Der Interessenkonflikt zwischen Betroffenem und Betreuer

Seit der zum 1.01.2023 in Kraft getretenen Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts ist die isolierte gerichtliche Entziehung der Vertretungsbefugnis des Betreuers wegen erheblichen Interessengegensatzes nicht mehr zulässig. § 1789 Abs. 2 BGB ist nicht analog anwendbar.

Der Interessenkonflikt zwischen Betroffenem und Betreuer

Das Bestehen eines Interessenkonflikts zwischen Betroffenem und Betreuer ist bei der Erstanordnung der Betreuung zu berücksichtigen und kann Grund zur Anordnung einer geteilten Mitbetreuung nach § 1817 Abs. 1 Satz 2 BGB geben. Diese kann auch nachträglich im Wege der teilweisen Entlassung des Betreuers nach § 1868 Abs. 1 BGB und der Bestellung eines weiteren Betreuers erfolgen.

Nach § 1817 Abs. 5 BGB hat das Betreuungsgericht einen Ergänzungsbetreuer zu bestellen, soweit ein Betreuer aus rechtlichen Gründen gehindert ist, einzelne Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen.

Eine rechtliche Verhinderung besteht, wenn und soweit die Vertretungsmacht des Betreuers nach § 1824 BGB ausgeschlossen ist, insbesondere gemäß § 1824 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 BGB für ein Rechtsgeschäft zwischen seinem Ehegatten oder einem seiner Verwandten in gerader Linie einerseits und dem Betreuten andererseits. Das gilt nach §§ 1824 Abs. 2, 181 BGB auch für Insichgeschäfte des Betreuers.

Die vom Landgericht Bonn1 für die Ergänzungsbetreuerbestellung angeführte Vorschrift des § 1789 BGB, die dem früheren § 1796 BGB (in der – bis zum 31.12.2022 gültigen – Fassung vom 17.12.2008, im Folgenden: aF) entsprechend eine gerichtliche Entziehung der Vertretungsbefugnis bei erheblichem Interessengegensatz vorsieht, betrifft die Vormundschaft und findet auf die rechtliche Betreuung keine Anwendung. Die bis 31.12.2022 in § 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB aF insoweit noch vorgesehene entsprechende Anwendung von § 1796 BGB auf die Betreuung ist durch das am 1.01.2023 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 04.05.20212 nicht übernommen worden.

Einer in der Literatur befürworteten analogen Anwendung des § 1789 BGB3 fehlt es an den hierfür notwendigen Voraussetzungen.

Eine Analogie erfordert zum einen eine planwidrige Regelungslücke. Zum anderen muss eine Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte gegeben sein, also der entscheidungsrelevante Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar sein, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen4.

Hier fehlt es schon an einer planwidrigen Regelungslücke. Vielmehr ist von einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers auszugehen. Im Zuge der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts sind die Verweisungen im früheren § 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB auf das Vormundschaftsrecht vollständig aufgelöst worden. Bei § 1789 BGB ist die Verweisungsrichtung vielmehr teilweise umgekehrt worden, indem dort nunmehr mit § 1824 BGB auf das Betreuungsrecht verwiesen wird. Die geänderten gesetzlichen Verweisungen in § 1629 Abs. 2 BGB, die sowohl den Ausschluss der Vertretungsmacht als auch die gerichtliche Entziehung der Vertretung erfassen, können hier nicht für ein vermeintliches Redaktionsversehen angeführt werden5. Das Kindschaftsrecht weist gegenüber dem Betreuungsrecht bedeutsame Unterschiede auf. Das zeigt sich schon daran, dass die Entziehung von Teilbefugnissen der elterlichen Sorge ohne die Möglichkeit nach §§ 1629 Abs. 2, 1789 Abs. 2 BGB gemäß § 1666 BGB erst ab der Schwelle der Kindeswohlgefährdung zulässig wäre, während das Betreuungsrecht in §§ 1815, 1817 BGB wesentlich flexiblere Regelungen erlaubt. Die gleichzeitig erfolgte unterschiedliche Regelung im Kindschaftsrecht belegt im Gegenteil, dass dem Gesetzgeber im Bereich des Betreuungsrechts die Streichung der Verweisung auf das Vormundschaftsrecht im Hinblick auf die Entziehung der Vertretung wegen erheblichen Interessenkonflikts sehr wohl bewusst war, was eine Analogie gerade verbietet. Die unterschiedliche Betrachtung von Betreuungsrecht einerseits und Kindschafts- und Vormundschaftsrecht andererseits kommt dementsprechend in der Begründung des Gesetzentwurfs an mehreren Stellen deutlich zum Ausdruck. Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass die Regelung zur Entziehung der Vertretungsmacht des Vormunds ihren Standort mangels Relevanz im Betreuungsrecht im Vormundschaftsrecht behalte. Im Betreuungsrecht bestehe die Möglichkeit, dem Betreuer einen bestimmten Aufgabenbereich zu entziehen6. An anderer Stelle heißt es, einer Regelung im Betreuungsrecht, wonach dem Betreuer die Vertretungsmacht entzogen werden könne, bedürfe es nicht, da in einem solchen Fall der Aufgabenbereich entzogen werden könne7. Dass dort jeweils von einer Entziehung die Rede ist, weist8 noch nicht auf eine – vermeintlich übersehene – Entziehung der Vertretung hin, sondern bezieht sich auf den Aufgabenbereich und enthält damit einen deutlichen Hinweis auf die Festlegung des Umfangs der Betreuung in §§ 1815 Abs. 1, 1817 Abs. 1 BGB.

