Aktuell hatte sich der Bundesgerichtshof erneut1 mit einer Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist von Amts wegen bei Versagung einer beantragten Fristverlängerung über den ohne Einwilligung des Gegners bewilligungsfähigen Zeitraum hinaus zu befassen:

Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat das Oberlandesgericht Dresden eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Beschwerdebegründung mit der Begründung abgelehnt, der Wiedereinsetzungsantrag sei nicht innerhalb der gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 5 FamFG maßgeblichen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO gestellt worden2. Darüber hinaus war nach Ansicht des Bundesgerichtshofs aber auch eine Wiedereinsetzung in den Lauf der Beschwerdebegründungsfrist von Amts wegen nicht veranlasst:
Nach §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 1 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Verfahrensbeteiligter ohne sein Verschulden verhindert war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten. Das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten ist dem Beteiligten zuzurechnen (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO). Der Verfahrensbeteiligte muss die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft machen.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO auch von Amts wegen gewährt werden, wenn die versäumte Verfahrenshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist. Weitere Voraussetzung ist allerdings, dass die Gründe für die unverschuldete Fristversäumung offenkundig sind oder nach erforderlichem gerichtlichem Hinweis offenkundig geworden wären3 und daher keiner Glaubhaftmachung bedürfen.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar hat die Antragsgegnerin die versäumte Rechtshandlung die Einreichung einer Beschwerdebegründung am 14.04.2022 und damit jedenfalls innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO nachgeholt. Gründe für eine unverschuldete Fristversäumung sind indes nicht offenkundig.
Die Sorgfaltspflicht verlangt in Fristsachen von einem Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Dabei kann die Berechnung und Notierung von Fristen zwar einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Der Rechtsanwalt hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden4. Die Einhaltung einer Rechtsmittelbegründungsfrist ist nicht nur durch die Eintragung der Hauptfrist, sondern zusätzlich durch eine ausreichende Vorfrist sicherzustellen5. Für den Fall eines Fristverlängerungsantrags bestehen zudem weitere Anforderungen an das Fristenwesen. In diesen Fällen muss als zusätzliche Fristensicherung auch das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenbuch eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt werden kann6.
Dass diese Anforderungen erfüllt waren, war nicht offenkundig, sondern hätte der konkreten Darlegung und Glaubhaftmachung durch die Antragsgegnerin bedurft. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde gilt insbesondere hier nicht deshalb etwas Abweichendes, weil das Oberlandesgericht nicht vor Ablauf der ohne Einwilligung des Gegners verlängerbaren Begründungsfrist über den Fristverlängerungsantrag entschieden oder die Antragsgegnerin zumindest rechtzeitig vor dem Ende dieser hypothetischen Frist darauf hingewiesen hatte, dass eine Fristverlängerung über den 4.04.2022 hinaus mangels Einwilligung des Antragstellers ausgeschlossen war. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist einem Beteiligten allerdings auch bei ihm zuzurechnendem Verschulden an der Fristversäumung zu gewähren, wenn sich das Verschulden wegen einer hierfür ursächlichen Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht nicht ausgewirkt hat7. Dies ist hier indes nicht der Fall.
Zunächst erweist es sich nicht als verfahrensfehlerhaft, dass das Oberlandesgericht über den Fristverlängerungsantrag der Antragsgegnerin nicht vor Ablauf der ohne Einwilligung des Gegners verlängerbaren Frist entschieden hat8. Soweit für den Fall einer gänzlich unterbliebenen, also auch nicht nachträglich ergangenen Entscheidung über einen Fristverlängerungsantrag anderes gelten sollte9, käme es hierauf nicht an, weil die verschuldete Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist auf dem Unterbleiben einer Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag nach dem gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO einwilligungsfrei bewilligungsfähigen Zeitraum jedenfalls nicht beruht.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war das Oberlandesgericht auch nicht aufgrund seiner aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgenden10 gerichtlichen Fürsorgepflicht gehalten, die Antragsgegnerin vor Ablauf des nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO ohne Einwilligung des Gegners bewilligungsfähigen Zeitraums auf die mangels Einwilligung fehlende Möglichkeit einer weitergehenden Fristverlängerung hinzuweisen. Denn das Rechtsmittelgericht darf grundsätzlich davon ausgehen, dass dem Verfahrensbevollmächtigten eines Beteiligten die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung von mehr als einem Monat bekannt sind11 und er daher eines entsprechenden Hinweises nicht bedarf. Aus dem Grundsatz, wonach ein Verfahrensbeteiligter darauf vertrauen darf, dass seine Schriftsätze alsbald nach ihrem Eingang bei Gericht zur Kenntnis genommen werden, offensichtliche äußere formale Mängel dabei nicht unentdeckt bleiben und er auf derartige behebbare Versäumnisse oder Fehler hingewiesen wird12, ergibt sich nichts Anderes. Bei der Einwilligung des Gegners zu einer über die Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO hinausgehenden Fristverlängerung handelt es sich schon nicht lediglich um eine bloße Formalie, bei deren Fehlen von einem offenkundigen Versehen des antragstellenden Verfahrensbeteiligten auszugehen ist.
