Eine Tariflücke kann vorliegen, wenn die Tätigkeit eines Arbeitnehmers keines der in der tariflichen Vergütungsordnung geregelten Tätigkeitsmerkmale erfüllt1. Ob dies der Fall ist, kann nur auf der Grundlage der Feststellung beurteilt werden, welche Tätigkeit der betreffende Arbeitnehmer ausübt.

Dabei ersetzt der bloße Verweis auf eine vom Arbeitgeber verfasste Stellenbeschreibung und die dort genannten auszuübenden Tätigkeiten die erforderlichen Feststellungen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch dann nicht, wenn die Angaben von den Beteiligten im Verlauf des Verfahrens nicht in Frage gestellt werden. Eine Stellenbeschreibung dient lediglich der Dokumentation der Tätigkeit des Stelleninhabers. Als Grundlage für eine Tätigkeitsbeschreibung kommt sie allenfalls dann in Betracht, wenn sie die tatsächlich auszuübende Tätigkeit sowie die Gesamt- oder Teiltätigkeiten hinreichend wiedergibt2.
Eingruppierung[↑]
Die zentrale Kategorie der Eingruppierung ist der Arbeitsvorgang. Es sind deshalb zunächst die Arbeitsvorgänge zu bestimmen, die die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer ausmachen.
Maßgebend für die Bestimmung eines Arbeitsvorgangs ist das Arbeitsergebnis3. Die tarifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte bleibt dabei zunächst außer Betracht. Erst nachdem die Bestimmung des Arbeitsvorgangs erfolgt ist, ist dieser anhand der in Betracht kommenden Tätigkeitsmerkmale zu bewerten4.
Bei der Zuordnung zu einem Arbeitsvorgang können wiederkehrende und gleichartige Tätigkeiten zusammengefasst werden. Dabei kann die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Einzeltätigkeiten können jedoch dann nicht zusammengefasst werden, wenn die verschiedenen Arbeitsschritte von vornherein organisatorisch voneinander getrennt sind. Dafür reicht die theoretische Möglichkeit nicht aus, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben verwaltungstechnisch isoliert auf andere Beschäftigte übertragen zu können, solange sie nach der tatsächlichen Arbeitsorganisation des Arbeitgebers als einheitliche Arbeitsaufgabe einer Person real übertragen sind5.
In einem zweiten Schritt ist zu ermitteln, ob die einzelnen Arbeitsvorgänge einem Tätigkeitsmerkmal zugeordnet werden können.
Insoweit ist zunächst zu prüfen, ob der jeweilige Arbeitsvorgang ein spezielles Tätigkeitsmerkmal – hier beispielsweise das einer Medizinischen Fachangestellten oder einer Krankenpflege- oder einer Rettungskraft – erfüllt6. Dabei sind die Arbeitsvorgänge jeweils als Gesamtheit zu betrachten. Das in Satz 2 der Protokollnotiz zu § 22 Abs. 2 Tarifvertrag vereinbarte Aufspaltungsverbot gestattet es nicht, einen Arbeitsvorgang nach Teiltätigkeiten unterschiedlicher Wertigkeit aufzuspalten. Eine Gewichtung findet an dieser Stelle des Eingruppierungsvorgangs nicht statt. Innerhalb eines Arbeitsvorgangs bedarf es weder eines Überwiegens noch eines „Gepräges“ durch die für die Bewertung maßgebende Teiltätigkeit. Es genügt, wenn innerhalb des Arbeitsvorgangs überhaupt konkrete Tätigkeiten verrichtet werden, die die Anforderungen eines bestimmten Tätigkeitsmerkmals erfüllen. In diesem Fall ist der Arbeitsvorgang in seinem gesamten zeitlichen Umfang dem betreffenden Tätigkeitsmerkmal zuzuordnen. Lediglich dann, wenn diese Anteile der Arbeit kein „rechtserhebliches Ausmaß“ erlangen, können sie außer Acht gelassen werden7.
Kann ein Arbeitsvorgang keinem speziellen Tätigkeitsmerkmal zugeordnet werden, ist zu prüfen, ob er den Anforderungen eines allgemeinen Merkmals entspricht. Die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale des Tarifvertrages haben nach dem Willen der Tarifvertragsparteien eine Auffangfunktion und können daher auch für solche Tätigkeiten herangezogen werden, die nicht zu den eigentlich behördlichen oder herkömmlichen Verwaltungsaufgaben gehören. Deshalb kann im Bereich des Tarifvertrages eine Tariflücke nur dann angenommen werden, wenn die zu beurteilende Tätigkeit keinen unmittelbaren Bezug zu den eigentlichen Aufgaben der betreffenden Dienststellen, Behörden und Institutionen hat8.
