Vertraglicher Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt

Wenn ein tarifgebundener Arbeitgeber in einem Formulararbeitsvertag den bei ihm geltenden Tarifvertrag mit einer uneingeschränkten Bezugnahmeklausel in das Arbeitsverhältnis einbezieht, wird damit für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar, dass das Arbeitsverhältnis umfassend nach den entsprechenden tariflichen Regelungen gestaltet werden soll. Dann bedarf es für die Annahme, mit weiteren Regelungen des Arbeitsvertrags solle eine – konstitutive – Besser- oder Schlechterstellung gegenüber diesen tariflichen Regelungen vereinbart werden, besonderer Anhaltspunkte1.

Vertraglicher Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt

Ausgehend hiervon stellt die Regelung des Arbeitsvertrags „Die Bezüge werden 13mal jährlich bargeldlos gezahlt.“ mangels besonderer Anhaltspunkte für eine Abweichung von tarifvertraglichen Regelungen keine eigenständige, konstitutive Regelung eines 13. Monatsbezugs dar.

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall finden auf die Regelungen des Arbeitsvertrags die Auslegungsmaßstäbe für Allgemeine Geschäftsbedingungen Anwendung. Das Arbeitsgericht hat festgehalten, dass der Vertrag von der Arbeitgeberin formularmäßig verwendet und vorformuliert wurde. Das Landesarbeitsgericht hat hierauf in seiner Entscheidung Bezug genommen. Der im Jahr 1988 geschlossene Arbeitsvertrag ist nach Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB einer AGB-Kontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB zu unterziehen.

Für die Auslegung des Arbeitsvertrags vom 10.11.1988 kommt es deshalb darauf an, wie die Klauseln – ausgehend vom Vertragswortlaut – nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Die einzelne Klausel ist dabei im Kontext des Formularvertrags zu interpretieren und darf nicht aus einem ihre Beurteilung mit beeinflussenden Zusammenhang gerissen werden. Zu berücksichtigen sind dabei Regelungen, die mit der maßgeblichen Klausel in einem dem typischen und durchschnittlich aufmerksamen Vertragspartner erkennbaren Regelungszusammenhang stehen2. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis können ferner der von den Parteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten sein3.

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Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel, geht dies gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders. Die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB setzt allerdings voraus, dass die Auslegung einer einzelnen AGB-Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und von diesen keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die Anwendung der Bestimmung nicht4.

Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen unterliegt der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht5.

Ausgehend hiervon haben in den Vorinstanzen das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht München6 die zwischen den Parteien getroffenen vertraglichen Vereinbarungen richtig ausgelegt. Ziffer 5 des Arbeitsvertrags („“Die Bezüge werden 13mal jährlich bargeldlos gezahlt.“) begründet – auch in Zusammenschau mit der tariflichen Eingruppierung in Ziffer 4 des Arbeitsvertrages – keinen vertraglichen Anspruch auf einen „13. monatlichen Bezug“. Ebenso wenig garantiert diese Regelung die Zahlung der tariflichen Sozialbezüge – Urlaubs- und Weihnachtsgeld – unabhängig vom jeweiligen Inhalt der entsprechenden tariflichen Regelungen.

Der Wortlaut von Ziffer 5 des Arbeitsvertrags – „Die Bezüge werden 13mal jährlich bargeldlos gezahlt“ – ist nicht eindeutig. Die Formulierung ähnelt üblichen Regelungen zu den Zahlungsmodalitäten. Dies zeigt sich in der Verwendung des Passivs und dem Hinweis auf die bargeldlose Überweisung. Das spricht gegen eine Auslegung als eigenständige Anspruchsgrundlage. Allerdings schließt der Wortlaut der Klausel es auch nicht aus, den Hinweis auf die 13-mal erfolgende Zahlung „der Bezüge“ als eigenständige Regelung der insgesamt jährlich geschuldeten Vergütungssumme zu verstehen.

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Zieht man die Systematik der vertraglichen Regelungen und das Gesamtbild des Vertrags heran, wird unter Berücksichtigung des Verständnisses der beteiligten Verkehrskreise hinreichend deutlich, dass das Arbeitsverhältnis insgesamt – einschließlich der Sozialbezüge – den tariflichen Regelungen dynamisch unterworfen werden sollte. Ziffer 5 des Arbeitsvertrags stellt in diesem Regelungskontext lediglich eine deklaratorische Bestimmung zu den Zahlungsmodalitäten und eine Information zur Gesamtvergütung unter Geltung der damaligen tariflichen Regelungen dar.

