Umsetzung – und die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung

Hat ein als behinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 30 anerkannter Arbeitnehmer die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen beantragt und dies dem Arbeitgeber mitgeteilt, ist der Arbeitgeber nicht nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung von der beabsichtigten Umsetzung dieses Arbeitnehmers (vorsorglich) zu unterrichten und sie hierzu anzuhören, wenn über den Gleichstellungsantrag zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden ist.

Umsetzung – und die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung

Das ergibt für das Bundesarbeitsgericht die Auslegung von § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Das Bundesarbeitsgericht konnte es daher im hier entschiedenen Fall dahinstehen lassen, ob sich aus § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX für den Fall der ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung erfolgten Umsetzung eines schwerbehinderten oder eines einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten behinderten Arbeitnehmers überhaupt ein Unterlassungsanspruch der Schwerbehindertenvertretung gegen den Arbeitgeber ableiten lässt.

Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anhören. Gegenstand der Unterrichtung und Anhörung sind alle Angelegenheiten bzw. Entscheidungen, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren1. Daher besteht die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht grundsätzlich, wenn der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Menschen innerhalb derselben Dienststelle im Wege einer Umsetzung andere Aufgaben überträgt. Dies gilt auch für die Umsetzung von behinderten Arbeitnehmern, die durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind (§ 151 Abs. 1 SGB IX).

Die Beteiligungspflicht setzt nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen der §§ 178 Abs. 2, 151 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX voraus, dass die beabsichtigte Umsetzung einen schwerbehinderten oder einen bereits durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit mit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten behinderten Arbeitnehmer betrifft. Nach § 151 Abs. 1 SGB IX gelten die Regelungen des 3. Teils des SGB IX, in dessen Kapitel 5 sich § 178 SGB IX befindet, für schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen. Menschen sind nach § 2 Abs. 2 Halbs. 1 SGB IX im Sinne des 3. Teils des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Für behinderte Arbeitnehmer mit einem GdB von unter 50 findet die Vorschrift nur Anwendung, wenn diese schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Die Gleichstellung, die nach § 2 Abs. 3 SGB IX einen GdB von mindestens 30 voraussetzt, erfolgt auf Antrag des Behinderten nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGB IX durch rechtsbegründenden Verwaltungsakt der Bundesagentur für Arbeit und wirkt konstitutiv. Im Unterschied zu den kraft Gesetzes geschützten schwerbehinderten Personen, bei denen durch die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch ein bestehender Rechtsschutz nur festgestellt wird, wird der Schutz des einfach Behinderten durch die Gleichstellung erst begründet2. Ob die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX besteht, ist nach den Umständen zum Zeitpunkt der Umsetzung zu beurteilen. Ist zu diesem Zeitpunkt der von der Umsetzung betroffene Arbeitnehmer weder schwerbehindert noch über seinen Gleichstellungsantrag positiv entschieden, sind die Voraussetzungen für die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht daher nicht erfüllt. Der Arbeitnehmer unterfällt zu diesem Zeitpunkt nicht dem Anwendungsbereich des 3. Teils des SGB IX. Eine vorsorgliche Beteiligungspflicht regelt § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht. Gegenteiliges folgt nicht aus § 151 Abs. 2 Satz 2 SGB IX, wonach die Gleichstellung mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam wird. Diese Rückwirkung wird erst durch den stattgebenden Gleichstellungsbescheid begründet, weshalb sie im Zeitpunkt der vor dem Bescheid erfolgten Umsetzung noch nicht eingetreten ist. Das Gesetz enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die ggf. später eintretende Rückwirkung gegen den Wortlaut des § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine vorsorgliche Beteiligungspflicht bewirken soll.

Systematische Erwägungen bestätigen dieses Ergebnis.

