24-Stunden-Dienste im Rettungsdienst – und ihre Vergütung

Nach § 8 Abs. 1 des Tarifvertrages Rettungsdienst Landkreis Oder-Spree vom 27.06.2012 (TV-RD LOS) beträgt die regelmäßige Arbeitszeit durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich, wobei zur Ermittlung des Durchschnitts gemäß § 8 Abs. 3 TV RD LOS ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zugrunde zu legen ist. Mit dem Begriff der „regelmäßigen Arbeitszeit“ definieren die Tarifvertragsparteien – sofern sie nicht ausdrücklich anderes festschreiben – üblicherweise den zeitlichen Umfang der vom Arbeitnehmer zu leistenden Vollarbeit1. Dies bestätigt die Einordnung von Bereitschaft als „Sonderform der Arbeit“ in § 9 Abs. 3 TV RD LOS und der in § 8 Abs. 2 TV RD LOS eröffnete weitere Zeitrahmen für eine Kombination aus Vollarbeit und Bereitschaft.

24-Stunden-Dienste im Rettungsdienst – und ihre Vergütung

Daneben sieht § 8 Abs. 2 TV RD LOS ein weiteres, aus Vollarbeit und Bereitschaft bestehendes „Arbeitszeitmodell“ vor, das den zeitlichen Umfang der für das monatliche Tabellenentgelt nach § 17 Abs. 1 TV RD LOS geschuldeten Arbeitsleistung bestimmt. Die diesbezüglich vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Tarifauslegung lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

Im Ansatz sind nicht nur Vollarbeit, sondern auch Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst vergütungspflichtige Arbeit iSd. § 611 Abs. 1 BGB2. Doch kann für diese Sonderformen der Arbeit eine gesonderte Vergütungsregelung getroffen und ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit vorgesehen werden kann3.

Von dieser Möglichkeit haben die Tarifvertragsparteien in § 8 Abs. 2 TV RD LOS Gebrauch gemacht, indem sie für dasselbe Tabellenentgelt neben der ausschließlichen Vollarbeit unter Ausdehnung der durchschnittlichen Arbeitszeit auf bis zu 48 Stunden wöchentlich eine Kombination aus Vollarbeit und Bereitschaft zulassen (Satz 1) und das dabei mögliche Verhältnis von Vollarbeit und Bereitschaft festlegen (Satz 2). Für Beschäftigte, die in diesem „Arbeitszeitmodell“, das auch im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes vorgesehenen ist (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. d TVöD-AT, § 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. d TV-L), arbeiten, wird die derart verlängerte Arbeitszeit gleichsam zur regelmäßigen Arbeitszeit4.

Mit § 8 Abs. 2 Satz 2 TV RD LOS, wonach der regelmäßige durchschnittliche Anteil der „aktiven Arbeitszeitauslastung“ – also der Vollarbeit – 40 % nicht überschreiten darf, legen die Tarifvertragsparteien nicht nur das höchstzulässige Verhältnis von Vollarbeit und Bereitschaft fest. Zugleich wird der Bereitschaftsdienst faktorisiert: Wenn innerhalb der Höchstgrenze von 48 Wochenstunden nur 40 %, das sind 19,2 Stunden, Vollarbeit sein dürfen, müssen (48 abzüglich 19,2 =) 28,8 Wochenstunden Bereitschaft sein. Damit werden letztere wie (40 abzüglich 19,2 =) 20,8 Wochenstunden Vollarbeit vergütet und – bezogen auf die Vergütung – eine Stunde Bereitschaftsdienst wie 0,72 Stunde Vollarbeit bewertet. § 8 Abs. 2 Satz 2 TV RD LOS enthält somit eine gesonderte Vergütungsregelung für Bereitschaftszeiten5. Diese ist angesichts der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie und des damit verbundenen weiten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien6 nicht zu beanstanden.

Ein solches Verständnis von § 8 Abs. 2 Satz 2 TV RD LOS entspricht auch dem übereinstimmenden Willen der Tarifvertragsparteien7. Das belegen sowohl die „Protokollerklärung zu Satz 3“ als auch die „Klarstellung für die Zeit vor 2016“ in § 2 ÄndTV Nr. 2 TV RD LOS.

§ 3 Satz 2 und § 7 Abs. 8 ArbZG begrenzen die zulässige Höchstarbeitszeit auf durchschnittlich 48 Wochenstunden. Diese Grenze beachtet § 8 Abs. 2 Satz 1 TV RD LOS und verstößt damit nicht gegen höherrangiges Recht.

