Amtshaftung für die Unterbringung von psychisch Kranken in Bayern

Nach bayerischem Landesrecht ist die Unterbringung von psychisch Kranken oder psychisch Gestörten zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Art. 1 Abs. 1 BayUnterbrG) eine staatliche Aufgabe, die von den (neben anderen Stellen primär zuständigen) Landratsämtern als Staatsbehörden und nicht als Kreisbehörden wahrgenommen wird (Art. 37 Abs. 1 BayLKrO). Die staatliche Aufgabe der Unterbringung und mit ihr die im Einzelfall konkret ergriffenen Unterbringungsmaßnahmen werden durch Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 BayBezO nicht, auch nicht teilweise auf die Bezirke (als eigene Aufgabe) übertragen. Für Amtspflichtverletzungen, die anlässlich der Unterbringung durch Ärzte begangen werden, die bei einem in der Rechtsform der gGmbH organisierten, aus dem Kommunalunternehmen eines Bezirks ausgegliederten psychiatrischen Krankenhaus beschäftigt sind, haftet der Freistaat Bayern und nicht der betreffende Bezirk.

Amtshaftung für die Unterbringung von psychisch Kranken in Bayern

Passivlegitimiert für derartige Amtshaftungsklagen ist damit allein der Freistaat Bayern.

Die verantwortlichen Ärzte des Klinikums handelten im Zusammenhang mit der Unterbringung des Klägers in Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 Satz 1 GG. Maßnahmen der gegen den Willen des Betroffenen erfolgenden Unterbringung und der ärztlichen Zwangsbehandlung aufgrund der Unterbringungsgesetze – hier: Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 Satz 1, Art. 11 Abs. 1 Satz 1 BayUnterbrG – sind stets öffentlich-rechtlicher Natur1.

Die I. Klinikum gGmbH kommt nicht als Körperschaft in Betracht, die den Ärzten des Klinikums die Unterbringung und Behandlung des Klägers im Sinne von Art. 34 Satz 1 GG anvertraut hat. Juristische Personen des Privatrechts scheiden aus dem Kreis der nach Art. 34 GG haftpflichtigen Körperschaften generell aus2.

Weiterlesen:
Verfahrenskostenhilfe für das Vaterschaftsanfechtungsverfahren

Vorliegend kann zur Ermittlung der passivlegitimierten Körperschaft nicht auf die Anstellungskörperschaft abgestellt werden, da die behandelnden Ärzte Angestellte der I. Klinikum gGmbH und damit eines privaten Rechtsträgers waren. Das Klinikum M. und sein Personal sind daher nicht „Teil der gGmbH“ im Sinne deren Eigenschaft als Anstellungskörperschaft beziehungsweise Dienstherr.

In Fällen, in denen eine als Haftungssubjekt in Betracht kommende Anstellungskörperschaft nicht existent ist, trifft die Passivlegitimation denjenigen Träger öffentlicher Gewalt, der dem Amtsträger die konkrete Aufgabe, bei deren Erfüllung er die Pflichtverletzung begangen hat, übertragen beziehungsweise anvertraut hat3.

Dies ist vorliegend der Freistaat Bayern.

Die Unterbringung von psychisch Kranken oder psychisch Gestörten zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Art. 1 Abs. 1 BayUnterbrG) ist eine genuin staatliche Aufgabe4. Die Unterbringung ist eine „reine Staatsangelegenheit“ im Sinne des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 BayLKrO. Dies bedeutet, dass dann, wenn es sich bei der – im Regelfall für die Beantragung und die Ausführung der Unterbringung beziehungsweise die Anordnung und den Vollzug der vorläufigen Unterbringung primär zuständigen (vgl. Art. 5, 8, 10 Abs. 1 BayUnterbrG) – tätig werdenden Kreisverwaltungsbehörde um ein Landratsamt handelt, das Landratsamt diese Aufgabe nicht als Kreisbehörde, sondern als Staatsbehörde wahrnimmt (Art. 37 Abs. 1 BayLKrO); für Amtspflichtverletzungen in diesem Bereich haftet mithin gemäß Art. 35 Abs. 3 BayLKrO der Freistaat und nicht der Landkreis.

Der Freistaat Bayern hat – entgegen der Auffassung der Revision – die Durchführung der Unterbringung und die damit verbundenen Maßnahmen (hier: Fixierung des Untergebrachten) auch nicht (teilweise) auf die Bezirke übertragen mit der Folge, dass diese diese Aufgabe auf Kommunalunternehmen in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts hätten weiterübertragen können. Eine solche Übertragung ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 48 BayBezO:

Weiterlesen:
Unterbringung zur Heilbehandlung

Die Bezirke des Freistaates Bayern sind gemäß Art. 48 Abs. 2 BayBezO unbeschadet bestehender Verpflichtungen Dritter verpflichtet, nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften unter anderem die erforderlichen Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens zu treffen und die nötigen Leistungen für solche Maßnahmen zu erbringen. Nach Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 BayBezO sind die Bezirke unbeschadet bestehender Verpflichtungen Dritter in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, die erforderlichen stationären und teilstationären Einrichtungen unter anderem für Psychiatrie zu errichten, zu unterhalten und zu betreiben. Diese Aufgabe nehmen sie als Pflichtaufgabe im eigenen Wirkungskreis wahr5.

