Rechtswidrigen Freiheitsentziehung durch die Polizei bei der Demo – und die Geldentschädigung

Vor dem Bundesverfassungsgerichts war eine Verfassungsbeschwerde gegen die Abweisung eines Geldentschädigungsanspruchs wegen einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung durch Polizeikräfte anläßlich einer Großdemonstration gegen einen Castortransport erfolgreich:

Rechtswidrigen Freiheitsentziehung durch die Polizei bei der Demo – und die Geldentschädigung

Das Bundesverfassungsgericht hat Fragen der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Entscheidung über einen Geldentschädigungsanspruch wegen der Verletzung immaterieller Rechtsgüter, namentlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der Menschenwürde, bereits entschieden1.

Die Rüge der Demonstrantin, die Gerichte hätten zu Unrecht einen Entschädigungsanspruch in Geld wegen der rechtswidrigen Ingewahrsamnahme verneint, betrifft in erster Linie die Auslegung und Anwendung der als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden zivilrechtlichen Vorschriften, hier des § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG. Dies obliegt primär den Fachgerichten, deren Entscheidungen insoweit vom Bundesverfassungsgericht nur darauf überprüft werden, ob ihnen eine grundsätzlich unrichtige Anschauung der betroffenen Grundrechte zugrunde liegt. Das ist der Fall, wenn die Normauslegung die Tragweite der Grundrechte nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt2.

Nach diesem Maßstab können die angegriffenen Entscheidungen keinen Bestand haben, denn die Erwägungen, aufgrund derer das Landgericht Lüneburg3 und das Oberlandesgericht Celle4 einen Anspruch der Demonstrantin auf Geldentschädigung für den erlittenen rechtswidrigen Freiheitsentzug verneint haben, werden der Bedeutung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht gerecht.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass der Schutzauftrag des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens verwirklicht wird, wobei die Gerichte die Fundierung in der Menschenwürde zu beachten haben5. Dies gilt nicht weniger, wenn auch das Grundrecht auf Freiheit der Person betroffen ist, weil es bereits an einer Rechtsgrundlage für die freiheitsentziehende Maßnahme als solcher fehlte oder eine richterliche Entscheidung entgegen Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG nicht unverzüglich herbeigeführt wurde. Zwar muss der hiernach gebotene Ausgleich, wie die angegriffenen Entscheidungen im Ausgangspunkt zutreffend festgestellt haben, nicht zwingend in der Zubilligung eines Zahlungsanspruchs bestehen6. Daher begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass eine Geldentschädigung wegen der Verletzung immaterieller Persönlichkeitsbestandteile nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung7 nur unter der Voraussetzung einer hinreichenden Schwere und des Fehlens einer anderweitigen Genugtuungsmöglichkeit beansprucht werden kann8. Dies begegnet auch im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keinen insoweit durchgreifenden Bedenken9.

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Diese Anforderungen an die Verwirklichung grundrechtlichen Schutzes haben die angefochtenen Entscheidungen in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise verkannt.

Zwar haben Landgericht und Oberlandesgericht ihre Auffassung, dass die von der Demonstrantin erlittene Rechtseinbuße durch die gerichtlich festgestellte Rechtswidrigkeit des Gewahrsams hinreichend ausgeglichen sei, insbesondere auf das Verhalten der Demonstrantin vor und während des Gewahrsams, ihre Möglichkeit einer richterlichen Anhörung sowie die Ausgestaltung der Gewahrsamsbedingungen und damit eine Zusammenschau mehrerer Umstände gestützt. Zudem stützt die Entscheidung des Landgerichts sich darauf, dass die Einsatzleitung der Polizei aus der alleinigen Feststellung der Rechtswidrigkeit bereits Konsequenzen für die Einsatzplanung zur Absicherung zukünftiger Castortransporte gezogen habe. Daran bestehen jedoch erhebliche Zweifel, was gerade das vorliegende Verfahren zeigt10. Auch die Ausführungen zum Verhalten der Demonstrantin, der Möglichkeit einer richterlichen Anhörung und der Durchführung des Gewahrsams halten einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand.

