Die Abfindung als Zusammenballung von Einkünften – die notwendige Vergleichsrechnung

Bei der Prüfung, ob eine Abfindung zu einer Zusammenballung von Einkünften geführt hat, sind die real verwirklichten Einkünfte mit den fiktiven Einkünfte zu vergleichen, die der Steuerpflichtige in dem Streitjahr erzielt hätte, wenn das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden wäre.

Die Abfindung als Zusammenballung von Einkünften – die notwendige Vergleichsrechnung

Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen, der sich nach dem Berechnungsschema in § 34 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 EStG richtet. Zu den außerordentlichen Einkünften gehören auch die Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG (§ 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Bei der im Rahmen eines Kündigungsvergleichs gezahlten Abfindung handelt es sich um eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG handelt, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden ist.

Voraussetzung für eine Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen ist, dass die bisherige Grundlage für den Erfüllungsanspruch weggefallen ist und der an die Stelle der bisherigen Einnahmen getretene Ersatzanspruch auf einer neuen Rechts – oder Billigkeitsgrundlage beruht1.

Weitere Voraussetzung ist, dass die Leistung als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden ist (als „Entschädigung“). Der Steuerpflichtige muss einen Schaden durch den Wegfall von Einnahmen erlitten haben und die Zahlung muss dazu bestimmt sein, diesen Schaden auszugleichen2.

Auch diese Voraussetzung ist bei einem Abfindungsvergleich anlässlich der Kündigung eines Arbeitsvertrages erfüllt. Die Abfindung ist vereinbart worden, weil sich die Parteien auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geeinigt haben, aus dem der Arbeitnehmer zukünftig Einnahmen hätte erzielen können, die nunmehr weggefallen sind. Die Abfindung diente dazu, den Schaden auszugleichen, den der Arbeitnehmer aus dem Wegfall zukünftiger Einnahmen aus dem Arbeitsverhältnis erlitten hat. Sie trat an die Stelle der zukünftig wegfallenden Einnahmen.

Schließlich setzt eine Entschädigung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nach der Rechtsprechung voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst worden ist oder, wenn er von dem Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand. Eine Steuerermäßigung soll nur gerechtfertigt sein, wenn sich der Steuerpflichtige dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen konnte3.

Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 29.02.20124 wird der tatsächlicher Druck bereits bejaht, wenn der Arbeitnehmer unter Aufgabe seiner ursprünglichen Zielsetzung zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten auf ein Angebot des Arbeitgebers eingeht. Begründet wird diese Rechtsprechung damit, dass es nicht dem Zweck des von der Rechtsprechung entwickelten Merkmals der Zwangssituation entspreche, wenn bei einer gütlichen Einigung einer konfligierenden Interessenlage ein tatsächlicher Druck verneint werde. Das Steuerrecht würde ansonsten die Parteien dazu anhalten, einen an sich vermeidbaren Rechtsstreit zu führen oder – wie hier – weiter zu führen. Es reicht deshalb aus, wenn der Steuerpflichtige sich dem Ansinnen des Arbeitgebers nicht mehr widersetzt, sondern nachgibt5.

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Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitnehmer sein mit der Kündigungsschutzklage verfolgtes Ziel, das Arbeitsverhältnis fortzuführen, aufgegeben und stattdessen das Vergleichsangebot einer Abfindung angenommen. Damit hatte er sich dem Ansinnen des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu beenden, nicht mehr widersetzt, sondern der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zugestimmt. Dies geschah aufgrund eines tatsächlichen Drucks, weil der Arbeitnehmer die Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber beenden wollte. Die erforderliche Zwangssituation lag vor.

Zusammenballung von Einkünften infolge der Abfindungszahlung

Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Entschädigung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nur dann gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG in Verbindung mit § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG tarifbegünstigt, wenn sie zu einer Zusammenballung von Einkünften innerhalb eines Veranlagungszeitraums führt6. Denn außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 1 EStG sind nur solche, deren Zufluss in einem Veranlagungszeitraum zu einer für den Steuerpflichtigen im Vergleich zu seiner regelmäßigen Besteuerung einmaligen und außergewöhnlichen Progressionsbelastung führen7. Die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG bezweckt, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung der Entschädigung ergeben8.

Nach einer früher gängigen Formulierung in der Rechtsprechung waren Entschädigungszahlungen dann außerordentliche Einkünfte, wenn sie für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich beim normalen Lauf der Dinge, nämlich bei Fortsetzung des Dienstverhältnisses, auf mehrere Jahre verteilen, in einem Veranlagungszeitraum gezahlt wurden oder wenn sie die Einnahmen nur eines Jahres ersetzten, sofern sie im Jahr der Zahlung mit weiteren Einkünften zusammen fielen und der Steuerpflichtige im Jahr der entgangenen Einnahmen keine weiteren nennenswerten Einnahmen gehabt hatte9.