Die in § 151 Abs. 2 Satz 2 SGB IX angeordnete Rückwirkung des konstitutiven Gleichstellungsbescheids hat zwar grundsätzlich zur Folge, dass behinderte Menschen seit dem Zeitpunkt der Antragstellung den individuellen Schutzvorschriften des 3. Teils des SGB IX unterliegen. Die Rückwirkung ist, wie die Vorschriften zum Wahlverfahren in § 177 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX zeigen, nach der gesetzgeberischen Vorstellung aber nicht allumfassend, sondern gerade im Zusammenhang mit der kollektiven Interessenvertretung durch die Schwerbehindertenvertretung eingeschränkt.

So sind behinderte Arbeitnehmer mit einem GdB von unter 50, die vor der Wahl der Schwerbehindertenvertretung einen Gleichstellungsantrag gestellt haben, über den am Wahltag noch nicht oder (anfechtbar) abschlägig entschieden ist, im Sinne von § 177 Abs. 2 SGB IX nicht als Schwerbehinderte zu behandeln und daher nicht berechtigt, die Schwerbehindertenvertretung zu wählen. Es genügt nicht, dass vor der Wahl ein Gleichstellungsantrag gestellt worden ist3.

Auch bei der Ermittlung der für die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung nach § 177 Abs. 1 SGB IX erforderlichen Mindestanzahl von fünf schwerbehinderten Menschen sind Beschäftigte mit einem GdB von 30 oder 40 nur dann zu berücksichtigen, wenn sie durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit bereits gleichgestellt sind4. Ist über den Gleichstellungsantrag hingegen noch nicht entschieden, sind die einfach behinderten Beschäftigten nicht mitzuzählen, auch wenn ein später ggf. stattgebender Bescheid die Gleichstellung mit rückwirkender Kraft zum Zeitpunkt der Antragstellung bewirkt. Anderenfalls bestünde im Hinblick auf die Wirksamkeit der Wahl der Schwerbehindertenvertretung, die nach den Umständen zum Zeitpunkt der Wahl zu beurteilen ist, eine erhebliche Rechtsunsicherheit, da sich erst im Nachhinein herausstellen würde, ob die Beschäftigtenzahl zutreffend ermittelt wurde.

Auch die Regelung zur Einschränkung des Sonderkündigungsschutzes in § 173 Abs. 3 SGB IX spricht in systematischer Hinsicht für das hier gefundene Ergebnis.

Nach § 168 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Allerdings findet das Zustimmungserfordernis nach § 173 Abs. 3 SGB IX keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 152 Abs. 1 Satz 3 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. § 173 Abs. 3 SGB IX gilt nicht nur für schwerbehinderte Menschen, sondern auch für ihnen gleichgestellte behinderte Menschen5. Das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes setzt damit grundsätzlich voraus, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung entweder die Schwerbehinderung bereits anerkannt (oder eine Gleichstellung erfolgt) ist oder die Stellung des Antrags auf Anerkennung der Schwerbehinderung (bzw. auf Gleichstellung) mindestens drei Wochen zurückliegt6.

§ 173 Abs. 3 SGB IX verdeutlicht, dass der Gesetzgeber für den im 4. Kapitel des 3. Teils des SGB IX geregelten Sonderkündigungsschutz die Problematik eines laufenden Anerkennungs- bzw. Gleichstellungsverfahrens erkannt und für den Fall, dass die Schwerbehinderung noch nicht anerkannt (oder eine Gleichstellung noch nicht erfolgt) ist, den Sonderkündigungsschutz auf eine zeitnah vor der Kündigung erfolgte Antragstellung erstreckt hat. Wenn der Gesetzgeber beabsichtigt hätte, die im 5. Kapitel des 3. Teils des SGB IX geregelte Unterrichtungs- und Anhörungspflicht der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auch für Umsetzungen behinderter Menschen, über deren Gleichstellungsantrag zum Zeitpunkt der Umsetzung noch nicht entschieden ist, vorzusehen, hätte es gerade angesichts der konstitutiven Wirkung des Gleichstellungsbescheids der Bundesagentur für Arbeit nahegelegen, hier eine vergleichbare Regelung aufzunehmen. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil ein Verstoß gegen die in § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX geregelte Unterrichtungs- und Anhörungspflicht der Schwerbehindertenvertretung vor einer Umsetzung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers – im Gegensatz zur unterbliebenen Beteiligung des Integrationsamts im Fall der Kündigung – nicht zur individualrechtlichen Unwirksamkeit der Umsetzung führt7. Mit der zum 30.12.2016 in Kraft getretenen Änderung des § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (seit dem 1.01.2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) hat der Gesetzgeber die Unwirksamkeitsfolge lediglich für die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF (seit dem 1.01.2018: § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) ausspricht, angeordnet, was nach § 68 Abs. 1 SGB IX aF (seit dem 1.01.2018: § 151 Abs. 1 SGB IX) gleichermaßen für Schwerbehinderten gleichgestellte behinderte Menschen gilt.

