Der Redakteur als Amtsträger – oder: Über die Überlegenheit des öffentlichen Rundfunks

Redakteure öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten sind Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB, wie jetzt der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil feststellte.

Der Redakteur als Amtsträger – oder: Über die Überlegenheit des öffentlichen Rundfunks

Die Landesrundfunkanstalt – im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall der Hessische Rundfunkt (hr) – ist, so der Bundesgerichtshof, eine sonstige Stelle im Sinne dieser Vorschrift ist, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Die Begründung hierfür liest sich freilich wie eine Philippika gegen das Privatfernsehen:

Die öffentlich-rechtliche Rechtsform

Zwar verneint der Bundesgerichtshof die Auffassung, wonach Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts schon auf Grund ihrer Rechtsnatur stets sonstige Stellen gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB seien. Der öffentlich-rechtlichen Organisationsform der betreffenden Stelle kommt in diesem Zusammenhang keine allein ausschlaggebende Aussagekraft zu. Sie hat allerdings, so der BGH, erhebliche indizielle Bedeutung für das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „sonstige Stelle“1.

Die Erfüllung öffentlich Aufgaben durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Unter einer sonstigen Stelle ist, so der BGH weiter, eine behördenähnliche Institution zu verstehen, die selbst zwar keine Behörde im verwaltungsrechtlichen Sinn, aber rechtlich befugt ist, bei der Ausführung von Gesetzen und bei der Erfüllung von öffentlichen Aufgaben mitzuwirken2. Zu den öffentlichen Aufgaben gehören dabei nicht nur die der Eingriffs- und Leistungsverwaltung, sondern auch der Bereich der staatlichen Daseinsvorsorge3. Der hr wirkt – ebenso wie die übrigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – in diesem Sinne bei der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe mit.

Die öffentliche Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, wie sie durch die ständige Rechtsprechung des BVerfG entwickelt worden ist und seit dem 1. April 2004 auch durch § 11 RStV grob skizziert wird4, besteht in der Sicherstellung der unerlässlichen Grundversorgung der Bevölkerung mit Rundfunkprogrammen. Diese Grundversorgung gewährleistet, dass auch unter den heutigen Bedingungen des dualen Rundfunksystems der klassi-sche Auftrag des Rundfunks erfüllt wird, der neben seiner Rolle für die Meinungs- und politische Willensbildung, neben Unterhaltung und über laufende Berichterstattung hinausgehender Information auch seine kulturelle Verantwortung umfasst5. Zur Information im Sinne des klassischen Rundfunkauftrags gehört die gegenständlich uneingeschränkte Information über alle Lebensbereiche. Auch die Bedeutung der Berichterstattung über Sportereignisse erschöpft sich deshalb nicht in ihrem Unterhaltungswert, sondern erfüllt darüber hinaus eine wichtige gesellschaftliche Funktion, indem sie Identifikationsmöglichkeiten im lokalen und nationalen Rahmen bietet und Anknüpfungspunkt für eine breite Kommunikation in der Bevölkerung ist6.

Nur soweit und solange der öffentlich-rechtliche Rundfunk in vollem Umfang funktionstüchtig bleibt, können die derzeitigen Defizite des privaten Rundfunks an gegenständlicher Breite und thematischer Vielfalt hingenommen werden7. Der Charakter dieser Aufgabenstellung als öffentliche Aufgabe, die die Tätigkeit der öffentlich-rechtlich verfassten Rundfunkveranstalter von derjenigen privater Anbieter unterscheidet, findet seinen Niederschlag insbesondere in der Finanzierung durch eine Anstaltsnutzungsgebühr. Das BVerfG hat vielfach ausgesprochen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine besondere Eigenart, namentlich die Finanzierung durch eine Gebührenpflicht, die ohne Rücksicht auf die Nutzungsgewohnheiten der Empfänger allein an den Teilnehmerstatus anknüpft, gerade in der Gewährleistung des Grundversorgungsauftrags ihre Rechtfertigung finden8. Diese Finanzierungsform soll sichern, dass sich das Programm weitgehend frei von ökonomischen Zwängen an publizistischen Zielen, insbesondere dem der inhaltlichen Vielfalt, orientiert9. Daher trifft die Auffassung nicht zu, dass als primäres Ziel der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, nicht anders als bei privaten Veranstaltern, die Gewinnung von Marktanteilen zu sehen sei.