Mit Urteil vom 04.03.199810 präzisierte der Bundesfinanzhof diese Rechtsprechung. Es kommt nicht darauf an, ob die Entschädigung entgehende Einnahmen mehrerer Jahre abdecken soll. Maßgeblich ist nur, ob der Steuerpflichtige infolge der Entschädigung in einem Veranlagungszeitraum mehr erhält, als er beim normalen Ablauf der Dinge erhalten hätte. Erhält der Steuerpflichtige weniger oder ebenso viel, wie er bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte, besteht für eine Milderung kein Anlass. Entscheidend ist allein die über die bisherigen Bezüge hinausgehende entschädigungsbedingte Erhöhung der Einkünfte innerhalb des Veranlagungszeitraums. Ist das gegeben, liegt eine Zusammenballung von Einkünften im Sinne des § 34 Abs. 1 EStG vor11.

Maßgebend für die Vergleichsbetrachtung sind die Einkünfte, die sich bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses voraussichtlich ergeben hätten12. Für die Prognose, wie hoch die Einkünfte voraussichtlich gewesen wären, orientiert sich der BFH an den Einkünften der Vorjahre10. Letztlich sind aber immer die Verhältnisse des Einzelfalls entscheidend.

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So hat der Bundesfinanzhof den Vergleich der Einkünfte im Entschädigungsjahr mit dem Durchschnittsgehalt aus mehreren Vorjahren als fragwürdig angesehen, wenn das Gehalt kurz vor dem Veranlagungszeitraum erheblich erhöht worden ist. In solchen Fällen sei davon auszugehen, dass das einmal vereinbarte Gehalt auch in Zukunft weitergezahlt werde, so dass das erhöhte Gehalt zugrunde zu legen sei13.

Auch hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass eine Änderungskündigung, die kurz vor dem streitigen Veranlagungszeitraum stattfand und zu einer Reduzierung des Gehalts führte, bei der Prognose der Einkünfte, die bei einem ungestörten Fortgang des Arbeitsverhältnisses entstanden wären, zu berücksichtigen sei14.

Allgemein führte der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 27.01.201015 aus, dass für die hypothetische und prognostische Schätzung der Einkünfte für den fiktiven Fall einer ungestörten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (also beim normalen Ablauf der Dinge) grundsätzlich die Verhältnisse des Vorjahres maßgeblich seien. Dies gelte aber nur, solange die Verhältnisse des Vorjahres auch diejenigen des Folgejahres mit großer Wahrscheinlichkeit abbilden würden. Wenn dies nicht der Fall sei, weil das Vorjahr durch außergewöhnliche Ereignisse geprägt sei, müsse dies bei der Prognose berücksichtigt werden16

Das Bundesministerium der Finanzen hat sich dieser Rechtsprechung in seinem Schreiben vom 24.05.200417 angeschlossen. Zwar stellte das Bundesfinanzministerium in diesem Schreiben für die Vergleichsberechnung generell auf das Vorjahr ab. Dies wurde aber mit dem BMF-Schreiben vom 17.01.201118 dahingehend modifiziert, dass zwar grundsätzlich auf das Vorjahr abzustellen sei, dass dies aber nicht gelte, wenn die Einnahmesituation durch außergewöhnliche Ereignisse geprägt sei. In dem ganz neuen BMF-Schreiben vom 01.11.201319 werden diese Grundsätze wiederholt.

Dabei braucht eine Krankheit des Arbeitnehmers bei der Prognose nicht berücksichtigt werden, so dass deshalb nicht auf die Einkünfte aus den Jahren vor der Erkrankung abgestellt werden muss.

Die gegenteilige Ansicht leitet ihre Rechtsauffassung aus der Formulierung des Bundesfinanzhof ab, dass für die Vergleichsberechnung die Verhältnisse bei einer „ungestörten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses“ also beim „normalen Ablauf der Dinge“ maßgeblich seien. Nach dieser Ansicht ist die Dauererkrankung des Arbeitnehmers kein „normaler Ablauf der Dinge“ sondern ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 27.01.2010[/post}20, der für die Vergleichsberechnung unberücksichtigt bleiben muss.

