Die fehlende Rechtsbehelfsbelehrung – und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt

Die Vermutung fehlenden Verschuldens, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist, entfällt im Falle der Vertretung durch einen Rechtsanwalt nur dann, wenn sich das anwaltliche Mandat auf die Angelegenheit bezieht1.

Die fehlende Rechtsbehelfsbelehrung – und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt

Gemäß § 63 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde, soweit gesetzlich keine andere Frist bestimmt ist, binnen einer Frist von einem Monat einzulegen. Die Frist beginnt jeweils mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten (§ 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG). Im vorliegenden Fall ist die Entscheidung indessen an den Beteiligten nicht bekannt gegeben worden, weshalb eine Frist nach dieser Vorschrift nicht zu laufen begann.

Kann die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden, beginnt die Frist spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses (§ 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG). In Bezug darauf hat das Oberlandesgericht allerdings zutreffend erkannt, dass die Frist für einen im Verfahren übergangenen Beteiligten nicht vor der Bekanntgabe der Entscheidung an ihn oder einer anderweitigen Kenntnisnahme zu laufen beginnt2. Eine Rechtsmittelfrist konnte daher frühestens zu laufen beginnen, als der Beteiligte von dem Abänderungsbeschluss im Wege der Akteneinsicht durch seinen Rechtsanwalt Kenntnis erlangte.

Die Frage, welche Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt, nachdem ein Beteiligter ohne Bekanntgabewillen des Gerichts von einer rechtsmittelfähigen Entscheidung Kenntnis erlangt hat, ist bisher nicht höchstrichterlich entschieden3. Die Frage kann allerdings auch im vorliegenden Fall offenbleiben. Denn die Wahrung einer Frist muss nicht abschließend geklärt werden, wenn jedenfalls die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorliegen4. So liegt der Fall hier, da der Beteiligte eine etwa vor dem Eingang seines Rechtsmittels abgelaufene Beschwerdefrist jedenfalls nicht verschuldet versäumt hat.

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Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung von Rechtsbehelfsfristen in Familiensachen kommt nach § 17 Abs. 1 FamFG in Betracht, wenn der Verfahrensbeteiligte die Frist ohne sein Verschulden versäumt hat.

Bei einem rechtsunkundigen Beteiligten kann ein Verschulden insbesondere dann entfallen, wenn ihm keine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden ist. Nach § 17 Abs. 2 FamFG wird deswegen ein Fehlen des Verschuldens vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

Im vorliegenden Fall war die Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft, weil darin schon nicht die nach § 39 Satz 1 FamFG erforderlichen Angaben über die bei der Einlegung des Rechtsbehelfs einzuhaltende Frist enthalten waren. Denn die Belehrung, dass gegen die Entscheidung innerhalb von einem Monat Beschwerde eingelegt werden kann, lässt nicht ausreichend erkennen, wann diese Frist beginnt. Ein rechtsunkundiger Leser könnte eine so gefasste Belehrung dahin auffassen, dass die Frist bereits am Tag des angegebenen Beschlussdatums beginnt, und bei dem Beteiligten im Zeitpunkt seiner ersten Kenntnisnahme von dem Beschluss die falsche Vorstellung ausgelöst haben, alle Rechtsbehelfsfristen seien bereits abgelaufen.

Wenn der Beteiligte allerdings in der Sache anwaltlich vertreten ist, ist der Rechtsirrtum regelmäßig verschuldet und verhindert eine Wiedereinsetzung. Denn wegen der vorhandenen Kenntnisse des Rechtsanwalts ist ihm gegenüber ein vollständiger und zutreffender Hinweis auf die gesetzlichen Grundlagen des zulässigen Rechtsmittels ausreichend. Daraus folgt, dass eine Wiedereinsetzung in denjenigen Fällen ausgeschlossen ist, in denen der Beteiligte wegen der durch seinen Rechtsanwalt vermittelten Kenntnis über seine Rechtsmittel keiner Unterstützung durch eine Rechtsbehelfsbelehrung bedarf. Auf diese Weise wird vor allem der geringeren Schutzbedürftigkeit anwaltlich vertretener Beteiligter Rechnung getragen5.