Vielmehr unterscheidet sich nach Auffassung des BGH der Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wesentlich von dem Programmauftrag der privaten Rundfunkanbieter. Durch den Grundversorgungsauftrag ist sichergestellt, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstal-ten für die Gesamtheit der Bevölkerung Programme anbieten, die umfassend und in der vollen Breite des klassischen Rundfunkauftrags informieren. Auf diese Weise wird im Rahmen dieses Programmangebots Meinungsvielfalt in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise hergestellt10. Dagegen werden an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen gestellt wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk11.

Dem entspricht, dass § 41 Abs. 2 RStV den privaten Anbietern von Rundfunkvollprogrammen (lediglich) aufgibt, „zur Darstellung der Vielfalt im deutschsprachigen und europäischen Raum mit einem angemessenen Anteil an Information, Kultur und Bildung beizutragen“, und dass gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 RStV im privaten Rundfunk „inhaltlich die Vielfalt der Meinungen im wesentlichen zum Ausdruck zu bringen“ ist. Demgegenüber haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nach § 11 Abs. 1 S. 2 RStV „einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben“.

Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks steht der Einordnung des Grundversorgungsauftrags als öffentliche Aufgabe der Rundfunkanstalten nicht entgegen12. Die Organisation der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als „staatsfreie Anstalten“13 findet ihre Rechtfertigung in der besonderen Natur der ihnen übertragenen Aufgabe: Das Organisationsstatut der mit der Erfüllung des Grundversorgungsauftrags befassten Rundfunkveranstalter muss Gewähr dafür bieten, dass im Rahmen der Programmgestaltung alle gesellschaftlich relevanten Kräfte zu Wort kommen und dass die Freiheit der Berichterstattung unangetastet bleibt. Die verfassungsrechtliche Garantie der Rundfunkfreiheit erfordert zwar, dass die Rundfunkveranstalter dem staatlichen Einfluss entzogen oder höchstens einer beschränkten staatlichen Rechtsaufsicht unterworfen sind14. Dieses verfassungsrechtliche Gebot inhaltlicher Unabhängigkeit ändert jedoch nichts daran, dass die Sicherung der Erfüllung des klassischen Rundfunkauftrags als öffentliche Aufgabe den Bundesländern übertragen ist, die sie ihrerseits den zu diesem Zweck errichteten Rundfunkanstalten zugewiesen haben, weil sie diese Aufgabe wegen des Gebots der Staatsfreiheit nicht unmittelbar selbst wahrnehmen können15. Das BVerfG hat die Veranstaltung von Rundfunksendungen durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ausdrücklich als öffentliche Aufgabe16 bzw. Aufgabe der öffentlichen Verwaltung17 bewertet.

Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 1984 entschieden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG in einer Gegenposition zum Staat stehe und insoweit nicht als Teil der staatlichen Organisation betrachtet werden könne18. Diese Entscheidung steht aber im Zusammenhang mit der Frage des Bestehens eines unmittelbar aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Pressefreiheit hergeleiteten Auskunftsanspruchs der Presse gegen eine Rundfunkanstalt als staatliche Stelle. Ihr kann wegen dieses speziellen Kontexts jedoch nichts für die Frage der Anwendbarkeit des strafrechtlichen Amtsträgerbegriffs auf die verantwortlichen Redakteure der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten entnommen werden. Soweit das BVerwG zugleich ausgesprochen hat, die Veranstaltung von Rundfunksendungen sei nicht mittelbare Staatsverwaltung, ist dies zudem durch neuere Rechtsprechung des BVerfG überholt. Dieses hat auch nach dem Zeitpunkt der Errichtung des dualen Rundfunksystems ausdrücklich daran festgehalten, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ungeachtet des Grundsatzes ihrer Staatsfreiheit Träger mittelbarer Staatsverwaltung sind19.