Im hier entschiedenen Fall wurde durch eine Betriebsvereinbarung auf der Grundlage des § 8 Abs. 6 TV RD LOS die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass arbeitszeitrechtlich von den in §§ 7, 12 ArbZG vorgesehenen Abweichungen Gebrauch gemacht werden darf. In dieser Legitimierung von anderenfalls einzuhaltender Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes, die ein gesetzliches Beschäftigungsverbot begründen8, erschöpft sich grundsätzlich die Wirkung einer Betriebsvereinbarung nach §§ 7, 12 ArbZG. Das Arbeitszeitgesetz verbietet nicht die Vergütung von Arbeit, die unter Verstoß gegen arbeitszeitrechtliche Vorgaben erbracht wurde9. Wären die im Betrieb praktizierten 24-Stunden-Dienste arbeitszeitrechtlich unzulässig gewesen, hätte die Rettungssanitäterin für die tatsächlich geleisteten 24-Stunden-Dienste gleichwohl, aber auch nur Anspruch auf die dafür vorgesehene Vergütung, also das Tabellenentgelt nach § 17 Abs. 1 TV RD LOS.

Weil die Faktorisierung der Bereitschaft in § 8 Abs. 2 Satz 2 TV RD LOS tariflich geregelt ist, kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Betriebsvereinbarung lediglich den Tarifvertrag deklaratorisch wiederholt oder unter Verstoß gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die Vergütung von Bereitschaft regelt. Im letzteren Fall verbliebe es wegen der (Teil-)Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung10, ebenfalls es bei der tariflichen Vergütungsregelung.

Auch aus dem Arbeitsvertrag ergab sich in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall nichts anderes: Nach diesem beträgt die „regelmäßig vereinbarte Arbeitszeit“ 40 Wochenstunden. Weil weder dort noch an anderer Stelle des Arbeitsvertrags von Sonderformen der Arbeit die Rede ist, muss unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten im Arbeitsleben der verständige Arbeitnehmer davon ausgehen, mit einer solchen Formulierung werde der Umfang der geschuldeten regelmäßigen Vollarbeit bestimmt. Zudem ist durch die Bezugnahmeklausel des Arbeitsvertrages das in § 8 Abs. 2 TV RD LOS vorgesehene „Arbeitszeitmodell“ aus Vollarbeit und Bereitschaft arbeitsvertraglich mitvereinbart. Für ein Verständnis dieser arbeitsvertraglichen Regelung dahingehend, 40 Wochenstunden sollen Obergrenze auch für eine Kombination aus Vollarbeit und Bereitschaft sein, fehlt jeglicher Anhaltspunkt.Im Übrigen würde sich bei einem anderen Verständnis des Inhalts des Arbeitsvertrages die tarifliche Regelung, die im hier entschiedenen Fall (auch) kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, durchsetzen. Denn die arbeitsvertragliche Arbeitszeitregelung wäre in diesem Falle nicht günstiger iSd. § 4 Abs. 3 TVG. Ob bei der Arbeit im Rettungsdienst für dieselbe Vergütung eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden Vollarbeit oder eine Kombination aus 19, 2 Stunden Vollarbeit und 20, 8 Stunden Bereitschaftsdienst günstiger ist, lässt sich objektiv nicht zweifelsfrei feststellen, so dass es bei der zwingenden Geltung des Tarifvertrags verbleibt11.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. April 2019 – 5 AZR 250/18

  1. vgl. BAG 17.01.2019 – 6 AZR 17/18, Rn. 17[]
  2. st. Rspr., vgl. zB BAG 19.11.2014 – 5 AZR 1101/12, Rn. 16 mwN, BAGE 150, 82; 11.10.2017 – 5 AZR 591/16, Rn. 13[]
  3. st. Rspr., BAG 20.04.2011 – 5 AZR 200/10, Rn. 32, BAGE 137, 366[]
  4. vgl., zu § 12 DRK-Reformtarifvertrag – BAG 26.06.2013 – 5 AZR 231/12, Rn. 12[]
  5. zur Faktorisierung als gesonderte Vergütungsregelung für Sonderformen der Arbeit sh. auch BAG 17.01.2019 – 6 AZR 17/18, Rn.19[]
  6. dazu BAG 2.08.2018 – 6 AZR 437/17, Rn. 38 mwN, BAGE 163, 205[]
  7. zum Willen der Tarifvertragsparteien als Auslegungskriterium etwa BAG 19.06.2018 – 9 AZR 564/17, Rn. 17 mwN[]
  8. BAG 20.11.2018 – 9 AZR 327/18, Rn. 15 mwN[]
  9. BAG 24.08.2016 – 5 AZR 129/16, Rn. 48, BAGE 156, 157[]
  10. zu den Voraussetzungen der Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung vgl. BAG 5.05.2015 – 1 AZR 435/13, Rn.20[]
  11. zur Durchführung des Günstigkeitsvergleichs im Einzelnen sh. BAG 22.08.2018 – 5 AZR 551/17, Rn. 14; st. Rspr., BAG 15.04.2015 – 4 AZR 587/13, Rn. 29 ff. mwN, BAGE 151, 221[]