Sinn und Zweck der in § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX geregelten Beteiligungspflicht sprechen ebenfalls gegen eine Verpflichtung des Arbeitgebers, die Schwerbehindertenvertretung von der beabsichtigten Umsetzung eines behinderten Arbeitnehmers zu unterrichten und zu dieser anzuhören, wenn über dessen Gleichstellungsantrag noch nicht entschieden ist.

§ 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist Teil des in § 182 Abs. 1 SGB IX verankerten Grundsatzes der engen Zusammenarbeit von Arbeitgeber, Schwerbehindertenvertretung und Betriebs- oder Personalrat, um die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben sicherzustellen. Die Aufgabe der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 1 Satz 1 SGB IX besteht deshalb darin, die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb oder die Dienststelle zu fördern. Sie hat die Interessen der schwerbehinderten Menschen gegenüber dem Arbeitgeber zu vertreten und ihnen beratend und helfend zur Seite zu stehen. Damit korrespondiert die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Sie eröffnet der Schwerbehindertenvertretung die Möglichkeit, den Arbeitgeber aus ihrer fachlichen Sicht auf mögliche, ggf. nicht bedachte Auswirkungen von Entscheidungen hinzuweisen, die für die Belange eines schwerbehinderten Menschen oder schwerbehinderter Beschäftigter als Kollektiv erheblich sind8.

Daraus ergibt sich, dass die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht des Arbeitgebers aus § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bei einfach behinderten Menschen grundsätzlich erst dann entsteht, wenn die Gleichstellung konstitutiv durch einen Bescheid der Bundesagentur für Arbeit festgestellt ist. Erst dann können sachdienliche Hinweise der Schwerbehindertenvertretung auf mögliche, ggf. nicht bedachte Auswirkungen von Entscheidungen gegenüber dem Arbeitgeber ihren Schutzzweck zugunsten der einfach behinderten Beschäftigten vollumfänglich entfalten, weil diese zuvor nicht in den Anwendungsbereich des 3. Teils des SGB IX fallen und den Arbeitgeber entsprechende Handlungsverpflichtungen – wie zB nach § 164 SGB IX – nicht treffen. Die Auffassung der Antragstellerin, eine frühzeitige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung sei generell geboten, um eine Vergrößerung der Gruppe der schwerbehinderten Beschäftigten zu vermeiden und zu bewirken, dass eine Gleichstellung aufgrund ihrer frühzeitigen Einschaltung und Beteiligung nicht mehr erforderlich sei, verkennt, dass die Schwerbehindertenvertretung keine Generalzuständigkeit für alle einfach behinderten Arbeitnehmer besitzt, sondern nur für schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Menschen, wie sich aus § 151 Abs. 1 SGB IX ergibt.

§ 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist nicht unter Berücksichtigung von Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG sowie Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. e bzw. i iVm. Art. 2 Unterabs. 3 und Unterabs. 4 der UN-BRK dahin auszulegen, dass die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht des Arbeitgebers auch dann besteht, wenn die Umsetzung einen als behinderter Mensch mit einem GdB von 30 anerkannten Arbeitnehmer betrifft, über dessen Gleichstellungsantrag noch nicht entschieden ist.

