Dringender Tatverdacht – und die Haftbeschwerde während laufender Hauptverhandlung

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht1.

Dringender Tatverdacht – und die Haftbeschwerde während laufender Hauptverhandlung

Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist.

Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Es muss deshalb allerdings in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhöhten Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen2 ausreichend Rechnung getragen werden kann.

Dies bedeutet indes nicht, dass das verhandelnde Tatgericht zu einer umfassenden Darstellung der Würdigung aller bislang erhobenen Beweise verpflichtet ist. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Tatgericht und ihre entsprechende Darlegung sind den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste3.

Weiter entspricht es der Natur der Sache, dass die vom Tatgericht vorzunehmende Würdigung vorläufigen Charakter hat und für sich genommen nicht geeignet ist, etwa den Vorwurf der Voreingenommenheit der beteiligten Richter zu begründen4.

Weiterlesen:
Amtsanmaßung in mittelbarer Täterschaft

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22. September 2016 – StB 29/16

  1. BGH, Beschlüsse vom 04.02.2016 – StB 1/16 14; vom 28.08.2014 – StB 22/14 5; vom 08.10.2012 – StB 9/12, JR 2013, 419, 420; vom 07.08.2007 – StB 17/07 5; vom 19.12 2003 – StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3 mwN[]
  2. vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 24.08.2010 – 2 BvR 1113/10, BVerfGK 17, 517, 523 f.[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 02.09.2003 – StB 11/03, NStZ-RR 2003, 368[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 08.10.2012 – StB 9/12, JR 2013, 419, 420[]