Wenn ein tarifgebundener Arbeitgeber in einem Formulararbeitsvertag den bei ihm geltenden Tarifvertrag mit einer uneingeschränkten Bezugnahmeklausel in das Arbeitsverhältnis einbezieht, wird damit für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar, dass das Arbeitsverhältnis umfassend nach den entsprechenden tariflichen Regelungen gestaltet werden soll. Dann bedarf es für die Annahme, mit weiteren Regelungen des Arbeitsvertrags solle eine – konstitutive – Besser- oder Schlechterstellung gegenüber diesen tariflichen Regelungen vereinbart werden, besonderer Anhaltspunkte1.

Ausgehend hiervon stellt Ziffer 5 des Vertrags mangels besonderer Anhaltspunkte für eine Abweichung von tarifvertraglichen Regelungen keine eigenständige, konstitutive Regelung eines 13. Monatsbezugs dar.

Der Arbeitsvertrag vom 10.11.1988 enthält in Ziffer 3 Satz 1 – unmittelbar nach der Regelung des Vertragsbeginns und Arbeitsorts (Ziffer 1) und der Probezeit (Ziffer 2) – eine uneingeschränkte (zeit-)dynamische Bezugnahmeklausel. Die Rechte und Pflichten des Mitarbeiters sollen sich „aus den jeweils gültigen Tarifverträgen, den Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften der DLH“ ergeben. Diese Bezugnahmeklausel steht am Beginn des kurzen Vertrags und ist nicht Bestandteil etwaiger Schlussbestimmungen. Sie verweist also – vorangestellt – auf die Regelungen, nach denen das Arbeitsverhältnis durchgeführt werden soll. Die dynamische Bezugnahmeklausel enthält keine Einschränkungen hinsichtlich ihres Geltungsumfangs. Weder sieht sie nur eine Anwendung der in Bezug genommenen Regelungen „im Übrigen“ vor, noch „soweit im Arbeitsvertrag nichts anderes geregelt ist“. All dies spricht – erkennbar – für den Willen, ausschließlich und umfassend die tariflichen Regelungen anzuwenden.

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Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass gerade Ziffer 5 des Arbeitsvertrags konstitutiv gelten sollte und insoweit tarifvertragliche Regelungen – seien sie günstiger oder ungünstiger – keine Anwendung finden sollten, gibt es nicht. Der Arbeitsvertrag ist in seiner Kürze logisch aufgebaut. Ziffer 3 regelt die Bezugnahme auf den Tarifvertrag und die daraus folgende Eingruppierung, Ziffer 4 informiert darüber, welche „Bezüge“ aus dieser Eingruppierung folgen und Ziffer 5 erläutert, wie diese gezahlt werden. Zwar mag die Formulierung in Ziffer 5 des Vertrags mit ihrem Verweis auf die 13-malige Zahlung missglückt sein, sie ist aber, zumal unter Berücksichtigung der beteiligten Verkehrskreise – nicht unverständlich. Die Information, die Bezüge würden „13mal“ gezahlt, war im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit Blick auf die (damals) in § 30 MTV Nr. 13 Boden vorgesehene Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld für die rechnerische Höhe der Jahresbezüge zutreffend, auch wenn diese Summe in zwölf Teilbeträgen überwiesen wurde.

Aus der Erwähnung einer zu den jeweiligen Tarifbezügen gezahlten „Ausgleichszulage“ in Ziffer 4 des Vertrags, die „widerrufen oder gegen Vergütungserhöhungen jeder Art aufgerechnet werden (kann)“, ergibt sich nicht anderes. Unabhängig davon, dass der Arbeitnehmer eine derartige Zahlung nie erhalten hat, kann die Regelung für die Auslegung von Ziffer 5 nicht fruchtbar gemacht werden.

Auch nach der erkennbaren Interessenlage der Beteiligten sollten sich nach dem Arbeitsvertrag vom 10.11.1988 die Ansprüche auf Vergütung nach den tarifvertraglichen Bestimmungen in ihrer jeweils geltenden Fassung richten. Zusätzliche Anspruchsgrundlagen oder „Garantien“ sollte der Formularvertrag neben den tariflichen Ansprüchen gerade nicht schaffen. Hierfür spricht, dass es sich bei der Arbeitgeberin um ein großes und tarifgebundenes Unternehmen handelt, für das – wie aus den vorgelegten Tarifverträgen ersichtlich – ein ausdifferenziertes und umfangreiches Tarifwerk besteht. Vor diesem Hintergrund sollte mit der unbeschränkten dynamischen Bezugnahme im Arbeitsvertrag erkennbar das Arbeitsverhältnis umfassend nach den entsprechenden tariflichen Regelungen gestaltet werden. Ausgehend hiervon wäre in einem solchen Vertrag die Vereinbarung von nicht in den Tarifverträgen vorgesehenen Leistungen oder deren einzelvertragliche Garantie sehr ungewöhnlich7.Diese Rahmenbedingungen des Arbeitsverhältnisses waren und sind für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar. Für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen kommt es auf diese Verkehrskreise und auf das Verständnis von verständigen und redlichen Vertragspartnern an. Ein etwaiger abweichender Kenntnisstand oder Erwartungshorizont des Arbeitnehmers ist insoweit nicht maßgeblich.

