Da die Unterschriftenkontrolle, die der Rechtsanwalt zuverlässigen Bürokräften überlassen darf, gerade der Vermeidung eines erfahrungsgemäß nicht gänzlich ausschließbaren Anwaltsversehens bei der Unterschriftsleistung dient, kann auf ein zeitlich vor der unterbliebenen Unterschriftskontrolle liegendes Anwaltsversehen im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Berufungsschrift regelmäßig nicht zurückgegriffen werden.

Der verfassungsrechtlich gewährleistete Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste1.
Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte die bis Berufungsfrist versäumt. Der drei Tage vor Fristablauf eingegangene Schriftsatz genügte den Anforderungen der § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO nicht, weil er nicht von einem – beim Berufungsgericht postulationsfähigen – Rechtsanwalt unterschrieben war. Da auch die Beglaubigungsvermerke auf den beigefügten Abschriften nicht unterschrieben waren, kommt eine Ersetzung der fehlenden Unterschrift auf der Urschrift nicht in Betracht2.
Der Bundesgerichtshof will der Beklagten jedoch auf den fristgerecht gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewähren, wenn sie letztlich ohne ein ihr zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Frist gehindert war (§ 233 ZPO).
Im vorliegenden Fall hatte in der Vorinstanz das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken3 die Wiedereinsetzung mit der Begründung abgelehnt, dass das Versäumnis des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, den Schriftsatz zu unterschreiben und mitzunehmen, die Fristversäumung verursacht habe. Es sei weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass den Prozessbevollmächtigten daran kein Verschulden treffe. Die organisatorische Anweisung, alle ausgehenden Schriftsätze auf eine vorhandene Unterschrift zu kontrollieren, habe für sich allein nicht sichergestellt, dass trotz eines auf dem Schreibtisch vorhandenen, nicht unterschriebenen Schriftsatzes zur Einlegung der Berufung die Berufungsfrist nicht versäumt werde. Zu sonstigen Anweisungen zur Sicherstellung der Einhaltung von Berufungsfristen sei nichts weiter vorgetragen. Ob die Berufungsfrist bereits gestrichen worden sei, als der Schriftsatz durch die Kanzleimitarbeiterin aufgefunden worden sei, weil der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Berufungsschrift mitnehmen sollte, lasse sich dem Vortrag ebenfalls nicht entnehmen. Die allgemeine Anweisung im Rahmen der Büroorganisation, ausgehende Schriftsätze auf die Unterschrift hin zu kontrollieren, verfolge nicht den Zweck, einen vom Rechtsanwalt im Einzelfall vergessenen Schriftsatz auf den Postweg zu bringen.
Dieser Argumentation widerspricht der Bundesgerichtshof: Mit den Erwägungen des OLG Zweibrücken lässt sich ein der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes, für die Fristversäumnis ursächliches Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht begründen.
Zwar trifft den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ein Verschulden an der unterbliebenen Unterzeichnung der Berufungsschrift, wenn er den Schriftsatz ohne Unterschrift auf dem Schreibtisch zurückgelassen hat, anstatt ihn zu unterzeichnen und beim Berufungsgericht einzureichen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten musste nach Vorlage der Berufungsschrift Vorkehrungen dagegen treffen, dass diese vor Unterzeichnung irrtümlicherweise in den Postausgang geraten und ohne Unterschrift bei Gericht eingereicht würde.
Das Verschulden einer Partei oder ihres Vertreters ist jedoch, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, dann nicht rechtlich erheblich, wenn die Partei oder ihr Vertreter alle erforderlichen Schritte unternommen hat, die bei normalem Ablauf der Dinge mit Sicherheit dazu führen würden, dass die Frist gewahrt werden kann. Wird die Frist dennoch versäumt, ist nicht mehr das Verschulden der Partei oder ihres Vertreters als ursächlich für die Versäumung der Frist anzusehen, sondern das von der Partei nicht verschuldete Hindernis, das sich der Fristwahrung entgegengestellt hat4. In der Rechtsprechung ist deshalb anerkannt, dass bei fehlender Unterzeichnung der bei Gericht fristgerecht eingereichten Rechtsmittel(Begründungs)schrift Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann, wenn der Prozessbevollmächtigte sein Büropersonal allgemein angewiesen hatte, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein der Unterschrift zu überprüfen5. Da die Unterschriftenkontrolle – die der Rechtsanwalt zuverlässigen Bürokräften überlassen darf6 – gerade der Vermeidung eines erfahrungsgemäß nicht gänzlich ausschließbaren Anwaltsversehens bei der Unterschriftsleistung dient, ist bei einem Versagen dieser Kontrolle ein Rückgriff auf ein Anwaltsversehen im Zusammenhang mit der Unterzeichnung ausgeschlossen7.
Dass eine solche ausreichende Unterschriftskontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten besteht, hat die Beklagte im hier entschiedenen Fall dargelegt. Danach sind in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten alle Angestellten angewiesen, einen Schriftsatz erst dann auf den Postweg zu geben, wenn er auf das Vorhandensein einer Unterschrift kontrolliert worden ist. Auch hat der Rechtsanwalt der Beklagten die Zuverlässigkeit seines Personals in der Befolgung von Anweisungen der eidesstattlichen Versicherung der Angestellten B. zufolge stichprobenartig überwacht. Eine darüber hinausgehende Überwachung ist nicht gefordert, wenn der Anwalt von der Zuverlässigkeit der Mitarbeiterin ausgehen durfte. Für Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der Angestellten B. sprechen könnten, sind Anhaltspunkte nicht gegeben.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. Juli 2014 – VI ZB 15/14
- vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 05.03.1954 – VI ZB 21/53, LM § 519 ZPO Nr. 14; BGH, Beschluss vom 12.12 1984 – IVb ZB 103/84, VersR 1985, 285, 286[↩]
- OLG Zweibrücken, Beschluss vom 05.02.2014 – 1 U 115/13[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 28.11.1957 – IV ZB 197/57, VersR 1958, 62; vom 29.05.1974 – IV ZB 6/74, VersR 1974, 1001, 1002[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 14.10.2008 – VI ZB 37/08, VersR 2009, 699 Rn. 7; BGH, Urteil vom 06.12 1995 – VIII ZR 12/95, VersR 1996, 910, 911; BGH, Beschlüsse vom 30.10.1974 – VIII ZR 30/74 = VersR 1975, 135 unter – II 1; vom 12.12 1984 – IVb ZB 103/84, VersR 1985, 285, 286; vom 23.10.1986 – VII ZB 8/86, VersR 1987, 383, 384; vom 27.09.1994 – XI ZB 9/94, VersR 1995, 479, 480; vom 15.02.2006 – XII ZB 215/05, VersR 2007, 375 Rn. 9; und vom 01.06.2006 – III ZB 134/05, VersR 2007, 1101; BAG, NJW 1966, 799; BAG, AP, § 233 ZPO Nr. 66; siehe auch Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 233 Rn. 22[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 23.11.1988 – VIII ZB 31/88, VersR 1989, 209 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 06.12 1995 – VIII ZR 12/95, aaO[↩]