Der Gesetzgeber war sich mithin der Streichung einer Entziehung der Vertretung wegen erheblichen Interessenkonflikts des Betreuers bewusst und hat diese sogar gezielt vorgenommen. Dass dadurch keine Rechtsschutzlücke für den Betroffenen entstanden ist, ergibt sich aus der Möglichkeit, gerade im Fall des (partiellen) Interessenkonflikts zwischen Betroffenem und Betreuer nach §§ 1815 Abs. 1, 1817 Abs. 1 Satz 2 BGB eine geteilte Betreuung zu verschiedenen Aufgabenbereichen anzuordnen9. Die Anordnung einer nach Aufgabenbereichen geteilten Mitbetreuung gemäß § 1817 Abs. 1 Satz 2 BGB ermöglicht schon bei der erstmaligen Anordnung der Betreuung eine umfassende Berücksichtigung der Interessen des Betroffenen. Wird ein erheblicher Interessenkonflikt erst nach der Erstanordnung der Betreuung offenbar oder entsteht dieser erstmals aufgrund veränderter Sachlage, so ist dem durch Entziehung eines Aufgabenbereichs als teilweise Entlassung des Betreuers (§ 1868 BGB) Rechnung zu tragen10.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25. Juni 2025 – XII ZB 157/24

  1. LG Bonn, Beschluss vom 07.03.2024 – 4 T 334/23, FamRZ 2025, 544[]
  2. BGBl. I S. 882[]
  3. so Reh FamRZ 2022, 673, 674; BeckOGK/Schmidt-Recla [Stand: 1.02.2025] BGB § 1817 Rn. 50 mwN; MünchKommBGB/Schneider 9. Aufl. § 1817 Rn. 32; aA Grüneberg/Götz BGB 84. Aufl. § 1824 Rn. 1; Jurgeleit/Jurgeleit Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1817 Rn. 25; Jürgens/Brosey Betreuungsrecht 8. Aufl. § 1817 Rn. 13; BeckOK BGB/Müller-Engels [Stand: 1.05.2025] § 1817 Rn. 17; Braun in Bauer/Lütgens/Schwedler HK Betreuungs- und Unterbringungsrecht [Stand: Juni 2024] § 1817 Rn. 63[]
  4. st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss BGHZ 225, 166 = FamRZ 2020, 1009 Rn. 36 mwN[]
  5. so aber Reh FamRZ 2022, 673, 674[]
  6. BT-Drs.19/24445 S.203[]
  7. BT-Drs.19/24445 S. 259[]
  8. entgegen BeckOGK/Schmidt-Recla [Stand: 1.02.2025] BGB § 1817 Rn. 50[]
  9. Braun in Bauer/Lütgens/Schwedler HK Betreuungs- und Unterbringungsrecht [Stand: Juni 2024] § 1817 Rn. 63; Jürgens/Brosey Betreuungsrecht 8. Aufl. § 1817 Rn. 13[]
  10. Grüneberg/Götz BGB 84. Aufl. § 1824 Rn. 1, § 1868 Rn. 1; Jurgeleit/Jurgeleit Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1817 Rn. 25; vgl. BVerfG FamRZ 2022, 722 Rn. 18 f.; BayObLG Beschluss vom 17.07.2002 – 3Z BR 135/02, Rn. 11; anders Jürgens/Brosey Betreuungsrecht 8. Aufl. § 1817 Rn. 13: Änderungsentscheidung nach § 1871 Abs. 1 BGB[]

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