Verstößt ein Anwaltsnotar gegen das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO, so ist dieser Verstoß berufsrechtlich (also „auf der Anwaltsseite“) und nicht disziplinarrechtlich (also nicht „auf der Notarseite“) zu ahnden. Dies gilt auch, soweit hiermit eine Verletzung der Neutralitätspflicht nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BNotO einhergeht.

Eine disziplinarrechtliche Ahndung scheitert bereits an § 110 Abs. 1 BNotO. Maßgebend für die Zuständigkeit zur Ahndung einer Pflichtverletzung ist danach, ob der Pflichtenverstoß des Anwaltsnotars vorwiegend mit dem Amt als Notar oder der Tätigkeit als Rechtsanwalt im Zusammenhang steht. Ist dies zweifelhaft ober besteht ein solcher Zusammenhang nicht, so ist im anwaltsgerichtlichen Verfahren, andernfalls im Disziplinarverfahren zu entscheiden. Das bedeutet, nur ein nicht zweifelhafter Zusammenhang des Pflichtenverstoßes mit dem Amt als Notar begründet die Disziplinargewalt der Dienstaufsicht über die Notare.
Hier hat das Oberlandesgericht einen Verstoß gegen das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO angenommen. Dies würde zugleich einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht nach § 14 Abs. 1 BNotO darstellen. Formal gesehen hätte der Kläger als Anwaltsnotar jedoch zunächst einmal seine anwaltlichen Pflichten verletzt, da er die hier in Rede stehende Handlung in seiner Funktion als Rechtsanwalt wahrgenommen hat. Inhaltlich stellt die Verletzung der Tätigkeitsverbote nach § 45 BRAO eine Verletzung der anwaltlichen Verpflichtung zur Unabhängigkeit dar. Diese Standespflicht fordert in den in § 45 Abs. 1 BRAO aufgeführten Fällen einen Verzicht auf die Vertretung z.B. in einem Zivilprozess. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist in dem Fall, dass der Notar eine von § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO erfasste Beurkundung vorgenommen hat, von einem Übergewicht der anwaltlichen Pflichtverletzung im Verhältnis zum gleichzeitig verwirklichten Amtspflichtenverstoß als Notar auszugehen.
Entsprechend hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden1 zu dem vergleichbaren Fall des § 45 Nr. 4 BRAO a.F., dessen Regelungsgehalt nunmehr in § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO erfasst ist. § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO ist seinerseits lex specialis zu § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO anzusehen, weil mit der Verwirklichung des § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO stets zugleich ein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO vorliegt2, wenn nicht besondere Anhaltspunkte eine andere Wertung erfordern.
Dem steht der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 9. Dezember 19913 nicht entgegen. Dort war bereits in der Vorinstanz4 der Vorwurf einer Verletzung von § 45 Nr. 4 BRAO a.F. verneint worden. Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesgerichtshof war deshalb allein eine davon unabhängige Verletzung der notariellen Neutralitätspflicht durch mangelnde organisatorische Vorkehrungen zur Vermeidung von Mandatsannahmen durch in der Anwaltssozietät tätige Anwälte in Fällen, in denen über Inhalte von vom Notar beurkundeten Urkunden gestritten wurde. Der Bundesgerichtshof hatte in der oben genannten Entscheidung keinen Anlass, sich zu den Voraussetzungen des § 110 BNotO zu äußern. Daher kann aus dieser Entscheidung nicht abgeleitet werden, der Verstoß eines Anwaltsnotars gegen seine Neutralitätspflicht aus § 14 Abs. 1 BNotO überwiege einen anwaltlichen Verstoß gegen das Vertretungsverbot aus § 45 BRAO5.
Im vorliegenden Fall liegen keine Anhaltpunkte vor, die ein Übergewicht eines notariellen Pflichtenverstoßes begründen würden. Dies gilt schon deshalb, weil der Inhalt der vom Kläger beurkundeten Teilerbauseinandersetzung allenfalls wirtschaftliche Bedeutung für den anschließenden Zivilprozess hatte und besondere Informationen aus dem Beurkundungsverfahren nicht von Bedeutung für die Erfolgsaussicht der von ihm als Prozessbevollmächtigter erhobenen Klage waren. Der Kläger des Zivilprozesses hatte seine Klage auf Aufträge gestützt, die die Erbengemeinschaft ihm erteilt habe. Die Frage, wie das Grundstück im Innenverhältnis der Miterben aufgeteilt wurde, war ohne rechtliche Relevanz für die Begründetheit der Werklohnforderung. Ferner war es rechtlich unerheblich, ob im Innenverhältnis der Erbengemeinschaft die Ehefrau des dortigen Klägers gewisse Arbeiten zu übernehmen hatte. Sollten diese Arbeiten durch die Erbengemeinschaft dem Kläger des Zivilprozesses als Werkauftrag übertragen worden sein, würde die Begründetheit seiner Klage durch Abgrenzungsschwierigkeiten, welche dieser Tätigkeiten im Innenverhältnis von welchem der Miterben zu tragen war, nicht berührt.
Unentschieden bleiben kann, ob ein Übergewicht eines anwaltlichen Pflichtenverstoßes anzunehmen wäre. Nach § 110 Abs. 1 BNotO, § 118a Abs. 1 BRAO ist bereits dann eine Ahndung im notariellen Disziplinarverfahren ausgeschlossen, wenn kein Übergewicht des notariellen Amtspflichtenverstoßes festzustellen ist.
Dahinstehen kann deshalb, ob überhaupt ein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO vorliegt, woran Zweifel bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es erforderlich, dass die vorangegangene Tätigkeit und der insoweit anvertraute Verfahrensstoff in dem neuen Auftragsverhältnis eine rechtliche Bedeutung erlangen kann6, um von derselben Rechtssache nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO ausgehen zu können. Dies ist im vorliegenden Fall nicht anzunehmen, da die beurkundete Teilerbauseinandersetzung keine rechtliche Bedeutung für die vom Kläger als Prozessbevollmächtigter erhobene Zivilklage hatte.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. März 2013 – NotSt(Brfg) 1/12
- BGHSt 22, 157, 163 f.[↩]
- Feuerich/WeylandBöhnlein, BRAO, 8. Aufl. § 45 Rn. 12; siehe auch Arndt/Lerch/SandkühlerSandkühler, BNotO, 3. Aufl., § 110 Rn. 15; Feuerich/WeylandFeuerich, BRAO, 8. Aufl. § 118a Rz. 35; Gaier/Wolf/GöckenJohnigk, Anwaltliches Berufsrecht, § 118a BRAO Rn. 8[↩]
- BGH, Beschluss vom 09.12.1991 – NotZ 26/90, DNotZ 1992, 455[↩]
- OLG Köln, Urteil vom 07.11.1990 – 2 VA (Not) 14/90[↩]
- so aber Arndt/Lerch/SandkühlerSandkühler, BNotO, 7. Aufl., § 110 Rn. 23; sich Sandkühler anschließend Eylmann/VaasenLohmann, BNotO/BeurkG, 3. Aufl., § 110 BNotO Rn. 14[↩]
- vgl. – zu § 356 StGB – BGH, Urteil vom 16.11.1962 – 4 StR 344/62, BGHSt 18, 192, 193; Urteil vom 07.10.1986 – 1 StR 519/86, BGHSt 34, 190, 191[↩]