VBL-Versicherungspflicht

Die Koalitionsfreiheit als individuelles Freiheitsrecht ist nicht darauf gerichtet, Ansprüche des Einzelnen gegen eine Koalition auf veränderte, neue Leistungen oder bestimmte, bisher von ihr nicht angebotene Bedingungen einer Leistungserbringung zu begründen.

VBL-Versicherungspflicht

Auch ein marktbeherrschendes Versicherungsunternehmen muss sich beim Angebot von Gruppenversicherungsverträgen grundsätzlich nicht darauf verweisen lassen, für Arbeitgeber eine Versicherung bereitzustellen, aus der bestimmte Beschäftigte – etwa solche mit hohem Einkommen oder geringen Risiken – ausgenommen sind.

Die Abmeldung vorhandener und die Nichtanmeldung neuer Beschäftigter zur betrieblichen Altersversorgung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder stellt auch dann einen Vertragsverstoß der Arbeitgeberin (hier: eines zwischenzeitlich privatisierten Krankenhauses) dar, wenn diese (hier: mit dem Marburger Bund) einen Tarifvertrag abschließt, der sie zu einem solchen Verhalten verpflichtet.

Nach § 1 der Beteiligungsvereinbarung, der § 20 Abs. 1 Satz 3 VBLS umsetzt, ist die Arbeitgeberin verpflichtet, alle Arbeitnehmer bei der VBL zu versichern, die bei ihr zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vereinbarung am 1.04.1985 beschäftigt waren oder später bei ihr eintreten und die nach dem ATV zu versichern wären. Der Gebrauch des Konjunktivs „wären“ (statt „sind“) macht deutlich, dass diese Bestimmung nicht nur eine ohnehin schon geltende tarifvertragliche Pflicht wiederholt. Die Versicherungspflicht bei der VBL gilt vielmehr danach auch für solche Beschäftigte, auf die der ATV nicht anwendbar ist, die aber bei dessen unterstellter Geltung unter die Versicherungspflicht fielen und davon nicht nach den Regelungen des ATV ausgenommen wären1.

Diese Auslegung ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil sie der VBL eine Gestaltungsmacht einräumt, die ihr nicht zusteht. Es steht der VBL grundsätzlich frei, gegenüber ihren Beteiligten den Kreis der Beschäftigten festzulegen, die in die von ihr angebotene Gruppenversicherung einzubeziehen sind und die über die Einbeziehung in die Berechnung der Umlagen zur Finanzierung der Leistungen der VBL beitragen. Die VBL ist insbesondere nicht verpflichtet, die bei ihr bestehende Versicherungspflicht auf diejenigen Beschäftigten der Beteiligten zu beschränken, für die tatsächlich der ATV gilt.

Für die Zulässigkeit des Vorhabens der Arbeitgeberin, dem ärztlichen Personal über einen Tarifvertrag mit dem Marburger Bund eine Versorgungsalternative bereitzustellen, ohne die Beteiligung bei der VBL zu kündigen, beruft sich die Revision vergeblich auf die Regelungen des § 2 Abs. 3 ATV und des § 26 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c VBLS.

§ 2 Abs. 3 ATV verweist für Ausnahmen von der Versicherungspflicht auf die Anlage 2 zum ATV, deren Nr. 3 folgenden Wortlaut hat:

Von der Pflicht zur Versicherung sind Beschäftigte ausgenommen, die …

aufgrund Tarifvertrags, … von der Versicherungspflicht befreit worden sind, …

Eine wortgleiche Regelung enthält § 28 Abs. 2 VBLS in Verbindung mit Satz 1 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen zu dieser Vorschrift.

