Auch ein Rechtsanwalt, der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist, darf in der Regel darauf vertrauen, dass die Rechtsmittelbelehrung in Wohnungseigentumssachen und in Zivilsachen mit wohnungseigentumsrechtlichem Bezug zutreffend ist1.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte die bei dem Landgericht Fulda eingelegte Berufung die Frist des § 517 ZPO nicht gewahrt. Zuständiges Berufungsgericht ist nämlich gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG das Landgericht Frankfurt am Main, weil das Verfahren eine Streitigkeit zwischen einer Wohnungseigentümergemeinschaft und einem früheren Hausverwalter über die Herausgabe von Unterlagen nach Ende der Verwaltertätigkeit betrifft und es sich damit um eine Wohnungseigentumssache gemäß § 43 Nr. 3 WEG handelt2.
Die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts hat dazu geführt, dass die Klägerin die Berufungsfrist ohne ihr Verschulden versäumt hat. Aus diesem Grund ist ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 233 ZPO).
Die inhaltlich unzutreffende Rechtsmittelbelehrung war entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kausal für die Versäumung der Berufungsfrist. Daran bestehen nach dem tatsächlichen Ablauf keine Zweifel, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung befolgt hat3.
Die Klägerin hat die Frist unverschuldet versäumt.
Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass durch eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird, der zur Wiedereinsetzung wegen schuldloser Fristversäumnis berechtigt, wenn die Belehrung einen unvermeidbaren oder zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum auf Seiten der Partei hervorruft und die Fristversäumnis darauf beruht. Auch eine anwaltlich vertretene Partei darf sich im Grundsatz auf die Richtigkeit einer Belehrung durch das Gericht verlassen, ohne dass es darauf ankommt, ob diese gesetzlich vorgeschrieben ist oder nicht4.
Anders als das Berufungsgericht meint, befand sich der Prozessbevollmächtige der Klägerin in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.
Ein Rechtsirrtum ist, unabhängig von seiner Vermeidbarkeit, schon dann entschuldbar, wenn die Rechtsmittelbelehrung nicht offenkundig fehlerhaft und der durch sie verursachte Irrtum nachvollziehbar ist5. Diese Frage erörtert das Berufungsgericht zwar. Es stellt aber zu geringe Anforderungen an die Offenkundigkeit der Fehlerhaftigkeit. Offenkundig fehlerhaft ist eine Rechtsmittelbelehrung dann, wenn sie – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte6; unter dieser Voraussetzung ist die Vermutung des fehlenden Verschuldens gemäß § 233 Satz 2 ZPO widerlegt7. Hiernach bemisst sich, ob der Rechtsirrtum nachvollziehbar ist oder nicht.
Wie der Bundesgerichtshof – allerdings nach Erlass des angefochtenen Beschlusses – entschieden hat, unterliegt der Rechtsanwalt in aller Regel einem unverschuldeten Rechtsirrtum, wenn er die Berufung in einer Wohnungseigentumssache aufgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Berufungsgericht, sondern bei dem für allgemeine Zivilsachen zuständigen Berufungsgericht einlegt. Denn eine solche Rechtsmittelbelehrung ist regelmäßig nicht offenkundig in einer Weise fehlerhaft, dass sie – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermag8. Die Zuständigkeit des Berufungsgerichts in Wohnungseigentumssachen und in Zivilsachen mit wohnungseigentumsrechtlichem Bezug hängt nämlich von zwei Unwägbarkeiten ab. Zum einen ist nach § 72 Abs. 2 Satz 2 GVG nicht zwingend das in § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG genannte Landgericht am Sitz des Oberlandesgerichts für Berufungen in Wohnungseigentumssachen zuständig, weil die Länder durch Rechtsverordnung ein anderes Landgericht bestimmen können. Zum anderen tritt die Zuständigkeitskonzentration nicht schon dadurch ein, dass – wie hier – der für Wohnungseigentumssachen zuständige Amtsrichter entschieden hat; maßgeblich ist allein, ob es sich um eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 oder Nr. 6 WEG handelt9. Die Rechtsmittelzuständigkeit kann deshalb für den Anwalt, auch wenn er am Ort des Prozessgerichts ansässig ist, fraglich sein.
Der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von einem Anwalt, der über die Fachanwaltsqualifikation nicht verfügt. Für ihn ergeben sich in Bezug auf die Frage des zuständigen Berufungsgerichts die genannten Unwägbarkeiten gleichermaßen. Auch ein Rechtsanwalt, der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist, darf deshalb in der Regel darauf vertrauen, dass die Rechtsmittelbelehrung in Wohnungseigentumssachen und in Zivilsachen mit wohnungseigentumsrechtlichem Bezug zutreffend ist.
Die weiteren Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist liegen vor.
Soweit die Klägerin auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt hat, bedarf es keiner Entscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Nach Aktenlage ist die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO offensichtlich gewahrt. Die Berufungsbegründung ist am 30.12 2015 und damit innerhalb von zwei Monaten ab Zustellung des Urteils bei dem zuständigen Gericht eingegangen. Eine teilweise Zurückweisung der Rechtsbeschwerde ist damit nicht verbunden.
Der die Berufung verwerfende Beschluss wird mit der Wiedereinsetzung gegenstandslos10.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. September 2017 – V ZB 109/16
- Fortführung von BGH, Beschluss vom 09.03.2017 – V ZB 18/16, ZWE 2017, 293[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 09.12 2010 – V ZB 190/10, WuM 2011, 185 Rn. 11[↩]
- vgl. dazu BGH, Beschluss vom 12.01.2012 – V ZB 198/11, – V ZB 199/11, NJW 2012, 2443 Rn. 8 mwN[↩]
- vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 12.01.2012 – V ZB 198/11, – V ZB 199/11, NJW 2012, 2443 Rn. 10 mwN; siehe auch BGH, Beschluss vom 12.10.2016 – V ZB 178/15, NJW 2017, 1112 Rn. 11; Beschluss vom 09.03.2017 – V ZB 18/16, ZWE 2017, 293 Rn. 11[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2012 – V ZB 198/11, – V ZB 199/11, NJW 2012, 2443 Rn. 11 mwN; Beschluss vom 09.03.2017- V ZB 18/16, ZWE 2017, 293 Rn. 11[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 12.10.2016 – V ZB 178/15, NJW 2017, 1112 Rn. 12 mwN[↩]
- vgl. dazu MünchKomm-ZPO/Stackmann, 5. Aufl., § 232 Rn. 13[↩]
- BGH, Beschluss vom 09.03.2017 – V ZB 18/16, ZWE 2017, 293 Rn. 13[↩]
- BGH, Beschluss vom 09.03.2017 – V ZB 18/16, aaO Rn. 14 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 12.11.2015 – V ZB 36/15, ZMR 2016, 247 Rn. 10[↩]
- BGH, Beschluss vom 09.02.2005 – XII ZB 225/04, FamRZ 2005, 791, 792[↩]