 1 b der Gründe; 18.05.2000 – VII ZB 25/99, zu 3 der Gründe[]
  5. vgl. BVerfG 15.04.2004 – 1 BvR 622/98, zu III 2 b der Gründe, BVerfGK 3, 169[]
  6. BGH 11.04.2013 – VII ZB 43/12, Rn. 11 mwN; vgl. ferner BAG 25.02.2015 – 5 AZR 849/13, Rn. 30, BAGE 151, 66[]
  7. vgl. BAG 23.11.2017 – 8 AZR 458/16, Rn. 23; 18.02.2016 – 8 AZR 426/14, Rn. 33 mwN; BGH 20.05.2014 – VI ZR 384/13, Rn. 11 ff. mwN[]
  8. vgl. BAG 23.11.2017 – 8 AZR 458/16, Rn. 24; 18.02.2016 – 8 AZR 426/14, Rn. 34, 37 mwN[]
  9. BAG 13.12 2012 – 6 AZR 303/12, Rn. 39 mwN[]

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