Für die Auslegung dieser Bestimmungen ist das Verständnis eines durchschnittlichen Beteiligten der VBL maßgeblich2. Es kann dahinstehen, ob danach wie das Berufungsgericht meint die Ausnahme nur Fälle erfasst, in denen auf ausdrücklichen Antrag des nach dem Tarifvertrag dem Grunde nach zu versichernden Arbeitnehmers eine Befreiung von der Versicherungspflicht ausgesprochen werden konnte bzw. kann3. Denn Anlage 2 Nr. 3 zum ATV und die gleichlautende Satzungsregelung sind im Streitfall schon nicht anwendbar, weil die Beschäftigten, die nach Absicht der Arbeitgeberin nicht mehr bei der VBL versichert werden sollen, nicht von der Versicherungspflicht befreit, sondern zwingend anderweitig versichert werden sollen. Der noch abzuschließende Tarifvertrag soll eine Pflicht zur Versicherung dieser Beschäftigten bei einer anderen Versorgungseinrichtung begründen, sofern sich diese Beschäftigten nicht für die Beibehaltung ihrer Zusatzversorgung bei der VBL entscheiden.

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Gegen dieses Verständnis wird vergeblich geltend gemacht, aus dem Sachzusammenhang der Ausnahmeregelung ergebe sich, dass mit Befreiung von der Versicherungspflicht allein die Pflicht zur Versicherung bei der VBL gemeint sei, von der dann aufgrund einer in einem anderen Tarifvertrag bereitgestellten Versorgungsmöglichkeit befreit werden könnte. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, ist die Ausnahmeregelung der Anlage 2 Nr. 3 im Zusammenhang mit der Umlagefinanzierung der Leistungen der VBL zu sehen, deren Absicherung die in § 20 Abs. 1 Satz 3 VBLS vorgesehene, umfassende Versicherungspflicht dient4. Die Beteiligten haben einen bestimmten Prozentsatz aus den Entgelten ihrer zu versichernden Arbeitnehmer als Umlage zu entrichten (§ 64 Abs. 1 VBLS). Der Umlagesatz ist einheitlich; Risikozuschläge werden nicht erhoben. Dieses solidarische Finanzierungssystem wäre erheblich gefährdet, wenn etwa Arbeitnehmer, deren Risiko versicherungstechnisch günstig bewertet wird oder für die besonders hohe Umlagen zu entrichten sind, durch Haustarifverträge für bestimmte Beschäftigungsgruppen von der Versicherungspflicht ausgenommen werden könnten.

Diese Auslegung würde zu dem unangemessenen, widersprüchlichen Ergebnis führen, dass § 20 Abs. 1 Satz 3 VBLS zwar zunächst eine Versicherungspflicht für alle Beschäftigten vorsähe, die bei Geltung des ATV zu versichern wären, § 28 Abs. 2 VBLS diese aber sogleich wieder entfallen ließe, sobald und soweit ein Beteiligter seinen Beschäftigten durch einen Haustarifvertrag eine andere Zusatzversorgung ermöglichte.

Auch aus § 26 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c VBLS ergibt sich nicht, dass die von dem geplanten Haustarifvertrag erfassten Beschäftigten von der Versicherungspflicht aus der Beteiligungsvereinbarung befreit wären.

Nach dieser Vorschrift setzt die Pflicht zur Versicherung eines Beschäftigten bei der Arbeitgeberin unter anderem voraus, dass die Versicherungspflicht aufgrund eines Tarifvertrags oder wenn keine Tarifgebundenheit gegeben ist aufgrund eines arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrags besteht. Wie im Fall der Nr. 3 der Anlage 2 zu § 2 Abs. 3 ATV kommt es auch in diesem Zusammenhang allein darauf an, ob für den Beschäftigten überhaupt nach (irgend) einem Tarifvertrag eine Pflicht zur Versicherung besteht. Wie das Berufungsgericht zutreffend bemerkt, besteht eine solche Pflicht zur Versicherung der Beschäftigten in einer betrieblichen Zusatzversorgung auch im Anwendungsbereich des von der Arbeitgeberin angestrebten Haustarifvertrags, wenn auch nicht zwingend bei der VBL. Dieses Auslegungsergebnis ergibt sich zudem hier ebenso wie bei der Anlage 2 Nr. 3 zu § 2 Abs. 3 ATV auch aus systematischen und teleologischen Gründen im Hinblick auf die Gewährleistung der Umlagefinanzierung der VBL.