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Nach den vorstehenden Grundsätzen scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedoch im vorliegenden Fall nicht aus. Denn der Beteiligte war in der Vorinstanz nicht beteiligt worden und nicht anwaltlich vertreten. Zwar hat ein Rechtsanwalt für ihn die Verwaltungsakte des Versorgungsträgers und die Gerichtsakte des Abänderungsverfahrens eingesehen und dabei Kenntnis von dem ergangenen Beschluss erlangt. Diese Einsichtnahmen erfolgten aber nicht im Rahmen einer Rechtsvertretung im familiengerichtlichen Abänderungsverfahren, sondern ausdrücklich im Rahmen einer Rechtsvertretung im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren gegen den vom Versorgungsträger abgeänderten Rentenbescheid.

Die die Vermutungswirkung des § 17 Abs. 2 FamFG widerlegende Zurechnung anwaltlicher Kenntnisse über einen zulässigen Rechtsbehelf setzt indessen ein darauf bezogenes Mandatsverhältnis voraus. Ein solches besteht, wenn der Rechtsanwalt den Beteiligten im familiengerichtlichen Ausgangsverfahren vertreten hat. Gegenstand dieses Mandats ist es nämlich auch, den Mandanten zutreffend über die formellen Voraussetzungen eines gegebenen Rechtsbehelfs zu belehren6.

Anders liegt der Fall jedoch, wenn der Rechtsanwalt wie hier ausdrücklich in Wahrnehmung eines sozialversicherungsrechtlichen Mandats Akteneinsicht in die familiengerichtliche Gerichtsakte nimmt und hierbei Kenntnis von einer familiengerichtlichen Entscheidung erlangt. Denn das Mandat für das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren umfasst nicht die Überprüfung von Rechtsbehelfsmöglichkeiten in familienrechtlichen Rechtsangelegenheiten, mögen diese auch einen sachlichen Bezug zu dem Widerspruchsverfahren aufweisen. Ohne ausdrückliche Auftragserweiterung insoweit handelt sich um einen vom bestehenden Mandat nicht erfassten Gegenstand. Daher ist in einem solchen Fall nicht durch bestehende anwaltliche Vertretung die Vermutung widerlegt, dass der Belehrungsmangel kausal für den Rechtsirrtum des Beteiligten geworden ist.

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Eine Anwaltsvollmacht wegen der Abänderung der Entscheidung zum Versorgungsausgleich hat der Beteiligte indessen erst am 20.08.2020 erteilt, weshalb ihm frühestens ab diesem Zeitpunkt die Rechtskenntnisse des Anwalts auch insoweit zuzurechnen sind.

Die Ausschlussfrist des § 18 Abs. 4 FamFG, wonach nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder ohne Antrag bewilligt werden kann, ist hier nicht überschritten, da die Frist zur Einlegung der Beschwerde jedenfalls nicht vor der Kenntnisnahme von dem Beschluss frühestens im April 2020 begann.

Die Wiedereinsetzung kann auch ohne ausdrücklichen Antrag gewährt werden, da die versäumte Rechtshandlung innerhalb der für eine Wiedereinsetzung bestehenden Antragsfrist nachgeholt worden ist (§ 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG).

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 18/22

  1. Abgrenzung zu BGH, Beschlüssen vom 23.06.2010 – XII ZB 82/10 FamRZ 2010, 1425; und vom 25.11.2020 – XII ZB 256/20 FamRZ 2021, 444[]
  2. BGH, Beschluss vom 15.02.2017 – XII ZB 405/16 FamRZ 2017, 727 Rn. 7 ff. mwN[]
  3. vgl. BGHZ 230, 147 = FamRZ 2021, 1357 Rn. 38[]
  4. vgl. BGH Beschlüsse vom 27.02.2002 – I ZB 23/01 NJW-RR 2002, 1070; und vom 06.03.2007 – VIII ZB 102/06 3[]
  5. BGH, Beschluss vom 23.06.2010 – XII ZB 82/10 FamRZ 2010, 1425 Rn. 12, 15; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25.11.2020 – XII ZB 256/20 FamRZ 2021, 444 Rn. 7[]
  6. BGH, Beschluss vom 13.06.2012 – XII ZB 592/11 FamRZ 2012, 1287 Rn. 8[]
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