Richterliche Terminierungsentscheidung – und ihre Überprüfung

Das von der Staatsanwaltschaft mit der „Untätigkeitsbeschwerde“ beantragte Terminierungsverhalten des Tatrichters ist wegen § 213 StPO allenfalls eingeschränkt dahin überprüfbar, ob es die rechtlichen Grenzen seines Ermessens eingehalten oder ob er sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat.

Richterliche Terminierungsentscheidung – und ihre Überprüfung

Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Entscheidung ist dem Beschwerdegericht entzogen; nur evidente und gewichtige Rechtsfehler sind beachtlich.

Die Untätigkeitsbeschwerde soll nur schwerste, nicht erträgliche Rechtsverluste durch Zeitablauf (z. B. Verjährung oder in Haftsachen) verhindern. Der Kontrolle der Verfahrensweise der Instanzgerichte in Bezug auf die Beschleunigung dient dieses Rechtsinstitut nicht.

Das Oberlandesgericht Rostock konnte dabei im vorliegenden Fall offen lassen, ob es das Rechtsmittel der „Untätigkeitsbeschwerde“ für statthaft und zulässig erachtet1. Jedenfalls wäre die Beschwerde unbegründet:

Das von der Staatsanwaltschaft monierte Terminierungsverhalten ist wegen des Grundsatzes der Terminshoheit des Vorsitzenden gemäß § 213 StPO – wenn überhaupt – nur eingeschränkt dahin überprüfbar, ob er die rechtlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens eingehalten oder ob er sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat2; die Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Entscheidung ist dem Beschwerdegericht entzogen3. Die Überprüfung ist auch und gerade im Lichte von Art. 97 Abs. 1 GG vorzunehmen und hat sich dabei auf Fälle von evidenten und gewichtigen Rechtsfehlern bei der Ermessensentscheidung zu beschränken4. Ein ermessensfehlerhaftes Verhalten eines Vorsitzenden „durch Unterlassen“ wird nur in extremen Fällen festzustellen sein5.

Die Untätigkeitsbeschwerde soll nur schwerste, nicht erträgliche Rechtsverluste durch Zeitablauf verhindern. Der Kontrolle der Verfahrensweise der Instanzgerichte in Bezug auf die Beschleunigung dient dieses Rechtsinstitut nicht6. Dementsprechend verhält sich die zu diesem Problemkreis ergangene Rechtsprechung zu Fällen, in denen Verjährung drohte7 oder in denen Haftfragen eine Rolle spielten8.

An Vorstehendem gemessen vermag das Oberlandesgericht bislang kein Fehlverhalten des Kammervorsitzenden zu erkennen, das ein Einschreiten des Beschwerdegerichts rechtfertigen würde.

Zwar reichen die Tatvorwürfe bereits weit zurück (hier: September 2004 bis August 2006). Die staatsanwaltlichen Ermittlungen begannen im Oktober 2008. Seit Anklageerhebung sind inzwischen 4 Jahre verstrichen und seit der letzten aktenkundigen Maßnahme der Kammer, der Nichteröffnungsentscheidung vom 14.03.2014, mehr als zwei Jahre vergangen. Unabhängig von der Frage, ob danach bereits ein Verstoß gegen das Gebot der Europäischen Menschenrechtskonvention, innerhalb angemessener Frist zu verhandeln (Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK), vorliegt und unabhängig von der Person des Angeklagten, der wegen seiner Stellung als Staatssekretär im besonderen Maße im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht und deshalb erwarten kann, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zeitnah geklärt werden und das Verfahren zum Abschluss kommt, verlangt dieser Lauf der Dinge auch nach Auffassung des Oberlandesgerichts an sich dringend einen zügigen Fortgang des Verfahrens, mithin Terminierung und Verhandlung der Sache.