Grundsätzlich ist es Sache der Verfahrensbeteiligten, für die Wahrung der Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen Sorge zu tragen, eine etwa erforderliche Einwilligung des Gegners zu einer Fristverlängerung beizubringen und Unklarheiten über das Fristende oder sonstige Voraussetzungen der Fristwahrung rechtzeitig auszuräumen. Dabei muss ein Rechtsmittelführer damit rechnen, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt13.
Darf der Beteiligte auf die Gewährung einer beantragten Fristverlängerung vertrauen, weil deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, bedarf es zwar keiner Nachfrage beim Gericht, ob die beantragte Fristverlängerung bewilligt wurde oder bewilligt werden wird14. So liegt es regelmäßig im Falle eines Fristverlängerungsantrags um nicht mehr als einen Monat oder bei Einwilligung des Gegners in eine weitergehende Fristverlängerung sowie Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO15.
Anderes gilt jedoch, wenn der Beteiligte mit der beantragten Fristverlängerung nicht rechnen kann, etwa weil diese die nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO einwilligungsfreie Dauer übersteigt und eine Einwilligung des Antragsgegners zu einer weitergehenden Fristverlängerung wie vorliegend weder erteilt noch vom Verfahrensbevollmächtigten des Gegners angekündigt ist16. In einem solchen Fall ist es Sache des Beteiligten, sich rechtzeitig nach dem Schicksal des von ihm gestellten Antrags auf Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist zu erkundigen, um die Begründung fristwahrend einreichen zu können17. Hiervon entbindet auch die gerichtliche Fürsorgepflicht nicht, sofern – wie hier – nicht erkennbar wird, dass der Verfahrensbevollmächtigte aufgrund eines Versehens auf die Bewilligung der beantragten Frist vertraut und er daher eines Hinweises bedarf.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 2. August 2023 – XII ZB 96/23
- im Anschluss an BGH, Beschluss vom 25.08.2021 – XII ZB 172/20 FamRZ 2021, 1988[↩]
- OLG Dresden, Beschluss vom 15.02.2023 – 20 UF 138/22[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 23.05.2012 – XII ZB 375/11 FamRZ 2012, 1205 Rn. 30 mwN; BGH Beschluss vom 16.01.2018 – VIII ZB 61/17 NJW 2018, 1022 Rn.19 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 19.10.2022 – XII ZB 113/21 NJW-RR 2023, 136 Rn. 11 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 17.05.2023 – XII ZB 533/22 11 mwN; und vom 19.10.2022 – XII ZB 113/21 NJW-RR 2023, 136 Rn. 13 ff. mwN[↩]
- vgl. etwa BGH Beschluss vom 22.06.2021 – VIII ZB 56/20 NJW 2022, 400 Rn. 34 mwN[↩]
- vgl. BGH Beschluss vom 14.10.2008 – VI ZB 37/08 FamRZ 2009, 321 Rn. 8[↩]
- vgl. BGH Beschluss vom 07.02.2023 – VIII ZB 55/21 NJW 2023, 1812 Rn. 40 mwN[↩]
- BGH Beschluss vom 16.01.2018 – VIII ZB 61/17 NJW 2018, 1022 Rn. 16[↩]
- BVerfGE 93, 99 = FamRZ 1995, 1559; BGH Beschluss vom 14.10.2008 – VI ZB 37/08 FamRZ 2009, 321 Rn. 9[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 25.08.2021 – XII ZB 172/20 FamRZ 2021, 1988 Rn. 14 mwN; BGH Beschluss vom 16.01.2018 – VIII ZB 61/17 NJW 2018, 1022 Rn. 16; vgl. auch BVerfGE 93, 99 = FamRZ 1995, 1559[↩]
- vgl. BGH Beschluss vom 14.10.2008 – VI ZB 37/08 FamRZ 2009, 321 Rn. 10[↩]
- BGH, Beschluss vom 31.01.2018 – XII ZB 565/16 FamRZ 2018, 841 Rn.19 mwN; BGH Beschluss vom 26.01.2017 – IX ZB 34/16 NJW-RR 2017, 564 Rn. 10 mwN[↩]
- BGH Beschluss vom 30.01.2023 – VIa ZB 15/22, FamRZ 2023, 718 Rn. 10 ff. mwN[↩]
- BGH Beschlüsse vom 30.01.2023 VIa ZB 15/22 FamRZ 2023, 718 Rn. 10 ff. mwN; vom 16.01.2018 – VIII ZB 61/17 NJW 2018, 1022 Rn. 25; und vom 09.05.2017 – VIII ZB 69/16 NJW 2017, 2041 Rn. 11 f. mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 25.08.2021 – XII ZB 172/20 FamRZ 2021, 1988 Rn. 10 f.; BGH Beschlüsse vom 07.02.2023 – VIII ZB 55/21 NJW 2023, 1812 Rn. 29; und vom 16.01.2018 – VIII ZB 61/17 NJW 2018, 1022 Rn. 14 f.[↩]
- vgl. BGH Beschlüsse vom 30.01.2023 VIa ZB 15/22 FamRZ 2023, 718 Rn. 12 mwN; und vom 26.01.2017 – IX ZB 34/16 NJW-RR 2017, 564 Rn. 12 mwN[↩]