Behinderte Menschen, die nicht iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX schwerbehindert sind, werden zwar vom Schutz der Richtlinie 2000/78/EG und der UN-BRK erfasst. Deren Vorgaben gelten für alle Fälle einer Behinderung in ihrem Sinne und nicht nur für Behinderungen, die so schwer sind, dass sie einen bestimmten Grad überschreiten. Der Begriff der Behinderung im Sinne des Unionsrechts und der UN-BRK ist daher nicht auf behinderte Menschen beschränkt, bei denen eine Schwerbehinderung vorliegt (§ 2 Abs. 2 SGB IX: GdB wenigstens 50) oder die diesen gleichgestellt sind, weil nach § 2 Abs. 3 SGB IX der GdB weniger als 50 aber wenigstens 30 beträgt, und die aus arbeitsplatzbezogenen Gründen ihre Gleichstellung beantragt haben9.

der Richtlinie 2000/78/EG sowie Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i iVm. Art. 2 Unterabs. 3 und Unterabs. 4 der UN-BRK geben jedoch nicht vor, dass die Schwerbehindertenvertretung bei Maßnahmen zu unterrichten und anzuhören ist, die behinderte Menschen betreffen.

Nach Art. 5 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG haben die Mitgliedstaaten angemessene Vorkehrungen zu treffen, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, was nach Art. 5 Satz 2 der Richtlinie 2000/78/EG bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen hat, um Menschen mit Behinderung ua. die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten10. Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i der UN-BRK haben die Vertragsstaaten sicherzustellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen werden. Nach der Legaldefinition in Art. 2 Unterabs. 4 der UN-BRK sind „angemessene Vorkehrungen“ notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Die Bestimmungen der UN-BRK sind Bestandteil der Unionsrechtsordnung11 und damit zugleich Bestandteil des – ggf. unionsrechtskonform auszulegenden – deutschen Rechts12. Der Umstand, dass die UN-BRK seit ihrem Inkrafttreten integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung ist, führt darüber hinaus dazu, dass auch die Richtlinie 2000/78/EG ihrerseits nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen auszulegen ist13. In Deutschland haben die UN-BRK sowie das hierzu ergangene Fakultativprotokoll Gesetzeskraft14.

Die in § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX geregelte Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung in Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, ist keine angemessene Vorkehrung im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG sowie von Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i iVm. Art. 2 Unterabs. 3 und Unterabs. 4 der UN-BRK.

Der Begriff „angemessene Vorkehrungen“ iSv. Art. 2 Unterabs. 3 und Unterabs. 4 der UN-BRK und von Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG ist weit zu verstehen und umfasst die Beseitigung der verschiedenen Barrieren, die die volle und wirksame, gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben behindern. Gemeint sind geeignete materielle oder organisatorische Maßnahmen, die der einzelne Arbeitgeber im Rahmen der Zumutbarkeit zu ergreifen hat, um den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten und dem behinderten Arbeitnehmer ua. die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen15. Es geht zB um eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder eine Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen16.