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Eine Befugnis der Arbeitgeberin, nur mit ihrem ärztlichen Personal das Versorgungssystem der VBL zu verlassen, ergibt sich entgegen ihrem Vortrag in der Revisionsverhandlung auch weder aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung noch unter dem Aspekt eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Die Arbeitgeberin will eine von den Parteien unbedachte und unerwartete, wesentliche Änderung der Sachlage in dem Erstarken von Spartengewerkschaften wie des Marburger Bunds nach dem Ende der Tarifeinheit erkennen. Solche Veränderungen betreffen im Verhältnis der Parteien aber allein die Risikosphäre der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin hat sich darauf wie alle anderen Arbeitgeber einzustellen. Die Beteiligung der Arbeitgeberin bei der VBL als Zusatzversorgungseinrichtung für grundsätzlich alle Mitarbeiter verliert durch eine wachsende Bedeutung der Spartengewerkschaften auch nicht ihren Sinn. Weder die Finanzierung noch die Leistungen der VBL sind dadurch betroffen. Die Arbeitgeberin gerät durch diese Veränderungen ferner nicht in eine unverschuldete Pflichtenkollision, die nur durch ergänzende Vertragsauslegung oder Vertragsanpassung aufzulösen wäre. Denn Alterstarifverträge, die mit den für sie als Beteiligte der VBL geltenden Regelungen unvereinbar wären, hat sie bisher weder mit dem Marburger Bund noch mit der Gewerkschaft ver.di abgeschlossen. Sie ist auch nicht gezwungen, solche Verträge abzuschließen.

Die Einbeziehung der von dem geplanten Haustarifvertrag erfassten Beschäftigten in die Versicherungspflicht bei der VBL ist mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten negativen Koalitionsfreiheit vereinbar. Die Revision macht ohne Erfolg geltend, durch die beanstandete Auslegung werde der Arbeitgeberin der Abschluss eines Tarifvertrags mit dem Marburger Bund zwar nicht rechtlich, wohl aber faktisch unmöglich gemacht. Denn sie sei gezwungen, auch solche Arbeitnehmer bei der VBL zu versichern und versichert zu lassen, die aufgrund des geplanten Tarifvertrags mit dem Marburger Bund bei einer anderen Versorgungseinrichtung versichert werden müssten.

Durch § 20 Abs. 1 Satz 3 VBLS und § 1 der Beteiligungsvereinbarung wird die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte negative Koalitionsfreiheit nicht berührt. Die Koalitionsfreiheit umfasst als individuelles Freiheitsrecht auch das Recht des Einzelnen, einer Koalition fernzubleiben oder aus ihr auszutreten5. Der Arbeitgeberin steht es indes frei, ihre Mitgliedschaft bei der VBL gegen Zahlung eines angemessenen Gegenwerts für die bei der VBL verbleibenden Versorgungslasten insgesamt zu beenden (vgl. § 22 Abs. 1, § 23 Abs. 2 VBLS).

An einer Kündigung ihrer Beteiligung bei der VBL ist die Arbeitgeberin im vorliegenden Fall insbesondere nicht durch einen mit der Gewerkschaft ver.di abgeschlossenen Haustarifvertrag gehindert. Nach den getroffenen Feststellungen trat zwischen der Gewerkschaft ver.di und der D. AG, der damaligen Muttergesellschaft der Arbeitgeberin, zum 1.01.2007 ein Manteltarifvertrag in Kraft, der in § 26 eine zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung vorsieht. Deren Ausgestaltung soll indes in einem noch zu vereinbarenden gesonderten Tarifvertrag geregelt werden, der bis heute nicht abgeschlossen wurde. Entgegen dem Vortrag der Arbeitgeberin besteht danach für sie keine tarifvertragliche Verpflichtung, die Zusatzversorgung für die nichtärztlichen Beschäftigten konkret bei der VBL aufrechtzuerhalten.

