Die Frage, ob die Festsetzung von Zinsen unbillig ist, hängt nur von den Verhältnissen des jeweiligen Zinsschuldners ab; die Verhältnisse eines anderen Rechtssubjekts bleiben insoweit außer Betracht. Ein Zinserlass ist daher nicht geboten, wenn sich infolge einer Verrechnungspreiskorrektur einerseits die Körperschaftsteuer einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Kapitalgesellschaft mindert und diese infolge des Fehlens einer dem § 233a AO entsprechenden Regelung dort keine Erstattungszinsen beanspruchen kann, und sich andererseits infolge der Gewinnerhöhung einer inländischen (Schwester-)Mitunternehmerschaft die Einkommensteuer des inländischen Anteilseigners erhöht.

Die Finanzbehörden können nach § 227 AO Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören nach § 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 AO (im Streitzeitraum § 3 Abs. 3 AO) auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie z.B. Zinsen nach den §§ 233 bis 237 AO. Dem Erlass von Zinsen nach § 233a AO steht nicht entgegen, dass § 233a AO ‑anders als § 234 Abs. 2 AO für Stundungszinsen und § 237 Abs. 4 AO für Aussetzungszinsen- keine ausdrückliche Ermächtigung zu Billigkeitsmaßnahmen enthält [1].
Die Entscheidung über den Erlass ist eine Ermessensentscheidung der Behörde, die gemäß § 102 FGO gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann. Im Einzelfall kann der Ermessensspielraum aber so eingeengt sein, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Ist nur der Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ermessensgerecht, kann das Gericht gemäß § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung zum Erlass aussprechen [2].
Sachlich unbillig ist die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis vor allem dann, wenn sie im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft [3]. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber eine andere Regelung getroffen hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte [4]. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt daher keine Billigkeitsmaßnahme; die Billigkeitsprüfung darf nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen. Diese Grundsätze gelten auch im Zusammenhang mit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO [5].
Eine Billigkeitsmaßnahme ist nicht geboten, weil die Verrechnungspreiskorrektur dazu geführt hat, dass die Erhöhung der Einkommensteuerschuld der Kläger zu Nachzahlungszinsen geführt hat, während die österreichische GesmbH keine Erstattungszinsen beanspruchen kann.
Die in § 233a AO angeordnete Verzinsung bezweckt, den möglichen Liquiditätsvorteil abzuschöpfen, der einem einzelnen Steuerpflichtigen durch die verspätete Festsetzung der Steuer entsteht. Auf die Frage, ob dem Steuergläubiger insgesamt ein Schaden entstanden ist, kommt es insoweit nicht an. Deshalb ist bei der Frage, ob die Festsetzung von Zinsen unbillig ist, nur auf die Verhältnisse des jeweiligen Zinsschuldners abzustellen; die Verhältnisse eines anderen Rechtssubjekts bleiben insoweit außer Betracht [6].
Die Verrechnungspreiskorrektur hat sich jedoch im Streitfall einerseits ‑erhöhend- auf die Besteuerung des zu versteuernden Einkommens der Kläger und andererseits ‑mindernd- auf die Besteuerung der GesmbH ausgewirkt. Die Kläger sind indessen natürliche Personen, die österreichische GesmbH ist jedoch eine juristische Person des Privatrechts, die ihr Einkommen selbst der österreichischen Körperschaftsteuer zu unterwerfen hat. Eine Minderung ihres Einkommens wirkt sich mithin nicht unmittelbar auf die Besteuerung ihrer Anteilseigner aus.
Der Bundesfinanzhof braucht daher nicht zu entscheiden, ob ‑in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 15.01.2008 [7]- Auswirkungen im Steuerrechtsverhältnis einer Person zu einem anderen EU-Mitgliedstaat stets außer Betracht zu lassen sind, oder ob die aufgrund der Erhöhung der deutschen Einkommensteuer entstandenen Nachzahlungszinsen (teilweise) zu erlassen gewesen wären, wenn den Klägern gegen sie festgesetzte österreichische Einkommensteuer infolge der Verrechnungspreiskorrektur erstattet worden wäre, ohne dass sie insoweit Zinsen beanspruchen könnten.
Diese Entscheidung steht nicht im Widerspruch zum Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 28.07.2009 [8] und dem diesem zugrunde liegenden Urteil des Finanzgerichts des Saarlandes [9]. In jener Sache hatte das Finanzamt eine Zahlung der klagenden GmbH an eine neu eingetretene Gesellschafterin nicht als Gewinnausschüttung, sondern als Darlehensrückzahlung behandelt, wodurch einerseits Kapitalertragsteuer erstattet und andererseits Körperschaftsteuer nachgefordert wurde, die das Finanzamt sodann verrechnete (§ 226 AO). Insoweit handelt es sich zwar grundsätzlich um die Steuerrechtsverhältnisse verschiedener Personen, da eine Kapitalgesellschaft Schuldnerin der Körperschaftsteuer, nicht aber der Kapitalertragsteuer ist, die sie als Steuerentrichtungspflichtige für ihre Anteilseigner anzumelden und abzuführen hat. Da sie die Kapitalertragsteuer aber zu Unrecht angemeldet hatte, war die klagende GmbH nach § 37 Abs. 2 AO erstattungsberechtigt, was den Erlass der Nachzahlungszinsen auf ihre Körperschaftsteuerschuld rechtfertigte.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 3. Juli 2014 – III R 53/12
- BFH, Urteil vom 05.06.1996 – X R 234/93, BFHE 180, 240, BStBl II 1996, 503; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 233a AO Rz 89[↩]
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteile vom 26.08.2010 – III R 80/07, BFH/NV 2011, 401; vom 16.11.2005 – X R 28/04, BFH/NV 2006, 697; vom 11.07.1996 – V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259[↩]
- BFH, Urteil in BFH/NV 2011, 401[↩]
- BFH, Urteil vom 21.10.2009 – I R 112/08, BFH/NV 2010, 606[↩]
- BFH, Urteil vom 16.11.2005 – X R 3/04, BFHE 211, 30, BStBl II 2006, 155[↩]
- BFH, Urteile in BFH/NV 2010, 606; vom 12.04.2000 – XI R 21/97, BFH/NV 2000, 1178; vom 20.01.1997 – V R 28/95, BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716[↩]
- BFH, Beschluss vom 15.01.2008 – VIII B 222/06, BFH/NV 2008, 753[↩]
- BFH, Beschluss vom 28.07.2009 – I B 42/09, BFH/NV 2010, 5[↩]
- FG Saarland, Urteil vom 12.02.2009 – 2 K 2058/04[↩]