Danach ist das in § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX geregelte Verfahren der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung keine „angemessene Vorkehrung“ iSv. Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG sowie Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i iVm. Art. 2 Unterabs. 3 und Unterabs. 4 der UN-BRK. Durch die Beteiligungspflicht soll es zwar der Schwerbehindertenvertretung ermöglicht werden, nach § 178 Abs. 1 SGB IX tätig zu werden und den Arbeitgeber auf mögliche, ggf. nicht bedachte Auswirkungen von Entscheidungen hinzuweisen, die für die Belange eines schwerbehinderten Menschen oder schwerbehinderter Beschäftigter als Kollektiv erheblich sind8. Dies dient letztlich dem allgemeinen Ziel der Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb oder die Dienststelle, was im Übrigen nach § 176 Satz 1 SGB IX auch Aufgabe der jeweils bestehenden betrieblichen Interessenvertretung ist. Allerdings beschreibt § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX keine im konkreten Einzelfall geeignete, erforderliche und dem Arbeitgeber zumutbare materielle oder organisatorische Maßnahme in Bezug auf die Arbeitsumgebung, die Arbeitsorganisation oder die Aus- und Fortbildung, die dazu dient, den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten und dem behinderten Arbeitnehmer die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen. Eine Pflicht, Arbeitsplätze in der genannten Art anzupassen, ist zB vorgesehen in § 164 Abs. 4 und Abs. 5 SGB IX. Im Gegensatz zu diesen Normen ist § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine reine Verfahrensregelung. Unter den in Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG und dessen 20. Erwägungsgrund genannten angemessenen Vorkehrungen finden sich keine Verfahrensregelungen. Dies spricht dagegen, derartige Regelungen als Vorkehrungen im Sinne der Richtlinie anzusehen17.

Der Umstand, dass sich im Zuge der Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX herausstellen kann, dass zugunsten des schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers angemessene, den Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig belastende Vorkehrungen iSv. Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG, Art. 2 Unterabs. 3 und Unterabs. 4 der UN-BRK getroffen werden können, gebietet keine andere Beurteilung. Hierdurch wird das Beteiligungsverfahren nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX weder eine angemessene Vorkehrung iSv. Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG, Art. 2 Unterabs. 3 und Unterabs. 4 der UN-BRK noch Teil einer solchen18.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. e der UN-BRK. Danach sind von den Vertragsstaaten geeignete Schritte vorzunehmen, um für Menschen mit Behinderungen Beschäftigungsmöglichkeiten und beruflichen Aufstieg auf dem Arbeitsmarkt sowie die Unterstützung bei der Arbeitssuche, beim Erhalt und der Beibehaltung eines Arbeitsplatzes und beim beruflichen Wiedereinstieg zu fördern. Auch dabei geht es um konkrete materielle oder organisatorische Maßnahmen, nicht aber um abstrakte Verfahrens- bzw. Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung.

Ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht veranlasst. Die vorliegend maßgeblichen unionsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt19.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin gebietet auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur vorzeitigen Zurruhesetzung schwerbehinderter und gleichgestellter Beamter keine andere Auslegung.

Soweit das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 07.04.201120 ausgeführt hat, aus seiner bisherigen Rechtsprechung und den einschlägigen Gesetzestexten lasse sich entnehmen, dass der Dienstherr, sobald ihn der Beamte über seinen Gleichstellungsantrag unterrichte, vorsorglich die Schwerbehindertenvertretung anzuhören habe, handelt es sich lediglich um ein die Entscheidung nicht tragendes obiter dictum. Im Übrigen ist die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand mit der Umsetzung eines Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz nicht vergleichbar. Die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand kann als Verwaltungsakt anfechtbar sein, wenn die gebotene vorherige Anhörung der Schwerbehindertenvertretung unterblieben ist21. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei einer beamtenrechtlichen Umsetzung, die keinen Verwaltungsakt darstellt22, gerade nicht der Fall23. Auch arbeitsrechtlich führt ein Verstoß gegen die in § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX geregelte Verpflichtung, die Schwerbehindertenvertretung vor einer Umsetzung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers zu unterrichten und anzuhören, nicht zur individualrechtlichen Unwirksamkeit dieser Maßnahme24.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22. Januar 2020 – 7 ABR 18/18