Die rechtliche Bewertung des Verhaltens der Demonstrantin vor und während der Ingewahrsamnahme durch das Landgericht und das Oberlandesgericht genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

Sofern ausgeführt wird, dass die Ingewahrsamnahme aufgrund des rechtswidrigen Vorverhaltens der Demonstrantin zu vertreten gewesen sei beziehungsweise die Rechtswidrigkeit der Gewahrsamnahme alleine auf der nicht unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung beruhe, bleibt unberücksichtigt, dass das Landgericht im vorangegangen Feststellungsverfahren verschiedene Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme geäußert, eine abschließende Aufklärung aber letztlich sowohl hinsichtlich etwaig erteilter Platzverweise als auch hinsichtlich der für die Einkesselung in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage unterlassen hat. Da diese Fragen auch in den angegriffenen Entscheidungen nicht weiter erörtert wurden, erweisen sich die diesbezüglichen Erwägungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts nicht als tragfähig11. Ob dem – in den angegriffenen Entscheidungen ebenfalls nicht weiter aufgeklärten – Vorverhalten der Demonstrantin auch bei materieller Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme eine das Entschädigungsbedürfnis der Demonstrantin mindernde Bedeutung zukommen könnte, wird in den angegriffenen Entscheidungen ebenfalls nicht erörtert.

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Soweit das Landgericht in Zweifel zieht, ob die Demonstrantin tatsächlich den Wunsch gehabt habe, dem Richter vorgeführt zu werden, vermögen die Ausführungen die Entscheidung gleichfalls nicht zu tragen. In Betracht kämen insoweit allerdings eine Minderung oder ein Ausschluss des Entschädigungsanspruchs gemäß § 839 Abs. 3 BGB. Hierauf ist die Entscheidung indes nicht gestützt und hierfür finden sich auch keine hinreichenden Feststellungen in den angegriffenen Entscheidungen. Das Oberlandesgericht legt vielmehr ausdrücklich dar, dass die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs vorlägen und nimmt auf die Feststellung des Landgerichts Bezug, nach denen auf dem Antragsformular auf richterliche Überprüfung ein Verweis angebracht worden sei, dass die Demonstrantin entgegen ihrem Wunsch nicht von der Polizei nach Lüchow gebracht worden sei. Die angegriffenen Entscheidungen ziehen zwar in Zweifel, ob diesem Antrag tatsächlich ein entsprechender Wille der Demonstrantin entsprochen habe, treffen aber keine hinreichenden Feststellungen, aus denen sich ergibt, dass – auch unter Berücksichtigung der insoweit geltenden Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast – die Demonstrantin ihrer Schadensminderungspflicht tatsächlich nicht genügt hätte.

Die Frage, wieweit die Demonstrantin danach verlangt hat, einem Richter vorgeführt zu werden, kann von Bedeutung sein in Blick auf ihre Schadensminderungspflicht oder auch die Anforderungen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde. Hinsichtlich der materiellen Rechtswidrigkeit der Maßnahme kommt es auf den Wunsch der Demonstrantin, einem Richter vorgeführt zu werden, indes von vorneherein nicht an. Die Notwendigkeit der richterlichen Anordnung nach Art. 104 Abs. 2 GG ist nicht von einer Klage, Beschwerde oder einem Antrag des Betroffenen abhängig. Ein Verzicht der Betroffenen auf die richterliche Anordnung ist nicht möglich12. Ferner verbürgt Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK im Fall des Art. 5 Abs. 1 Buchstabe c EMRK eine erste richterliche Vorführung, die von Amts wegen einzuleiten ist und nicht von einem Antrag des Betroffenen abhängen darf13. Ist der Umstand, dass die Betroffene sich nicht freiwillig zur richterlichen Anhörung meldet und hat vorführen lassen, sondern sich bloß passiv verhält, für die Frage der unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nach Art. 104 Abs. 2 GG aber – anders als ein renitentes Verhalten der Betroffenen14 – ohne Bedeutung, kann ihr ein solches Verhalten auch nicht im Rahmen des Amtshaftungsanspruchs entgegengehalten werden.