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Dieses Verständnis der vertraglichen Regelungen, nach dem das tarifliche Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf die unter Ziffer 5 des Arbeitsvertrags erwähnte 13-malige Zahlung der Bezüge zu beziehen ist, entspricht auch dem übereinstimmenden Verständnis der Parteien, wie es sich aus der jahrzehntelangen Vertragspraxis ergibt.

Der Arbeitnehmer hat – vor Vereinbarung des TV Corona-Krise, zu keinem Zeitpunkt die Zahlungsmodalitäten und die Gesamtsumme seiner jährlichen Vergütung beanstandet. Er hat keinen zu einem weiteren Zahlungstermin zu leistenden 13. (in Summe 14.) Bezug verlangt. Wie sich aus den im Verfahren vorgelegten Entscheidungen ergibt und dem Bundesarbeitsgericht aus weiteren Parallelverfahren bekannt ist, ist auch nicht ersichtlich, dass andere Arbeitnehmer der Arbeitgeberin bzw. des Konzerns dies getan hätten. Hätten sie oder der Arbeitnehmer die arbeitsvertragliche Regelung zur 13-maligen Zahlung der Bezüge als Anspruchsgrundlage für eine Sonderzahlung verstanden, wäre dies aber zu erwarten gewesen.

Soweit der Arbeitnehmer meint, dass ihm nach dem Arbeitsvertrag in der Summe kein 14. Monatsgehalt, sondern „nicht weniger als 13 Bezüge“ zustünden, lässt sich diese Argumentation nur schwer damit vereinbaren, dass er zugleich meint, der vertragliche „13. Bezug“ sei nicht synonym mit dem tariflichen Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu verstehen. Wenn eine arbeitsvertragliche Regelung so auszulegen sein soll, dass sie einen an sich tariflichen Anspruch „absichert“, müsste sie auf diesen tariflichen Anspruch (hier das Weihnachts- und Urlaubsgeld) bezogen sein. Darüber hinaus wäre es – für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar – sehr ungewöhnlich, zunächst eine umfassende Bezugnahmeklausel zu vereinbaren, und dann ohne ausdrückliche Hinweise im Wortlaut bestimmte tarifliche Leistungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen individualvertraglich festzuschreiben. In diesem Zusammenhang weist das Landesarbeitsgericht zutreffend darauf hin, dass der Arbeitnehmer auch nicht davon ausgegangen ist, es hätten durch die Nennung eines bestimmten Vergütungsbetrags in Ziffer 4 des Arbeitsvertrags Abweichungen von der zeitlichen Dynamik der Bezugnahmeklausel vorgesehen werden sollen. Ohne besondere Anhaltspunkte gibt es – weder für Ziffer 4 noch für Ziffer 5 des Vertrags – einen Anlass, von einer Besser- oder Schlechterstellung gegenüber den dynamisch in Bezug genommenen tarifvertraglichen Regelungen auszugehen.

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Nach den vorstehenden Ausführungen sind die vertraglichen Regelungen nicht mehrdeutig iSd. § 305c Abs. 2 BGB. Bei Berücksichtigung der anerkannten Auslegungsmethoden bestehen im Entscheidungsfall keine erheblichen Zweifel8.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. Juni 2023 – 5 AZR 9/23

  1. vgl. BAG 10.07.2013 – 10 AZR 898/11, Rn. 21, 23[][]
  2. BAG 23.09.2020 – 5 AZR 193/19, Rn. 17; BGH 10.06.2020 – VIII ZR 289/19, Rn. 30[]
  3. vgl. BAG 27.04.2022 – 4 AZR 289/21, Rn. 18; 16.12.2015 – 5 AZR 567/14, Rn.12, BAGE 154, 8[]
  4. BAG 16.06.2021 – 10 AZR 31/20, Rn. 44 mwN[]
  5. st. Rspr., zB BAG 16.10.2019 – 5 AZR 352/18, Rn. 23 mwN, BAGE 168, 122[]
  6. LAG München 26.10.2022 – 5 Sa 221/22[]
  7. vgl. BAG 10.07.2013 – 10 AZR 898/11, Rn. 23[]
  8. vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall BAG 10.07.2013 – 10 AZR 898/11, Rn. 24[]

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