  1. BAG 19.12.2018 – 7 ABR 80/16, Rn. 21; 14.03.2012 – 7 ABR 67/10, Rn.20 f.[]
  2. vgl. BAG 31.07.2014 – 2 AZR 434/13, Rn. 48; 10.04.2014 – 2 AZR 647/13, Rn. 39; 18.11.2008 – 9 AZR 643/07, Rn. 22; Greiner in Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben SGB IX 14. Aufl. § 151 Rn.20[]
  3. Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 177 Rn. 13; Düwell Wahl der Schwerbehindertenvertretung 2. Aufl. S. 45; Greiner in Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben SGB IX 14. Aufl. § 151 Rn. 21; vgl. zu § 24 Abs. 1 und Abs. 2 SchwbG BayVGH 1.07.1987 – 18 C 87.00852[]
  4. vgl. Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 177 Rn. 23; Pahlen in Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben SGB IX 14. Aufl. § 177 Rn. 3[]
  5. vgl. zur wortgleichen Vorgängerregelung in § 90 Abs. 2a SGB IX aF ausführlich BAG 1.03.2007 – 2 AZR 217/06, Rn. 29 ff., 37 ff., 43 ff., BAGE 121, 335[]
  6. vgl. zu § 90 Abs. 2a SGB IX aF: BAG 9.06.2011 – 2 AZR 703/09, Rn. 18; 29.11.2007 – 2 AZR 613/06, Rn. 15; 1.03.2007 – 2 AZR 217/06 – aaO[]
  7. vgl. BAG 28.06.2007 – 6 AZR 750/06, Rn. 48, BAGE 123, 191 zu § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF; 28.07.1983 – 2 AZR 122/82, BAGE 43, 210 zur entsprechenden Vorschrift im SchwbG; Pahlen in Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben SGB IX 14. Aufl. § 178 Rn. 9 mwN[]
  8. vgl. BAG 17.08.2010 – 9 ABR 83/09, Rn. 16 f., BAGE 135, 207 zu § 95 SGB IX aF[][]
  9. vgl. BAG 27.01.2011 – 8 AZR 580/09, Rn. 36; 3.04.2007 – 9 AZR 823/06, Rn. 23, BAGE 122, 54[]
  10. BAG 21.04.2016 – 8 AZR 402/14, Rn.20, BAGE 155, 61[]
  11. EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [HK Danmark, auch genannt „Ring, Skouboe Werge“] Rn. 28 ff.[]
  12. BAG 21.04.2016 – 8 AZR 402/14, Rn.20, aaO; 4.11.2015 – 7 ABR 62/13, Rn. 27, BAGE 153, 187; 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, Rn. 53, BAGE 147, 60[]
  13. EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [HK Danmark, auch genannt „Ring, Skouboe Werge“] Rn. 28 bis 32[]
  14. Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13.12.2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21.12.2008, BGBl. II S. 1419; vgl. BVerfG 10.10.2014 – 1 BvR 856/13, Rn. 6[]
  15. vgl. EuGH 11.09.2019 – C-397/18 – [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 64; 4.07.2013 – C-312/11; 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [HK Danmark, auch genannt „Ring, Skouboe Werge“] Rn. 49, 54, 55; BAG 21.04.2016 – 8 AZR 402/14, Rn. 22, BAGE 155, 61; 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, Rn. 52, BAGE 147, 60[]
  16. EuGH 11.09.2019 – C-397/18 – [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 65[]
  17. vgl. Wietfeld SAE 2017, 22, 24[]
  18. vgl. zum Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX aF BAG 21.04.2016 – 8 AZR 402/14, Rn. 25, BAGE 155, 61[]
  19. vgl. EuGH 11.09.2019 – C-397/18 – [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 64; 4.07.2013 – C-312/11; 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [HK Danmark, auch genannt „Ring, Skouboe Werge“] Rn. 49, 54, 55[]
  20. BAG 07.04.2011 – 2 B 79.10[]
  21. vgl. BVerwG 15.02.1990 – 1 WB 36.88 – BVerwGE 86, 244[]
  22. BVerwG 22.05.1980 – 2 C 30.78 – BVerwGE 60, 144[]
  23. BVerwG 10.07.1985 – 2 B 75.84, zu 1 der Gründe[]
  24. vgl. BAG 28.06.2007 – 6 AZR 750/06, Rn. 48, BAGE 123, 19 zu § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF[]