Gleichwohl liegt nach Einschätzung des Oberlandesgerichts keine auf die Beschwerde hin abzuändernde ermessensfehlerhafte Entscheidung des Kammervorsitzenden vor. In seinem Vermerk vom 05.09.2016 hat er nachvollziehbare Gründe ausgeführt, weshalb die Terminierung und Verhandlung der Sache noch nicht möglich gewesen ist. Danach ist die Kammer mit Haftsachen und u.a. mit sieben teils älteren, d.h. noch länger anhängigen Wirtschaftsstrafsachen befasst, bei denen – im Gegensatz zu vorliegender Sache – teilweise auch Verjährungseintritt, jedenfalls vor einem solchen in dieser Sache, drohe, und die deshalb vorrangig zu terminieren und zu verhandeln seien.

Zwar werden insoweit Einzelheiten, etwa zum Zeitpunkt der Anklageerhebung und zum Umfang des jeweiligen Verfahrens, nicht mitgeteilt. Dasselbe gilt für die Behauptung, dass dem Präsidium des Landgerichts bereits mehrfach die Bestandssituation der Kammer angezeigt worden sei. Dies ist indes unschädlich, denn zum einen ist dem Oberlandesgericht die Belastung der Kammer mit Wirtschaftsstraf- und Haftsachen aus anderem Zusammenhang ebenso bekannt wie der Umstand, dass sich der Spruchkörper gegenüber dem Präsidium des Landgerichts – bislang vergeblich – um Abhilfe bemüht hat, so dass der Vermerk nachvollziehbar ist. Zum anderen ist dem Oberlandesgericht eine ins einzelne gehende Überprüfung des weiten Ermesssensspielraums des Vorsitzenden ohnehin versagt.

In vorliegender Sache droht die absolute Strafverfolgungsverjährung aufgrund der besonderen Regelungen des §§ 78c Abs. 3 Satz 2, 78b Abs. 4 StGB jedenfalls nicht vor dem 07.11.2019. Eine gesteigerte Eilbedürftigkeit infolge von (vollzogener oder angeordneter, aber nicht vollzogener) Untersuchungshaft besteht nicht.

Einen evidenten, gewichtigen oder extremen Rechtsfehler bei der Ermessensentscheidung des Vorsitzenden sieht das Oberlandesgericht nach allem nicht.

Zwar ist der Staatsanwaltschaft darin zuzustimmen – auch dies wird vom Vorsitzenden aber nicht verkannt, dass das vorliegende Verfahren einen für die Verhältnisse einer Wirtschaftsstrafkammer übersichtlichen Umfang aufweist. Zu beurteilen sind im Wesentlichen nur Rechtsfragen, zu denen das Oberlandesgericht bereits in seinem Beschluss vom 07.11.2014 umfassend Stellung genommen hat. Es dürften nur wenige Zeugen zu vernehmen und überwiegend Urkundenbeweis zu erheben sein, so dass diese Strafsache normalerweise nur wenige Verhandlungstage in Anspruch nehmen dürfte und sich vom Umfang und der Schwierigkeit her zu einer Verhandlung parallel zu anderen Verfahren eignen würde.

Dies sind jedoch Detailfragen der Zweckmäßigkeit bzw. Möglichkeit einer zeitnahen Terminierung, die aus den eingangs dargelegten Gründen nicht in der Beurteilungsbefugnis des Oberlandesgerichts liegen.

Oberlandesgericht Rostock, Beschluss vom 1. November 2016 – 20 Ws 245/16

  1. vgl. zum Meinungsstand instruktiv LR-Matt, StPO, 26. Aufl., vor § 304 Rn. 31 m.w.N., § 304 Rn. 7 ff. m.w.N.[]
  2. vgl. OLG Braunschweig NStZ-RR 1996, 172 f. m.w.N.[]
  3. Meyer-Goßner, StPO, 59. Aufl., § 213 Rn. 8[]
  4. vgl. KK-Gmel, StPO, 7. Aufl., § 213 Rn. 6[]
  5. LR-Matt a.a.O. § 304 Rn. 11[]
  6. OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 284 f.[]
  7. OLG Hamm, Beschluss vom 20.10.2009 – 5 Ws 286/09 – juris; OLG Dresden, Beschluss vom 20.06.2005 – 2 Ws 182/05 – juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 29.10.2001 – 3 Ws 986/01 []
  8. OLG Braunschweig a.a.O.; KG, Beschluss vom 28.08.2008 – 3 Ws 229/08 []