Fortbestand des Arbeitsverhältnisses trotz Betriebsübergang – und die Verwirkung

Ein Arbeitnehmer kann das Recht, den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebsübergeber klageweise geltend zu machen, nach den für eine Prozessverwirkung geltenden Grundsätzen verwirkt haben.

Fortbestand des Arbeitsverhältnisses trotz Betriebsübergang – und die Verwirkung

Die Befugnis, eine Klage zu erheben, kann verwirkt werden mit der Folge, dass eine dennoch angebrachte Klage unzulässig ist. Dies kommt jedoch nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht.

Das Klagerecht kann ausnahmsweise verwirkt sein, wenn der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums (Zeitmoment) erhebt und zusätzlich ein Vertrauenstatbestand beim Anspruchsgegner geschaffen worden ist, er werde gerichtlich nicht mehr belangt werden (Umstandsmoment).

Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten an der sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem Gegner die Einlassung auf die nicht innerhalb angemessener Frist erhobene Klage nicht mehr zumutbar ist1.

Durch die Annahme einer prozessualen Verwirkung darf der Weg zu den Gerichten allerdings nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dies ist im Zusammenhang mit den an das Zeit- und das Umstandsmoment zu stellenden Anforderungen zu berücksichtigen2.

Im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall lagen die Voraussetzungen der Prozessverwirkung nicht vor. Der (vermeintlich) ehemaligen Arbeitgeberin war die Einlassung auf das Klagebegehren nicht unzumutbar:

Der Arbeitnehmer hat seine auf die Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses gerichtete Klage gegenüber der Betriebsübergeberin bereits knapp vier Jahre nach dem (vermeintlichen) Betriebsübergang erhoben. Die Betriebsübergeberin hat auch keine besonderen Umstände dargetan, auf Grund derer es ihr aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht zugemutet werden könnte, sich im Rahmen eines Rechtsstreits auf das Klagebegehren einzulassen und sich hiergegen zu verteidigen. Sie hat sich insoweit lediglich darauf berufen, sie habe vor dem Hintergrund, dass in zahlreichen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen ein Betriebsübergang iSv. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB von ihr auf die Betriebsübernehmerinangenommen worden sei, entsprechend disponiert und die Abwicklung und tatsächliche Handhabung des Betriebsführungsvertrags über mehrere Jahre nicht mehr im Einzelnen dokumentiert. Dies reicht jedoch für das zur Prozessverwirkung erforderliche Umstandsmoment nicht aus. Beweisschwierigkeiten, denen der Verpflichtete deshalb ausgesetzt ist, weil der Gläubiger seine Rechte erst nach längerer Zeit geltend macht, rechtfertigen den Einwand der Prozessverwirkung grundsätzlich nicht. Vielmehr muss der Verpflichtete die Beweismittel gerade im berechtigten Vertrauen darauf, dass der Gläubiger seine Rechte nicht mehr geltend machen wird, nicht sichergestellt oder vernichtet haben3. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Umstand, dass ggf. in einer Vielzahl von arbeitsgerichtlichen Entscheidungen von einem Betriebsübergang von der Betriebsübergeberin auf die Betriebsübernehmerinausgegangen wurde, war von vornherein nicht geeignet, bei der Betriebsübergeberin ein berechtigtes Vertrauen darauf zu begründen, dass der Arbeitnehmer seine Rechte nicht mehr klageweise geltend machen würde. Im Gegenteil, der Betriebsübergeberin musste vielmehr bereits aufgrund der Tatsache, dass andere Arbeitnehmer einen Betriebsübergang von ihr auf die Betriebsübernehmerinin Abrede gestellt und einen Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses mit ihr über den 31.03.2011 hinaus reklamiert hatten, die rechtliche Problematik ihres Vorgehens im Zusammenhang mit der „Vereinbarung über Lohnfertigung und Geschäftsbesorgungsvertrag über Betriebsführung“ bekannt sein. Sie musste deshalb damit rechnen, dass auch andere Arbeitnehmer – wie der Arbeitnehmer – entsprechende Klagen erheben würden. Dies hätte die Betriebsübergeberin veranlassen müssen, die zur Verteidigung gegen derartige Klagen vorhandenen Unterlagen und Beweismittel sicherzustellen und aufzubewahren. Wenn dies gleichwohl nicht geschehen ist, eröffnet dies der Betriebsübergeberin nicht die Möglichkeit, sich auf das nur in besonderen Ausnahmefällen aus Gründen des Vertrauensschutzes anzu Rechtsinstitut der Prozessverwirkung zu berufen.

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Aus dem Umstand, dass der Arbeitnehmer sich zunächst nur mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung der Betriebsübernehmerin vom 28.10.2014 zur Wehr gesetzt und von einer Klage gegen die Betriebsübergeberin zunächst abgesehen hat, folgt nichts Abweichendes. Solange noch nicht abschließend geklärt war, ob es mit dem 1.04.2011 zu einem Betriebsübergang von der Betriebsübergeberin auf die Betriebsübernehmeringekommen war, musste der Arbeitnehmer – auch um sich ein Widerspruchsrecht gegen einen etwaigen Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der Betriebsübergeberin auf die Betriebsübernehmerinzu erhalten und sich nicht dem Vorwurf einer unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) aufgrund einer Disposition über sein Arbeitsverhältnis auszusetzen4, zunächst innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG die Kündigung der Betriebsübernehmerinangreifen. Im Übrigen hat sich der Arbeitnehmer mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage genau so verhalten, wie es die Betriebsübergeberin nach den gesamten Umständen, insbesondere aufgrund ihres eigenen Unterrichtungsschreibens vom 01.03.2011 über einen Betriebsübergang auf die Betriebsübernehmerinerwarten musste. Dass der Arbeitnehmer seit 2013 von der Liquidation der Betriebsübernehmerin wusste und im Jahr 2014 von den Interessenausgleichsverhandlungen und dem Tätigwerden der Einigungsstelle erfahren hat, ist insoweit ohne Belang. Ebenso wenig wirkt sich aus, dass der Arbeitnehmer nahezu vier Jahre die Arbeitgeberstellung der Betriebsübernehmerin nicht angezweifelt und die Betriebsübergeberin nicht als Arbeitgeber angesprochen hatte.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Januar 2018 – 8 AZR 309/16

  1. BAG 21.09.2017 – 2 AZR 57/17, Rn. 29; 20.04.2011 – 4 AZR 368/09, Rn. 23 mwN; 10.10.2007 – 7 AZR 448/06, Rn. 17[]
  2. BAG 21.09.2017 – 2 AZR 57/17 – aaO; 20.04.2011 – 4 AZR 368/09 – aaO mwN; 10.10.2007 – 7 AZR 448/06 – aaO[]
  3. vgl. BGH 18.01.2001 – VII ZR 416/99, zu II 2 b der Gründe; 26.05.1992 – VI ZR 230/91, zu II 1 b der Gründe[]
  4. vgl. hierzu BAG 24.08.2017 – 8 AZR 265/16, Rn. 50; 26.05.2011 – 8 AZR 18/10, Rn. 32; 18.03.2010 – 8 AZR 840/08, Rn. 35; 23.07.2009 – 8 AZR 357/08, Rn. 45[]
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