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Zu beanstanden ist weiter, dass weder das Landgericht noch das Oberlandesgericht in der etwa zehnstündigen Festsetzung der Demonstrantin die hiermit verbundene abschreckende Wirkung für zukünftige potentielle Demonstrationsteilnehmer berücksichtigt haben. Bei Fortführung der Sitzblockade seien ähnliche Unannehmlichkeiten zu erwarten gewesen. Die Entscheidungen lassen insoweit die Wirkung des staatlichen Zwangs unbeachtet, der mit der Einkesselung der Versammlungsteilnehmer einhergeht und der darauf gerichtet ist, deren freie Willensbetätigung ganz wesentlich einzuschränken. Gerade dieser Willensbeugung und dem Ausgeliefertsein der staatlichen Hoheitsgewalt kann eine abschreckende Wirkung für den künftigen Gebrauch grundrechtlich garantierter Freiheiten – namentlich der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Teilnahme an Demonstrationen – zukommen. In der Folge sind die Fachgerichte gehalten, entsprechende Erwägungen bei der Frage nach der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen15.

Schließlich wird die Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht in die gebotene Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalles dergestalt einbezogen, dass bereits in der Freiheitsentziehung selbst und damit unabhängig von den Gewahrsamsbedingungen eine erhebliche Grundrechtsverletzung begründet liegt. Insbesondere verkennen die angegriffenen Entscheidungen die auch materiellrechtliche Bedeutung der Verletzung des durch Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Richtervorbehalts16. Mit ihrem Verweis auf die Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Gewahrsamsbedingungen im vorangegangenen Feststellungsverfahren durch das Landgericht verkennen die angegriffenen Entscheidungen zudem, dass die Intensität der Beeinträchtigung der betroffenen Grundrechte auch durch Umstände erhöht werden kann, die bei Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme gegebenenfalls hinzunehmen wären.

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Die angefochtenen Entscheidungen beruhen auf den Grundrechtsverstößen. Sie sind daher aufzuheben. Die Sache ist an das Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Hierbei kann das Gericht gegebenenfalls auch die Frage aufgreifen, ob ein Anspruch unter Umständen gemäß § 839 Abs. 3 BGB ausscheidet.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14. Februar 2017 – 1 BvR 2639/15

  1. vgl. BVerfGE 34, 269, 282[]
  2. vgl. BVerfGE 18, 85, 92 f.; 85, 248, 257 f.; 134, 242, 353 Rn. 323[]
  3. LG Lüneburg, Urteil vom 10.12.2014 – 2 O 7/14[]
  4. OLG Celle, Urteil vom 24.09.2015 – 16 U 18/15[]
  5. vgl. BVerfGK 3, 49, 52[]
  6. vgl. BVerfGK 3, 49, 52; 7, 120, 123 f.[]
  7. vgl. BGHZ 39, 124, 133; 161, 33, 36 f.[]
  8. vgl. BVerfGE 34, 269, 286 ff.; BVerfGK 16, 389, 394 f.[]
  9. vgl. EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 25.03.1999 – 31195/96, NJW 2000, S. 2883, 2886 m.w.N.[]
  10. vgl. hierzu schon BVerfG, Beschluss vom 29.06.2016 – 1 BvR 1717/15 16[]
  11. vgl. BVerfGK 16, 389, 395[]
  12. vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 104 Rn. 27, 1958; Rüpig, in: Bonner Kommentar, Bd. 13, Art. 104 Rn. 42, Aug.2008[]
  13. vgl. Dörr, in: Dörr/Grothe/Marauhn, EMRK/GG Konkordanzkommentar, Bd. 1, 2. Aufl.2013, Kap. 13, Rn. 46 m.w.N.[]
  14. vgl. BVerfGE 105, 239, 249[]
  15. vgl. BVerfGK 16, 389, 395 f.; BVerfG, Beschluss vom 29.06.2016 – 1 BvR 1717/15 17[]
  16. vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.06.2016 – 1 BvR 1717/15 16 m.w.N.[]
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