Der Streit um die Eingruppierung – und der Zustimmungsersetzungsantrag für zwischenzeitlich ausgeschiedene Beschäftigte

Das Rechtsschutzbedürfnis verlangt als Sachentscheidungsvoraussetzung das Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Inanspruchnahme der Gerichte. Fehlt es, ist ein Antrag als unzulässig abzuweisen. Bei Leistungs- und Gestaltungsklagen kann das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn der Antragsteller offensichtlich gerichtlicher Hilfe zur Erreichung seines Ziels nicht (mehr) bedarf.

Der Streit um die Eingruppierung – und der Zustimmungsersetzungsantrag für zwischenzeitlich ausgeschiedene Beschäftigte

Der Antrag eines Arbeitgebers, die Zustimmung des Betriebsrats zu einer personellen Maßnahme nach § 99 Abs. 4 BetrVG gerichtlich zu ersetzen, setzt deshalb voraus, dass der Arbeitgeber die Durchführung dieser Maßnahme noch beabsichtigt1. Dies ist bei einem auf eine Eingruppierung bezogenen Zustimmungsersetzungsverfahren nur so lange der Fall, wie der betroffene Arbeitnehmer im Betrieb mit unveränderter Eingruppierung beschäftigt ist2.

Danach bestand in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hinsichtlich der Arbeitnehmerinnen R und S bezogen auf die Unterrichtung aus April 2017 ein Rechtsschutzbedürfnis für die Zustimmungsersetzungsanträge:

Die Arbeitgeberin hält weiterhin die Gehaltsgruppe II des Gehaltstarifvertrags für den niedersächsischen Einzelhandel im 6. (R) und 2. (S) Berufsjahr für zutreffend. Für diese Maßnahme besteht nach wie vor ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl die Tarifvertragsparteien nach Abschluss des zweitinstanzlichen Verfahrens am 18.07.2019 erneut einen zum 1.05.2019 in Kraft getretenen Gehalts- und Lohntarifvertrag für den Einzelhandel Niedersachsen (GTV 2019) vereinbart haben. Die Zustimmungsersetzungsanträge beziehen sich auf die jeweiligen Fassungen des GTV, die – soweit für die zukunftsgerichtete Zustimmungsersetzung von Interesse – während des Verfahrens unverändert geblieben sind.

Soweit die Arbeitgeberin den Betriebsrat im Juli 2018 und März 2019 erneut über die Eingruppierung der beiden Arbeitnehmerinnen unterrichtet hat, sind diese Unterrichtungen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Mit ihnen hat die Arbeitgeberin dem Betriebsrat lediglich die unveränderte Eingruppierung mitgeteilt. Einem erneuten Zustimmungsersuchen hätte mangels Änderung der beabsichtigten Eingruppierung die Grundlage gefehlt3. Die Arbeitgeberin hat durch die erneute Unterrichtung von ihren ursprünglichen personellen Einzelmaßnahmen keinen Abstand genommen und keine eigenständigen, neuen personellen Einzelmaßnahmen eingeleitet4.

Das Rechtsschutzbedürfnis war im vorliegenden Verfahren auch für den auf die Arbeitnehmerin Re bezogenen Zustimmungsersetzungsantrag – gerichtet auf das mit Unterrichtung vom 08.03.2019 eingeleitete Zustimmungsverfahren – gegeben:

Nach Auffassung der Arbeitgeberin hat sich die Zuordnung der Arbeitnehmerin zur Berufsjahresstaffel bei Unterrichtung im März 2019 im Vergleich zu den Unterrichtungen aus April 2017 und Juli 2018 verändert. Dadurch war es erforderlich, erneut ein Verfahren nach § 99 Abs. 1 BetrVG in Gang zu setzen. Die Stufenänderung löste ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus. Sie stellt eine Umgruppierung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und damit eine neue Maßnahme dar, weil sich daraus ein unterschiedliches Entgelt im Vergleich zur niedrigeren Stufe ergibt5. Das gilt selbst dann, wenn eine Höherstufung allein durch Zeitablauf erfolgt und über diese zwischen den Betriebsparteien – anders als im vorliegenden Fall – kein Streit besteht6. Die ursprüngliche Maßnahme – die Eingruppierung unter Einstufung in ein geringeres Berufsjahr – war ab dem Zeitpunkt der Änderung des Berufsjahres nicht mehr durch die Arbeitgeberin beabsichtigt.

Dem konnten die Beteiligten – wie geschehen – Rechnung tragen, indem sie die zunächst angekündigten Anträge hinsichtlich der Arbeitnehmerin Rezig im Beschwerdeverfahren übereinstimmend für erledigt erklärten und die Arbeitgeberin nach erneuter Unterrichtung des Betriebsrats im Wege der Anschlussbeschwerde die Ersetzung der wieder verweigerten Zustimmung zur beabsichtigten Eingruppierung der Arbeitnehmerin Re in das Verfahren einführte. Die Antragsänderung der in erster Instanz voll obsiegenden Arbeitgeberin konnte in zweiter Instanz im Rahmen einer nach § 87 Abs. 2 Satz 1, § 64 Abs. 6 ArbGG, § 524 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässigen Anschlussbeschwerde erfolgen, für die keine Beschwer erforderlich war7. Mangels Fristsetzung zur Beschwerdeerwiderung nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 87 Abs. 2 Satz 1, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG durch das Landesarbeitsgericht konnte die Anschließung auch noch im Termin zur Anhörung erfolgen8. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die Zulassung der Anschlussbeschwerde ist nach § 81 Abs. 3 Satz 3, § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 ArbGG unanfechtbar.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 29. Januar 2020 – 4 ABR 26/19

  1. BAG 27.09.2017 – 7 ABR 8/16, Rn. 17; 13.03.2013 – 7 ABR 39/11, Rn. 22 ff.[]
  2. BAG 1.07.2009 – 4 ABR 18/08, Rn. 16, BAGE 131, 197[]
  3. vgl. BAG 13.08.2019 – 1 ABR 10/18, Rn. 16; 1.07.2009 – 4 ABR 18/08, Rn. 11 ff., BAGE 131, 197[]
  4. vgl. BAG 9.10.2013 – 7 ABR 1/12, Rn. 27 f. mwN[]
  5. vgl. BAG 26.04.2017 – 4 ABR 37/14, Rn. 10; 19.10.2011 – 4 ABR 119/09, Rn.20[]
  6. BAG 6.04.2011 – 7 ABR 136/09, Rn. 29, BAGE 137, 260[]
  7. vgl. BAG 29.09.1993 – 4 AZR 693/92, zu A I 1 der Gründe, BAGE 74, 268[]
  8. vgl. BAG 17.02.2015 – 1 ABR 45/13, Rn. 17, BAGE 151, 27[]