Entgangene Anlagezinsen – und die Verjährung des Schadensersatzanspruchs

Ein Schadensersatzanspruch auf entgangene Anlagezinsen, der auf eine vor dem 1.01.2002 erfolgte Verletzung eines Kapitalanlageberatungsvertrags gestützt wird, unterliegt der kurzen Verjährung nach § 197 BGB in der bis zum 31.12 2001 geltenden Fassung.

Entgangene Anlagezinsen – und die Verjährung des Schadensersatzanspruchs

Der Schadensersatzanspruch wegen schuldhafter Verletzung des Beratungsvertrags umfasst nach § 252 Satz 1 BGB auch den entgangenen Gewinn. Der Anleger kann sich hierbei gemäß § 252 Satz 2 BGB auf die allgemeine Lebenserfahrung berufen, dass Eigenkapital ab einer gewissen Höhe erfahrungsgemäß nicht ungenutzt liegen bleibt, sondern zu einem allgemein üblichen Zinssatz angelegt wird1. Zur Feststellung der Höhe des allgemein üblichen Zinssatzes kann der Tatrichter von der Möglichkeit einer Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO Gebrauch machen2. Das rechtfertigt zwar nicht die Annahme eines (zu schätzenden) Mindestschadens unabhängig vom konkreten Parteivortrag3. Der Anleger muss jedoch nur darlegen, welcher Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit einem anderen Anlagegeschäft erzielt worden wäre. An diese Darlegung sind keine strengen Anforderungen zu stellen, vielmehr genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit4.

Die Schadensschätzung, die der Tatrichter – anhand des gesamten Streitstoffs nach freiem Ermessen vorzunehmen hat, unterliegt nur einer beschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht dahingehend, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Acht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat5.

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Im vorliegend vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall war auch der Schadensersatzanspruch des Bankkunden wegen Aufklärungspflichtverletzung dem Grunde nach nicht verjährt.

Von dem Stammanspruch zu unterscheiden sind aber die Ansprüche auf Rückstände von regelmäßig wiederkehrenden Leistungen. Für solche Einzelansprüche gilt, was das Berufungsgericht verkannt hat, für den Zeitraum bis zum 31.12 2001 die vierjährige Verjährungsfrist gemäß § 197 BGB aF. Dem bis dahin geltenden Gesetz ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass in dem Fall, in dem wiederkehrende Leistungen als Schadensersatz wegen einer vertraglichen Pflichtverletzung oder wegen einer unerlaubten Handlung zu erbringen sind, für den Beginn und die Dauer der Verjährung die für die Verjährung des Stammanspruchs geltende Vorschrift des § 195 BGB aF anzuwenden sei, wonach der Anspruch in 30 Jahren ab der Entstehung des Anspruchs verjährt6. Vielmehr gilt für die aus dem Stammrecht fließenden weiteren Ansprüche, bei denen es sich um Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen handelt, unmittelbar die vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB aF7, und zwar auch dann, wenn sie auf den Gesichtspunkt des Schadensersatzes gestützt werden8, sei es aus unerlaubter Handlung9, sei es aus Verschulden bei Vertragsschluss10, sei es aus § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 2 BGB aF11.

Ein Schadensersatzanspruch auf Zahlung entgangenen Zinsgewinns aus einem bestimmten Geldbetrag ist zwar kein Anspruch auf Rückstände von Zinsen im Sinne des § 197 BGB aF. Er fällt aber ähnlich wie ein Anspruch auf Verzugszinsen und der über die gesetzlichen Verzugszinsen hinausgehende Zinsanspruch12 oder wie in regelmäßigen Abständen entstandene Bereicherungsansprüche auf Rückzahlung überzahlter Zinsen13 oder auf Herausgabe von Zinsnutzungen aus einem Geldbetrag14 deshalb in den Anwendungsbereich des § 197 BGB aF, weil er auf „regelmäßig wiederkehrende Leistungen“ im Sinne dieser Vorschrift gerichtet ist. Gemeint sind damit unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 197 BGB aF, der eine Ansammlung rückständiger wiederkehrender Leistungen und ein übermäßiges, möglicherweise existenzbedrohendes Anwachsen von Schulden verhindern will, alle Verbindlichkeiten, die nur in den fortlaufenden Leistungen bestehen und darin ihre charakteristische Erscheinung haben15. Um eine solche Verbindlichkeit handelt es sich bei der aus einer Aufklärungspflichtverletzung herrührenden Verpflichtung des Schädigers, die dem Geschädigten entgangenen Zinsgewinne fortlaufend an diesen zu zahlen.

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Das bedeutet für den hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall, dass hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs auf die entgangenen Zinsgewinne für die Jahre 1988 bis 2006 Verjährung mit Ablauf der Jahre 1992 bis 2010 eingetreten ist.

Für die entgangenen Zinsgewinne bis einschließlich zum Jahr 1997 folgt dies unmittelbar aus §§ 197, 201 BGB aF (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB). Gemäß § 201 BGB aF beginnt die vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB aF mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch hätte geltend gemacht werden können. Damit ist der Anspruch auf entgangene Anlagezinsen für das Jahr 1997 mit Ablauf des 31.12 2001 verjährt; für die Vorjahre war dies bereits jeweils ein Jahr früher der Fall.

