Sieht ein Gewinnabführungsvertrag mit einer GmbH als Organgesellschaft die Möglichkeit des Verlustausgleichs durch Auflösung vororganschaftlicher Rücklagen vor, verstößt dies gegen § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG i.V.m. § 302 Abs. 1 AktG.

in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall war die Muttergesellschaft, eine GmbH, seit Juni 2016 alleinige Gesellschafterin der Tochtergesellschaft, ebenfalls eine GmbH. Zur Errichtung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft i.S. des § 14 KStG schlossen die Tochtergesellschaft und die Muttergesellschaft am 02.06.2016 einen EAV, der am 20.06.2016 in das Handelsregister eingetragen wurde. Nach § 3 Abs. 1 des EAV verpflichtete sich die Tochtergesellschaft zur Abführung ihres ganzen Gewinns an die Muttergesellschaft. § 3 Abs. 2 Satz 2 des Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag (EAV) sah vor, dass freie Rücklagen, die während der Dauer des Vertrags nach § 272 Abs. 3 HGB und § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildet werden, auf Verlangen der Muttergesellschaft aufzulösen und zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrags zu verwenden oder als Gewinn abzuführen sind. Nach § 3 Abs. 2 Satz 3 des EAV betraf dies auch die Auflösung von Gewinnrücklagen und von Kapitalrücklagen i.S. des § 272 Abs. 3 HGB und des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB, die vor Abschluss des EAV gebildet worden sind. § 3 Abs. 3 des EAV regelte, dass die Muttergesellschaft gegenüber der Tochtergesellschaft in entsprechender Anwendung des § 302 AktG in seiner jeweils gültigen Fassung zum vollen Verlustausgleich verpflichtet war.
Das Finanzamt lehnte die gesonderte und einheitliche Feststellung des dem Organträger zuzurechnenden Einkommens der Organgesellschaft und damit zusammenhängender anderer Besteuerungsgrundlagen gemäß § 14 Abs. 5 KStG ab. Das erstinstanzlich hiermit befasste Finanzgericht Münster wies die hiergegen gerichtete Sprungklage als unbegründet ab1. Zwar entspreche § 3 Abs. 3 des EAV bei isolierter Betrachtung den Anforderungen des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG, der die Vereinbarung einer Verlustübernahme durch Verweis auf § 302 AktG in seiner jeweils gültigen Fassung vorsehe. Bei einer Zusammenschau mit § 3 Abs. 2 Satz 2 und 3 des EAV, die nicht hinter den pauschalen Verweis in § 3 Abs. 3 des EAV zurücktreten, entspreche die Verlustübernahme jedoch nicht den Maßgaben des § 302 Abs. 1 AktG. Zum einen gestatte § 3 Abs. 2 Satz 2 und 3 des EAV nicht nur die Auflösung von Gewinnrücklagen, sondern durch den Verweis auf § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB auch die Auflösung von Kapitalrücklagen. Zum anderen erlaube § 3 Abs. 2 Satz 3 des EAV die unbeschränkte Auflösung vororganschaftlicher Rücklagen. Dies sei -insbesondere wegen der Besonderheiten korporationsrechtlicher Vereinbarungen- weder als Redaktionsversehen noch als „falsa demonstratio“ anzusehen. Auch die salvatorische Klausel des EAV führe zu keinem anderen Ergebnis.
Das Finanzgericht ließ die Revision nicht zu. Der Bundesfinanzhof verwarf nun die Nichtzulassungsbeschwerde der Tochtergesellschaft als unzulässig (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO), da sie nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt.
Beruht das angefochtene Urteil auf mehreren, jeweils selbständig tragenden Gründen, ist die Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zulässig, wenn gegen sämtliche dieser Entscheidungsgründe jeweils mindestens ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO hinreichend dargelegt wird2. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.
Das Finanzgericht stützt den entscheidungserheblichen Verstoß gegen § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG auf zwei Begründungsansätze, die selbständig nebeneinander stehen: Zum einen verweist es auf die im EAV vorgesehene Möglichkeit des Verlustausgleichs durch die Auflösung von Kapitalrücklagen i.S. des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB, zum anderen auf die darüber hinaus im EAV vorgesehene Möglichkeit des Verlustausgleichs durch die Auflösung vororganschaftlicher Rücklagen. Zumindest zum zuletzt genannten Begründungsansatz fehlt die hinreichende Darlegung eines Zulassungsgrunds i.S. des § 115 Abs. 2 FGO.
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) setzt die Darlegung einer Rechtsfrage voraus, die im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig ist. Ein im allgemeinen Interesse liegendes Klärungsbedürfnis liegt vor, wenn sich die Rechtsfrage nicht ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt, wenn sie nicht bereits durch höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt ist oder wenn neue Gesichtspunkte zu Unsicherheiten in der Beantwortung der Rechtsfrage führen und eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den Bundesfinanzhof erforderlich machen. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage aber nicht schon dann, wenn sie noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen ist; vielmehr ist erforderlich, dass ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt3.