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Die Arbeitgeberin macht auch nicht geltend, dass ihr der Austritt aus der VBL etwa durch deren Gegenwertregelung unzumutbar erschwert wird.

Im Gegenteil geht es ihr gerade darum, ihre Mitgliedschaft fortzusetzen, aber ihrem ärztlichen Personal aufgrund eines zusätzlichen Haustarifvertrags eine anderweitige Zusatzversorgung anzubieten. Die Arbeitgeberin will also ihre Mitgliedschaft zu anderen als den von der VBL angebotenen Bedingungen fortführen, nämlich künftig nur noch einen Teil und nicht mehr grundsätzlich alle Beschäftigten bei der VBL versichern. Damit begehrt sie ein verändertes Leistungsangebot der VBL. Die Koalitionsfreiheit als individuelles Freiheitsrecht ist jedoch von vornherein nicht darauf gerichtet, Ansprüche des Einzelnen gegen eine Koalition auf veränderte, neue Leistungen oder bestimmte, bisher von ihr nicht angebotene Bedingungen einer Leistungserbringung zu begründen.

Da es schon an einem Eingriff in die von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete negative Koalitionsfreiheit fehlt, kommt es auf die weiteren in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht und der Arbeitgeberin angestellten Erwägungen nicht an.

Die für die Arbeitgeberin als Beteiligte der Zusatzversorgung der VBL bestehende Pflicht, alle Beschäftigten bei der VBL zu versichern, die nach dem ATV zu versichern wären, verstößt auch nicht gegen Art. 101, 102 AEUV oder § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB.

Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die VBL im Zusammenhang mit der Berechnung von Gegenwertansprüchen gegen frühere Beteiligte ihrer Zusatzversorgung Unternehmen im Sinne des deutschen Kartellrechts ist6. Er hat dabei betont, dass diese Beurteilung mit der Auslegung des Unternehmensbegriffs durch den Gerichtshof der Europäischen Union übereinstimmt7. Sie gilt daher auch bei Anwendung der Art. 101, 102 AEUV. Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 3 VBLS ist ebenfalls eine Geschäftsbedingung für die von der VBL im Wettbewerb angebotene Versorgungsleistung, die wie im Fall „VBL-Gegenwert“ kartellrechtlicher Kontrolle unterliegt.

Anders als in dem vom Bundesgerichtshof am 12.11.2013 entschiedenen Fall handelt es sich vorliegend auch nicht um eine Satzungsregelung der VBL, die im Einzelnen auf tarifvertraglichen Regelungen beruht und bei der die VBL lediglich als Erfüllungsgehilfe der Tarifpartner handelt8.

Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 3 VBLS ist keine inhaltlich mit der tarifvertraglichen Regelung zum Geltungsbereich in § 1 ATV übereinstimmende Bestimmung. § 1 ATV erfasst nur diejenigen Beschäftigten eines Beteiligten der VBL, für die einer der in Anlage 1 zum ATV aufgeführten Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gilt. Demgegenüber bestimmt § 20 Abs. 1 Satz 3 VBLS, dass alle Arbeitnehmer zu versichern sind, die nach dem ATV zu versichern wären, wenn sie und ihr Arbeitgeber unter den Geltungsbereich des ATV fallen würden. Dadurch wird der Anwendungsbereich von § 20 Abs. 1 Satz 3 VBLS gegenüber § 1 ATV wie der vorliegende Fall zeigt entscheidend erweitert. Diese Satzungsbestimmung wurde aufgenommen, um die Finanzierung der Leistungen der VBL sicherzustellen4. § 20 Abs. 1 Satz 3 VBLS ist somit eine originäre Satzungsregelung ohne tarifrechtlichen Ursprung9.

Die in § 20 Abs. 1 Satz 3 VBLS und § 1 der Beteiligungsvereinbarung getroffene Regelung über die bei der Arbeitgeberin versicherungspflichtigen Beschäftigten der Beteiligten stellt selbst dann weder nach deutschem noch nach europäischem Kartellrecht einen Marktmachtmissbrauch dar, wenn zugunsten der Revision eine marktbeherrschende Stellung der VBL unterstellt wird.