Bei dem gemäß Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 BayBezO erfolgenden Betrieb eines psychiatrischen Krankenhauses handelt es sich um eine von dem Bezirk und gegebenenfalls dem nach Art. 75 BayBezO von ihm hiermit betrauten Kommunalunternehmen wahrgenommene permanente und umfassende Aufgabe, in deren Rahmen dem Personal des Krankenhauses Teilbereiche ebenfalls dauerhaft anvertraut werden können. Indes ist, wenn – wie hier – in Bezug auf den handelnden Amtsträger ein öffentlicher Dienstherr fehlt, zur Ermittlung der passivlegitimierten Körperschaft nicht der Gesichtspunkt des dauerhaft übertragenen Aufgabenbereichs und der damit verbundenen Möglichkeit der Amtsausübung maßgebend. Entscheidend ist vielmehr in einem solchen Fall, von welcher Körperschaft dem Amtsträger das im Zusammenhang mit der einzelnen Unterbringung stehende öffentliche Amt konkret übertragen und anvertraut worden ist. Wird eine Person auf der Grundlage des Landesunterbringungsrechts in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, dann erfolgen die dort konkret ergriffenen Maßnahmen zum Schutz des Patienten vor sich selbst nicht (vorrangig) im Rahmen des den Beklagten übertragenen (allgemeinen) Betriebs einer gemäß Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 BayBezO errichteten Einrichtung, sondern in Erfüllung der nach Art. 11 Satz 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Abs. 1 BayUnterbrG bestehenden Pflicht des Krankenhauses, denjenigen aufzunehmen, der auf Veranlassung der zuständigen Behörde untergebracht werden muss. Das Krankenhaus wird hierdurch unabhängig von dem allgemeinen Einrichtungsbetrieb nach Art. 48 Abs. 3 BayBezO unmittelbar in die Unterbringung eingebunden. Die Maßnahmen der Ärzte des Klinikums M. stellen sich insofern – wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat – im Rahmen eines einheitlichen Vollzugs der staatlichen Unterbringung als Fortsetzung der gemäß Art. 10 Abs. 2 Satz 1 BayUnterbrG durch die Polizei erfolgten Einlieferung des Klägers dar.

Weiterlesen:
Unterhalt für Kuckuckskind

Die staatliche Aufgabe der Unterbringung und mit ihr die im Einzelfall konkret ergriffenen Unterbringungsmaßnahmen werden durch Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 BayBezO nicht, auch nicht teilweise auf die Bezirke übertragen. Gegenstand dieser Norm ist der allgemeine Betrieb der dort genannten Einrichtungen. Eine zusätzliche Übertragung einzelner staatlicher Aufgaben, deren Vollzug im Rahmen des Einrichtungsbetriebs erfolgt, ergibt sich hingegen aus Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 BayBezO nicht. Würde man dies – wie es die Revision für richtig hält – anders sehen, so würde die daraus resultierende Aufgabenteilung im Bereich der staatlichen Unterbringung zu einer erheblichen Unübersichtlichkeit der Zuständigkeiten für die einzelnen Maßnahmen und Stadien der Unterbringung und zu undurchsichtigen Haftungsverhältnissen führen. Beantragung und Ausführung der Unterbringung bis zur Einlieferung in ein psychiatrisches Bezirkskrankenhaus oblägen weiterhin der Kreisverwaltungsbehörde als staatliche Aufgabe. Die im Bezirkskrankenhaus ergriffenen Maßnahmen erfolgten sodann innerhalb des den Bezirken gesetzlich zugewiesenen (eigenen) Aufgabenbereichs. Soweit dagegen die Unterbringung nicht in einem psychiatrischen Bezirkskrankenhaus erfolgt (was nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 BayUnterbrG ohne weiteres möglich ist), verblieben auch die nach der Einlieferung im Rahmen der Unterbringung ergriffenen Maßnahmen mangels Übertragungsnorm im rein staatlichen Aufgabenbereich.

Aus den vorstehenden Gründen kann vorliegend von einer gesetzlichen Übertragung von Aufgaben im Bereich des Unterbringungsrechts auf die Bezirke nicht die Rede sein.