Soweit die von der Tochtergesellschaft formulierten Rechtsfragen -zumindest auch- vororganschaftliche Rücklagen betreffen, werden sie diesen Anforderungen nicht gerecht.
Dies gilt insbesondere für die Rechtsfrage, ob eine Verflechtung der Anforderungen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 KStG zulässig ist und gegen die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG bereits dann verstoßen wird, wenn die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KStG künftig nicht erfüllt sein können. Mangels ausreichender Auseinandersetzung mit den Gründen des Finanzgerichts Münster, Urteils fehlt es an der hinreichenden Darlegung, inwiefern diese Frage im Zusammenhang mit vororganschaftlichen Rücklagen klärungsfähig sein soll. Das Finanzgericht nimmt für diesen Begründungsansatz ausschließlich auf § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG Bezug, der auf § 302 AktG verweist. § 302 Abs. 1 AktG lässt einen Verlustausgleich aber ausdrücklich nur durch die Auflösung solcher Rücklagen zu, die während der Vertragslaufzeit des EAV gebildet worden sind. Aufgrund dieses eindeutigen Gesetzeswortlauts kommt es für die entscheidungserhebliche Frage eines Verstoßes gegen § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG nicht auf eine Verknüpfung mit § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KStG oder den dort genannten § 301 AktG an.
Auch die allgemeinen Rechtsfragen zu den Anforderungen an eine Vereinbarung unter Verweis auf § 302 AktG und zu den möglichen Formen der Verlustübernahme erfüllen, soweit sie die Problematik vororganschaftlicher Rücklagen erfassen, nicht die oben genannten Anforderungen. Insofern fehlt jedenfalls die hinreichende Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Wie bereits dargelegt, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG i.V.m. § 302 Abs. 1 AktG eindeutig, dass eine Vereinbarung über die Möglichkeit des Verlustausgleichs durch Auflösung vororganschaftlicher Rücklagen schädlich ist.
Hinsichtlich des Zulassungsgrunds der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Variante 2 FGO) hätte die Tochtergesellschaft tragende abstrakte Rechtssätze der angefochtenen Vorentscheidung einerseits und der behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen müssen. Außerdem hätte die Tochtergesellschaft darlegen müssen, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind4. Diesen Anforderungen wird im Streitfall nicht genügt.
In der Beschwerdebegründung der Tochtergesellschaft fehlt bereits die hinreichende Darlegung eines abstrakten Rechtssatzes des Finanzgerichts Münster, der von den abstrakten Rechtssätzen der zitierten Divergenzentscheidungen abweichen soll. Insbesondere lässt sich der angefochtenen Vorentscheidung nicht entnehmen, dass das Finanzgericht an den EAV steuerliche Anforderungen gestellt hat, die dem BFH-Urteil vom 10.05.20175 widersprechen. Der Bundesfinanzhof hat in diesem Urteil keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der besagt, dass es hinsichtlich des Gewinnabführungsvertrags, der nach § 14 Abs. 1 KStG zur Anerkennung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft erforderlich ist, ausschließlich auf dessen zivilrechtliche Wirksamkeit ankommt. Dies zeigen bereits die Ausführungen des Bundesfinanzhofs in diesem Urteil6 zu der nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG erforderlichen Vertragslaufzeit.
Darüber hinaus ging es in diesem Urteil des Bundesfinanzhofs6 um eine Aktiengesellschaft als Organgesellschaft, so dass es -abweichend vom Streitfall, in dem die Organgesellschaft eine GmbH war- nicht auf § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG ankam. Das Finanzgericht hat die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft in der angefochtenen Vorentscheidung aber allein deshalb nicht anerkannt, weil der EAV bei zivilrechtlicher Auslegung der sich widersprechenden Regelungen in § 3 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 des EAV die Möglichkeit einer Verlustübernahme durch Auflösung vororganschaftlicher Rücklagen vorsah und dies den zivilrechtlichen Vorgaben des § 302 Abs. 1 AktG widersprach, auf den § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG verweist.
Vor diesem Hintergrund ist auch keine Divergenz zu denjenigen BFH-Entscheidungen dargelegt, die von der Tochtergesellschaft zu § 302 AktG zitiert werden7. In diesen Entscheidungen ging es gerade um die Einbeziehung dieser Regelung in den Gewinnabführungsvertrag. Von diesem Erfordernis ist auch das Finanzgericht Münster ausgegangen.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19. Oktober 2020 – I B 20/20
- FG Münster, Urteil vom 11.12.2019 – 9 K 1171/19 K[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 27.04.2009 – I B 177/08, m.w.N.[↩]
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Beschlüsse vom 11.09.2013 – I B 17/13, BFH/NV 2014, 184; vom 01.03.2016 – I B 32/15, BFH/NV 2016, 1141, jeweils m.w.N.[↩]
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Beschluss vom 08.06.2016 – I B 143/15, BFH/NV 2016, 1480, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 10.05.2017 – I R 51/15, BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30[↩][↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 10.05.2017 – I R 93/15, BFHE 259, 49, BStBl II 2019, 278[↩]