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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch ein marktbeherrschendes Unternehmen nicht daran gehindert, seine geschäftliche Tätigkeit und seinen Absatz nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie es das für wirtschaftlich richtig und sinnvoll erachtet10. Es muss sich daher beim Angebot von Gruppenversicherungsverträgen grundsätzlich nicht darauf verweisen lassen, für Arbeitgeber eine Versicherung bereitzustellen, aus der bestimmte Beschäftigte etwa solche mit hohem Einkommen oder geringen Risiken ausgenommen sind.

Besondere Umstände, die ungeachtet der Vertriebsgestaltungsfreiheit der VBL ein solches Verhalten als unbillige Behinderung der Arbeitgeberin erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich. Die VBL missbraucht weder die Freiheit zur Gestaltung ihres Absatzsystems, noch führt ihr Verhalten zu einer Beschränkung des Wettbewerbs, die mit der auf Freiheit gerichteten Zielsetzung des Gesetzes unvereinbar ist11.

Die grundsätzlich umfassende Versicherungspflicht für alle Beschäftigten der Arbeitgeberin erweist sich insbesondere nicht deshalb als kartellrechtlich missbräuchlich, weil sie wie eine Gesamtbedarfsdeckungsklausel oder Alleinbezugspflicht wirkt.

Die umfassende Versicherungspflicht ist zwar ein Wettbewerbsverbot im Sinne von Art. 1 Buchst. d)) der Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 330/2010 der Kommission für Vertikalvereinbarungen (Vertikal-GVO), die gemäß § 2 Abs. 2 GWB bei der Anwendung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen entsprechend gilt. Denn die Verpflichtung, grundsätzlich alle Mitarbeiter bei der VBL zu versichern, veranlasst die Arbeitgeberin, keine entsprechenden Versicherungsdienstleistungen bei Wettbewerbern der VBL zu beziehen. Auch wenn die Arbeitgeberin rechtlich nicht daran gehindert ist, für ihre Mitarbeiter zusätzlich eine weitere Rentenversicherung bei einem anderen Anbieter abzuschließen, handelt es sich dabei doch kaum um eine realistische Möglichkeit. Das Beteiligungsverhältnis bei der VBL wird auch unbefristet, also für eine unbestimmte Dauer, eingegangen, so dass die umfassende Versicherungspflicht nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a)) Vertikal-GVO nicht von der Gruppenfreistellung des Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO erfasst wird.

Eine Freistellung ist jedoch nur erforderlich, wenn eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV oder § 1 GWB vorliegt (vgl. Art. 2 Abs. 1 und Erwägungsgrund 4 Vertikal-GVO; Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl.2010 C 130/1, Rn. 132 ff., 144; Seeliger in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl., § 10 Rn. 59). Insoweit ist bereits fraglich, ob jederzeit mit kurzer Frist kündbare Verträge über den ausschließlichen Bezug bestimmter Dienstleistungen bei einem Anbieter überhaupt als Wettbewerbsbeschränkung anzusehen sind12. Jedenfalls ist das aber nicht der Fall, wenn aufgrund von Besonderheiten der in Rede stehenden Verträge mit ihnen keine erhebliche marktabschottende Wirkung verbunden ist13. So liegt es auch bei Berücksichtigung einer unterstellt marktbeherrschenden Stellung der VBL hier.