Kein „verlängerter Arm des Staates“ erforderlich

Für die Eigenschaft einer Anstalt oder Körperschaft des öffentlichen Rechts als sonstige Stelle im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB kommt es nicht darauf an, dass die betreffende Stelle bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben derart staatlicher Steuerung unterliegt, dass sie bei einer Gesamtbetrachtung der sie kennzeichnenden Merkmale als „verlängerter Arm“ des Staates erscheint12. Dieses Abgrenzungskriterium hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung für den Bereich der Tätigkeit privatrechtlich organisierter Einrichtungen und Unternehmen der öffentlichen Hand entwickelt20, weil es in diesem Zusammenhang eines aussagekräftigen Unterscheidungsmerkmals von staatlichem und privatem Handeln bedarf21. Auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben in Organisationsformen des öffentlichen Rechts ist es nicht übertragbar. Vielmehr ist es hier gerade das institutionelle Moment, das die Integrität und Funktionstüchtigkeit des Verwaltungsapparats und das öffentliche Vertrauen in die staatlichen Institutionen in den Blick geraten lässt, auch ohne dass der Aufgabenträger einer Steuerung der Aufgabenerfüllung durch staatliche Behörden im engeren Sinn unterliegt22. Vor diesem Hintergrund stellen auch solche Anstalten des öffentlichen Rechts, die auf Grund der besonderen Natur der ihnen zur Erfüllung anvertrauten öffentlichen Aufgabe von staatlicher Steuerung frei bleiben müssen und deshalb nicht der Staatsaufsicht unterliegen, sonstige Stellen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB dar.

Dem entspricht, dass der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit seinem Urteil vom 11. Mai 200123 die Verurteilung eines Bediensteten der GEZ – einer nicht rechtsfähigen Gemeinschaftseinrichtung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die diese auf der Grundlage einer zwischen ihnen geschlossenen Verwaltungsvereinbarung betreiben – wegen Bestechlichkeit bestätigt hat.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. November 2009 – 2 StR 104/09

  1. BGH NJW 2009, 3248, 3249; vgl. auch BGHSt 37, 191, 195 ff.[]
  2. BGHSt 49, 214, 219; BGH NJW 2007, 2932, 2933; 2009, 3248, 3249[]
  3. st. Rechtspr.; vgl. BGHSt 38, 199, 201 m.w.N.[]
  4. vgl. Eifert/Eicher in Beck´scher Komm. z. Rundfunkrecht 2. Aufl. § 11 RStV Rn. 49[]
  5. BVerfGE 73, 118, 157 ff.; 74, 297, 324 f.; 83, 238, 297 f.; 87, 181, 198 f.; 119, 181, 214 ff.[]
  6. BVerfGE 97, 228, 257[]
  7. BVerfGE 90, 60, 90 f.; 119, 181, 218[]
  8. BVerfGE 73, 118, 158; 87, 181, 199 f.; 90, 60, 90 f.; 119, 181, 219[]
  9. BVerfGE 119, 181, 219[]
  10. BVerfGE 83, 238, 297 f.; 87, 181, 198 f.[]
  11. BVerfGE 73, 118, 158 f.; 83, 238, 316[]
  12. aA Hellmann wistra 2007, 281, 283; Bernsmann in FS für Herzberg, 167, 171 ff.[][]
  13. Lange, Die öffent-lichrechtliche Anstalt, VVDStRL Heft 44, 169, 192 f.[]
  14. BVerfGE 12, 205, 259 ff.[]
  15. vgl. BVerfGE 31, 314, 329[]
  16. BVerfGE 12, 205, 243[]
  17. BVerfGE 12, 205, 245 u. 247; 31, 314, 329[]
  18. BVerwGE 70, 310, 316[]
  19. BVerfG NVwZ 2004, 472[]
  20. vgl. z.B. BGHSt 43, 370, 377; 45, 16, 19; 49, 214, 219; 50, 299, 303[]
  21. BGH NJW 2007, 2932, 2933[]
  22. ähnl. Lenckner ZStW 1994, 502, 532 f.; Haft NJW 1995, 1113, 1114 ff.[]
  23. 3 StR 549/00 = BGHSt 47, 22[]