Der Schadensersatzanspruch wegen entgangener Anlagezinsen für die Jahre 1998 bis 2006 unterfällt zwar nach Inkrafttreten des neuen Verjährungsrechts am 1.01.2002 der dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB nF (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB). Da diese Verjährungsfrist kürzer ist als die bis zum 1.01.2002 geltende vierjährige Verjährung des § 197 BGB aF, ist sie gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 BGB vom 01.01.2002 an zu berechnen, soweit nicht der Verjährungsbeginn gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hinausgeschoben ist16. Angesichts seiner nicht vor Beginn des Jahres 2008 eingetretenen Kenntnis wäre der Anspruch des Kunden demgemäß nach neuem Recht nicht verjährt. Gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 2 EGBGB bleibt es jedoch bei dem Ablauf der Verjährung nach früherem Recht, wenn die nach altem Recht längere Frist früher abläuft als die kürzere Frist nach neuem Recht. Dies ist hier der Fall. Gemäß §§ 197, 201 BGB aF ist der Schadensersatzanspruch wegen entgangener Zinsgewinne für die Jahre 1998 bis 2006 jeweils vier Jahre später zum Jahresende verjährt, zuletzt daher mit Ablauf des 31.12 2010.

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Dagegen ist der Anspruch auf entgangenen Zinsgewinn für die anschließende Zeit ab dem 1.01.2007 noch nicht verjährt, weil der Kunde durch die Einreichung eines Güteantrags Ende 2011 die Verjährung rechtzeitig gehemmt hat und somit auch nach der früheren Rechtslage keine Verjährung eingetreten ist. Der Kunde kann deshalb von der Bank nur die Zahlung von entgangenen Zinsen ab diesem Zeitpunkt verlangen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. Juli 2014 – XI ZR 418/13

  1. BGH, Urteile vom 24.04.2012 – XI ZR 360/11, WM 2012, 1188 Rn. 11; vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 64; und vom 26.02.2013 – XI ZR 345/10, BKR 2013, 283 Rn. 48[]
  2. BGH, Urteil vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 64 mwN[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 64 mwN[]
  4. BGH, Urteil vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, aaO[]
  5. st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 65 mwN; und vom 26.02.2013 – XI ZR 345/10, BKR 2013, 283 Rn. 48[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 10.01.2012 – VI ZR 96/11, VersR 2012, 372 Rn. 14[]
  7. vgl. BGH, Urteile vom 30.05.2000 – VI ZR 300/99, NJW-RR 2000, 1412, 1413; und vom 10.01.2012 – VI ZR 96/11, VersR 2012, 372 Rn. 15 mwN[]
  8. BGH, Urteil vom 10.11.2009 – XI ZR 252/08, BGHZ 183, 112 Rn. 45[]
  9. BGH, Urteile vom 30.05.2000 – VI ZR 300/99, NJW-RR 2000, 1412, 1413 [Rente nach § 843 BGB]; und vom 10.01.2012 – VI ZR 96/11, VersR 2012, 372 Rn. 15 [Waisenrente und der Mehraufwand für die regelmäßige Pflege][]
  10. BGH, Urteil vom 10.07.1986 – III ZR 133/85, BGHZ 98, 174, 186 ff.[]
  11. BGH, Urteil vom 05.10.1993 – XI ZR 180/92, WM 1993, 2041, 2043; BGH, Beschluss vom 02.03.1993 – XI ZR 133/92, WM 1993, 752 mwN[]
  12. vgl. dazu BGH, Urteil vom 05.10.1993 – XI ZR 180/92, WM 1993, 2041, 2043 und BGH, Beschluss vom 02.03.1993 – XI ZR 133/92, WM 1993, 752[]
  13. vgl. dazu BGH, Urteile vom 10.07.1986 – III ZR 133/85, BGHZ 98, 174, 181; vom 23.10.1990 – XI ZR 313/89, BGHZ 112, 352, 354; und vom 12.10.1993 – XI ZR 11/93, WM 1993, 2003, 2004[]
  14. vgl. dazu BGH, Urteil vom 15.02.2000 – XI ZR 76/99, WM 2000, 811, 812[]
  15. BGH, Urteile vom 23.09.1958 – I ZR 106/57, BGHZ 28, 144, 148 bzgl. vertragliche Gewinnanteilsansprüche; vom 08.12 1992 – X ZR 123/90, NJW-RR 1993, 1059, 1060 bzgl. Lizenzansprüche; vom 15.02.2000 – XI ZR 76/99, WM 2000, 811, 812; und vom 10.01.2012 – VI ZR 96/11, VersR 2012, 372 Rn. 16 mwN[]
  16. vgl. BGH, Urteil vom 23.01.2007 – XI ZR 44/06, BGHZ 171, 1 Rn. 18 ff.; siehe auch BGH, Urteile vom 26.10.2005 – VIII ZR 359/04, WM 2006, 345, 346 f.; und vom 06.12 2007 – III ZR 146/07, WM 2008, 490 Rn. 12[]
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