Das Beteiligungsverhältnis bei der VBL kann gemäß § 22 Abs. 1 VBLS mit einer Frist von sechs Monaten zum Schluss jedes Kalenderjahres und damit unter Berücksichtigung des Versorgungscharakters einer Zusatzrentenversicherung kurzfristig gekündigt werden. Ob die Arbeitgeberin gemäß § 11 Abs. 3, § 18 VVG weitergehend berechtigt wäre, ihre Beteiligung mit einer Frist von nur drei Monaten zum Schluss jedes Kalenderjahres zu kündigen, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung14. Wie in dem vom Gerichtshof der Europäischen Union entschiedenen Fall15 bietet die jährliche Kündigungsmöglichkeit auch im Streitfall einen angemessenen Schutz der wirtschaftlichen und rechtlichen Belange beider Vertragsparteien; sie setzt der durch den Beteiligungsvertrag allenfalls hervorgerufenen Beschränkung des Wettbewerbs enge Grenzen. Bei Rentenversicherungen liegt unabhängig von der Art ihrer Finanzierung aus der Natur der Sache eine unbefristete Laufzeit zumindest nahe. Im Fall der Kapitaldeckung folgt regelmäßig auf eine längere Anspar- eine kürzere Auszahlungsphase. Bei einer Umlagefinanzierung erwirbt der versicherte Beschäftigte ebenfalls den Anspruch auf die Rente durch langfristige Zahlungen während des Arbeitslebens („Generationenvertrag“). Bei solchen Rentenversicherungsverträgen liegt es eher fern, eine bestimmte, kürzere feste Laufzeit etwa ein Jahr mit jeweiliger Verlängerung um ein weiteres Jahr im Fall der Nichtkündigung vorzusehen (vgl. § 11 Abs. 1 VVG). Die Kündigungsregelung bei der VBL ist unter diesen Umständen kartellrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden16.

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Soweit die bei der VBL bestehende umfassende Versicherungspflicht nicht wettbewerbsbeschränkend und deshalb mit § 1 GWB vereinbar ist, scheidet unter dem Aspekt der Ausschließlichkeitsbindung auch eine unbillige Behinderung der Arbeitgeberin nach § 19 GWB aus.

Die Arbeitgeberin macht nicht substantiiert geltend, dass ihr ein Wechsel zu einer anderen Zusatzversorgungseinrichtung lediglich zu unzumutbaren Bedingungen möglich ist. Bei einem Wechsel hat sie insbesondere nur den angemessenen Gegenwert für die Versorgungslasten zu zahlen, die im Fall einer Beendigung der Beteiligung für ihre Mitarbeiter bei der VBL verbleiben17. Für einen Konditionenmissbrauch der VBL besteht daher kein Anhaltspunkt.

Eine unbillige Behinderung der Arbeitgeberin im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB kommt auch unter dem Aspekt der Beeinträchtigung ihrer Chancen im Wettbewerb mit anderen Kliniken nicht in Betracht. Die Arbeitgeberin hat dazu keinen substantiierten Vortrag gehalten. Insbesondere ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich, dass sie ernsthafte wirtschaftliche Nachteile zu befürchten hätte, wenn ihr die Möglichkeit verschlossen bleibt, nur für das ärztliche Personal eine Zusatzversorgung über den Marburger Bund anzubieten und zugleich für die übrigen Beschäftigten eine Versorgung bei der VBL sicherzustellen.

Ungeachtet der Frage seiner Anwendbarkeit im Streitfall18 stellt auch das Unionsrecht keine schärferen Anforderungen an die kartellrechtliche Zulässigkeit der umfassenden Versicherungspflicht. Vielmehr entspricht das deutsche Kartellrecht im vorliegenden Zusammenhang vollständig dem Unionsrecht.

Die Frage, ob die Arbeitgeberin ihre Beteiligung bei der VBL gegen Zahlung des angemessenen anteiligen Gegenwerts für solche Beschäftigte (teil)kündigen könnte, für die sie sich tarifvertraglich zum Angebot einer anderen Zusatzversorgung verpflichtet hat, ist nicht Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren. Die Arbeitgeberin will ein fehlendes Kündigungsrecht der VBL für den Fall festgestellt wissen, dass sie bei bestehendem Beteiligungsverhältnis Beschäftigte anderweitig versichert, sie begehrt aber nicht die Feststellung, den Gruppenversicherungsvertrag bei der VBL allein für das ärztliche Personal kündigen zu dürfen. Die Arbeitgeberin hat auch weder eine Gegenwertzahlung angeboten, noch ist eine solche Zahlung von den gestellten Anträgen umfasst. Die Teilkündigung bei Zahlung eines angemessenen Gegenwerts stellt damit im Verhältnis zu dem hauptsächlich gestellten Feststellungsantrag kein Minus, sondern ein Aliud dar.