Sollte die Zuordnung zu einem – speziellen oder allgemeinen – Tätigkeitsmerkmal des Tarifvertrages möglich sein, kommt eine entsprechende Eingruppierung nur in Betracht, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der betreffenden Vergütungsgruppe erfüllen. Kann die Erfüllung einer Anforderung erst bei der Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge festgestellt werden, sind diese Arbeitsvorgänge insoweit zusammen zu beurteilen (§ 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Tarifvertrag).
Tariflücke[↑]
Nur für den Fall, dass die Arbeitsvorgänge der jeweiligen Arbeitnehmer überwiegend keinem Tätigkeitsmerkmal des Tarifvertrages zugeordnet werden können, ist zu prüfen, ob die festgestellte Tariflücke von den Gerichten für Arbeitssachen geschlossen werden kann.
Die Schließung einer Tariflücke durch die Arbeitsgerichte ist zunächst dann unzulässig, wenn es sich um eine bewusste Auslassung der Tarifvertragsparteien handelt.
Die Gerichte sind nicht befugt, gegen den Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche Regelungen zu „schaffen“ oder das Ergebnis einer schlechten Verhandlungsführung dadurch zu korrigieren, dass „Vertragshilfe“ geleistet wird. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie9.
Für die Frage, ob es sich um eine bewusste oder unbewusste Tariflücke handelt, ist auf den Willen der Tarifvertragsparteien abzustellen.
Die Schließung einer unbewussten Tariflücke würde voraussetzen, dass es eindeutige Hinweise darauf gibt, wie die Tarifvertragsparteien die nicht berücksichtigte Tätigkeit bewertet hätten. Diese Voraussetzung ist nur dann gegeben, wenn die tariflich nicht geregelte mit einer tariflich geregelten Tätigkeit in einer Weise artverwandt und vergleichbar ist, die es erlaubt, die Tätigkeitsmerkmale auf die nicht tariflich geregelte Tätigkeit anzuwenden10. Gibt es dagegen mehrere Möglichkeiten, die festgestellte Tariflücke zu schließen, scheidet eine Eingruppierung aus. Die Schließung der Tariflücke wäre dann ebenfalls ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie11.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18. November 2015 – 4 ABR 24/14
- BAG 18.03.2015 – 4 AZR 702/12, Rn. 18; 25.02.2009 – 4 AZR 964/07, Rn.19[↩]
- vgl. grdl. BAG 13.11.2013 – 4 AZR 53/12, Rn. 18 mwN[↩]
- st. Rspr., zB BAG 13.05.2015 – 4 AZR 355/13, Rn. 16; 21.08.2013 – 4 AZR 933/11, Rn. 13 mwN, BAGE 146, 22[↩]
- BAG 18.03.2015 – 4 AZR 59/13, Rn. 17; 6.07.2011 – 4 AZR 568/09, Rn. 58[↩]
- st. Rspr., zB BAG 13.05.2015 – 4 AZR 355/13, Rn. 16; grdl. 23.09.2009 – 4 AZR 308/08, Rn.20 mwN[↩]
- vgl. dazu BAG 28.01.2009 – 4 AZR 13/08, Rn. 39, BAGE 129, 208[↩]
- st. Rspr., zB BAG 13.11.2013 – 4 AZR 53/12, Rn. 31; 28.01.2009 – 4 AZR 13/08, Rn. 47 mwN, aaO[↩]
- BAG 18.03.2015 – 4 AZR 702/12, Rn. 18; 6.03.1996 – 4 AZR 771/94, zu II 4 b der Gründe[↩]
- BAG 25.08.2010 – 4 ABR 104/08, Rn. 38; 24.09.2008 – 4 AZR 642/07, Rn. 24[↩]
- zB BAG 24.09.2008 – 4 AZR 642/07, Rn. 25; 5.10.1999 – 3 AZR 230/98, zu I 5 der Gründe, BAGE 92, 310[↩]
- vgl. BAG 25.02.2009 – 4 AZR 964/07, Rn.20; 24.09.2008 – 4 AZR 642/07, Rn. 24 f. mwN[↩]