Weiterlesen:
Gewinnverteilung in der Ehegatteninnengesellschaft

Die vorstehende Sichtweise steht entgegen der Auffassung der Revision nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder der Obergerichte. Den von der Revision angeführten Entscheidungen lagen jeweils andere, nicht vergleichbare Sachverhalte zugrunde:

In seiner Entscheidung vom 23.09.19936 hat der Bundesgerichtshof offen gelassen, ob in Bezug auf den beklagten Krankenhausträger Anspruchsgrundlage entweder § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG oder die Verletzung des Krankenhausvertrages (§§ 611, 276, 278, 31, 89 BGB) ist. Das Krankenhaus, in dem sich die aufgenommene Patientin selbst verletzt hatte, stand in der Trägerschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Dafür, dass letztere nicht zugleich auch der Dienstherr des Krankenhauspersonals war, ist – anders als vorliegend – nichts ersichtlich. Der beklagte Krankenhausträger hätte daher im Fall einer öffentlichrechtlichen Ausgestaltung des Krankenhausaufnahmeverhältnisses bereits als Dienstherr gemäß Art. 34 GG gehaftet7. Für die Haftung als Dienstherr beziehungsweise Anstellungskörperschaft ist aber allein maßgeblich, dass die Körperschaft den Amtsträger angestellt und ihm damit die Möglichkeit der Amtsausübung eröffnet. Ob auch die konkrete Aufgabe, bei deren Erfüllung die Amtspflichtverletzung begangen wurde, in den Aufgabenkreis der Anstellungskörperschaft fällt, bleibt dagegen grundsätzlich unbeachtlich8. Dieser Umstand gewinnt erst an Bedeutung, wenn – wie vorliegend bei einem Anstellungsverhältnis zwischen dem Amtsträger und einem privaten Rechtsträger – eine öffentlichrechtliche Anstellungskörperschaft nicht existiert und daher darauf abzustellen ist, welcher Träger öffentlicher Gewalt dem Amtsträger das konkrete öffentliche Amt übertragen beziehungsweise anvertraut hat9. In dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.09.1993 entschiedenen Fall war daher die Frage, wer im Fall einer öffentlichrechtlichen Ausgestaltung des Krankenhausaufnahmeverhältnisses das konkrete öffentliche Amt dem Amtsträger anvertraut hatte, unerheblich. Gleiches gilt für die von der Revision angeführten Entscheidungen des Oberlandesgerichts Hamburg vom 14.02.200310, des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17.11.199711 und des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 10.01.199412.

Weiterlesen:
Unterbringung in der Psychiatrie - und die gravierende Störung des Rechtsfriedens

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. November 2012 – III ZR 150/12

  1. BGH, Urteile vom 24.09.1962 – III ZR 201/61, BGHZ 38, 49, 50 ff.; und vom 19.01.1984 – III ZR 172/82, NJW 1985, 677, 678; Beschluss vom 31.01.2008 – III ZR 186/06, NJW 2008, 1444 Rn. 4; MünchKomm-BGB/Papier, 5. Aufl., § 839 Rn. 165[]
  2. BGH, Urteil vom 30.11.1967 – VII ZR 34/65, BGHZ 49, 108, 115 f; BGH, Urteile vom 05.07.1990 – III ZR 166/89, NVwZ 1990, 1103, 1104 und vom 22.10.2009 – III ZR 295/08, VersR 2010, 346 Rn. 14; MünchKomm-BGB/Papier aaO § 839 Rn. 363[]
  3. st. Rspr.; BGH, Urteile vom 15.01.1987 – III ZR 17/85, BGHZ 99, 326, 330 f und vom 15.09.2011 – III ZR 240/10, WM 2012, 424 Rn. 30; Beschluss vom 26.03.1997 – III ZR 295/96, NJW 1997, 2109, 2110; Staudinger/Wurm [2007], BGB, § 839 Rn. 51 mwN; Papier in Maunz/Dürig [2012], GG, Art. 34 Rn. 295[]
  4. BGH, Beschluss vom 31.01.2008 – III ZR 186/06, NJW 2008, 1444 Rn. 4; vgl. Zimmermann, BayUnterbrG, 2. Aufl., Art. 5 Rn. 2[]
  5. vgl. Hölzle/Hien/Huber, GO mit VGemO, LKrO und BezO für den Freistaat Bayern, Art. 48 BayBezO [2008], Seite 11[]
  6. BGH, Beschluss vom 23.09.1993 – III ZR 107/92, NJW 1994, 794[]
  7. zur vorrangigen Haftung des öffentlichen Dienstherrn vgl. BGH, Beschluss vom 26.03.1997 – III ZR 295/96, NJW 1997, 2109, 2110[]
  8. BGH, Urteil vom 15.01.1987 – III ZR 17/85, BGHZ 99, 326, 330[]
  9. BGH, Urteil vom 26.03.1997 aaO[]
  10. OLG Hamburg, Beschluss vom 14.02.2003 – 1 U 186/00[]
  11. OLG Bamburg, Beschluss vom 17.11.1997 – 4 U 108/97[]
  12. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.01.1994 – 8 U 26/92[]
Weiterlesen:
Amtshaftung wegen Mobbings - und die nicht genutzten Rechtsmittel