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Im Übrigen gilt im Fall der Teilkündigung mit Gegenwertzahlung als Ausgangspunkt der Bewertung ebenfalls der Grundsatz, dass sich auch ein marktbeherrschendes Unternehmen beim Angebot von Gruppenversicherungsverträgen nicht darauf verweisen lassen muss, für Arbeitgeber eine Versicherung bereitzustellen, aus der bestimmte Beschäftigte etwa solche mit hohem Einkommen oder geringen Risiken ausgenommen sind.

Verstößt die Arbeitgeberin durch anderweitige Versicherung des ärztlichen Personals gegen § 1 der Beteiligungsvereinbarung, so berechtigt dies die VBL zur fristlosen Kündigung nach § 22 Abs. 3 Satz 1 Buchst. d)) VBLS. Denn im Hinblick auf die Bedeutung der Versicherungspflicht für das umlagefinanzierte Beitragssystem und die wirtschaftliche Bedeutung gerade des ärztlichen Personals in diesem Zusammenhang würde es sich dabei um einen gravierenden Pflichtverstoß handeln, der der VBL die Fortsetzung des Dauerschuldverhältnisses mit der Arbeitgeberin unzumutbar machen würde.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 8. April 2014 – KZR 53/12

  1. vgl. Weiß/Schneider in Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Stand Dez.2003, § 20 Rn. 2[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 10.10.2012 – IV ZR 10/11, BGHZ 195, 93 Rn. 40; Urteil vom 23.06.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85[]
  3. in diesem Sinne Kiefer/Langenbrinck/Kulok, Betriebliche Altersversorgung im öffentlichen Dienst, Stand Juli 2013, § 2 ATV Rn.20[]
  4. vgl. Weiß/Schneider in Gilbert/Hesse, aaO § 20 Rn. 2[][]
  5. vgl. BVerfG (Kammer), DB 2000, 1772; BVerfGE 116, 202, 218[]
  6. BGH, Urteil vom 06.11.2013 KZR 58/11, BGHZ 199, 1 Rn. 38 VBL-Gegenwert[]
  7. aaO Rn. 51, 53 bis 58[]
  8. vgl. BGH, Beschluss vom 12.11.2013 KZR 19/12[]
  9. vgl. BGHZ 195, 93 Rn. 14 bis 24 zu § 23 VBLS[]
  10. vgl. etwa BGH, Urteil vom 17.03.1998 KZR 30/96, WuW/E DE-R 134, 136 Bahnhofsbuchhandel; Urteil vom 31.01.2012 KZR 65/10, WuW/E DE-R 3549 Rn. 29[]
  11. vgl. BGH, WuW/E DE-R 3549 Rn. 30[]
  12. verneinend OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 2947, 2951; Bechtold, GWB, 7. Aufl., § 1 Rn. 73[]
  13. vgl. Zimmer in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 1 Rn. 376 aE unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 07.12 2000 C214/99, Slg. 2000, I11121 Rn. 35 f. = WuW/E EU-R 381 Neste[]
  14. vgl. zur Anwendbarkeit des Versicherungsvertragsgesetzes auf die Zusatzversorgung der VBL BGH, Beschluss vom 09.03.1994 – IV ZR 283/92, VersR 1994, 711[]
  15. EuGH, WuW/E EU-R 381, Rn. 35 f. Neste[]
  16. zur Frage der Teilkündigung vgl. u. Rn. 47 f.[]
  17. vgl. BGHZ 195, 93 Rn. 42 ff.[]
  18. vgl. BGHZ 199, 1 Rn. 40 VBL-Gegenwert[]