Insoweit verkennt diese Ansicht nach Auffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts den Sinnzusammenhang, in dem der Bundesfinanzhof diese Formulierungen benutzt hat. Es ging dem Bundesfinanzhof um den Vergleich zwischen den tatsächlich erzielten Einkünften einschließlich der Entschädigung und den hypothetisch in dem Streitjahr erzielten Einkünften für den fiktiven Fall, dass das Arbeitsverhältnis fortgesetzt worden wäre. Da das Arbeitsverhältnis tatsächlich nicht fortgeführt worden ist, können die Einkünfte nicht ermittelt sondern nur geschätzt werden. Ausgangspunkt einer solchen Betrachtung ist natürlich grundsätzlich das Vorjahr, weil eine relativ große Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die im Vorjahr verwirklichten Einkünfte auch im Streitjahr verwirklicht worden wären. Sind in dem Vorjahr allerdings Besonderheiten vorhanden gewesen, die im Streitjahr voraussichtlich nicht mehr verwirklicht worden wären, dürfen diese Besonderheiten nicht unbesehen auf das Streitjahr übertragen werden. Das ist damit gemeint, wenn der Bundesfinanzhof von der „ungestörten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses“ und dem „normalen Ablauf der Dinge“ spricht. Richtschnur für die Schätzung der Einkünfte müssen immer die wahrscheinlichen tatsächlichen Verhältnisse im Streitjahr – allerdings unter Ausblendung der Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis beendet wurde – sein.

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Deshalb führte der Bundesfinanzhof für einen Fall, in dem der Steuerpflichtige nur ein Festgehalt ohne variablen Anteil bezog, aus, dass die Einkünfte für den fiktiven Fall der Fortführung des Arbeitsverhältnisses im Abfindungsjahr sogar ohne Prognose konkret feststellbar seien14. Je konkreter die Schätzung der Einkünfte die tatsächlichen Umstände des Abfindungsjahres (nur unter Hinwegdenken der Auflösung des Arbeitsverhältnisses) berücksichtigt, umso genauer kann die Vergleichsbetrachtung zwischen tatsächlich verwirklichtem Sachverhalt (reduzierte Einkünfte zzgl. Entschädigung) und fiktivem Sachverhalt (Einkünfte unter Fortführung des Arbeitsverhältnisses) vorgenommen werden21.

Eine solche Sichtweise ergibt sich auch aus dem Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 01.12.200922. Während das Finanzamt im Rahmen der Vergleichsbetrachtung bei den real verwirklichten Einkünften (einschließlich der Abfindung) einen erstmals in dem Streitjahr erzielten Verlust aus Gewerbebetrieb erfasste, ließ es diesen Verlust bei der Prognose der (unter Hinwegdenken der Auflösung des Arbeitsverhältnisses) voraussichtlich erzielten Einkünfte weg, mit der Folge, dass keine Zusammenballung vorlag. Als Begründung führte das Finanzamt damals an, dass der Verlust aus Gewerbebetrieb nicht entstanden wäre, wenn das Arbeitsverhältnis fortgeführt worden wäre. Das Finanzgericht sah dagegen keinen inneren Zusammenhang zwischen der (hinzugedachten) Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und dem entstandenen Verlust aus Gewerbebetrieb und bezog den Verlust in die prognostizierten Einkünfte mit dem Ergebnis ein, dass es eine Zusammenballung bejahte. Das Gericht versuchte in dem damaligen Fall, die Prognose der Einkünfte (unter Hinwegdenken der Auflösung des Arbeitsverhältnisses) so realitätsgerecht wie möglich zu erstellen.

Im hier zu beurteilenden Fall war es nicht wahrscheinlich, dass der Arbeitnehmer im Streitjahr 2012 wieder arbeitsfähig werden würde und dass er wieder Einkünfte in einer Größenordnung erzielen würde, die er vor der Erkrankung erzielt hatte. Schon die Länge der Erkrankung sprach gegen eine solche Prognose. Es sind in den Akten auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich der Arbeitnehmer auf dem Wege der Genesung befand. Der Beklagte hat ebenfalls keine entsprechenden Indizien vorgetragen. Die tatsächliche Entwicklung im Jahr 2012 zeigt, dass die Prognose, dass der Arbeitnehmer bei Fortführung des Arbeitsverhältnisses wieder die Einkünfte hätte erzielen können, die er in den Jahren vor der Erkrankung erzielt habe, an der Lebenswirklichkeit vorbei ging. Der Arbeitnehmer war die ersten drei Monate des Jahres 2012 – ebenso wie das gesamte Jahr 2011 – krankgeschrieben. Danach erhielt er eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Die Annahme des Beklagten, dass der Arbeitnehmer ohne die Kündigung durch den Arbeitgeber die früheren Einkünfte hätte erzielen können, war vor diesem Hintergrund ersichtlich realitätsfern.

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Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhof kann nicht so verstanden werden, dass die „ungestörte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses“ als eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ohne Krankheit anzusehen wäre. Das von dem BFH als „Störung des Arbeitsverhältnisses“ bezeichnete Ereignis bezieht sich auf die Ursache, die zu den weggefallenen oder wegfallenden Einnahmen im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG führt. Es handelt sich dabei regelmäßig um die Kündigung, die Änderungskündigung, den Aufhebungs – oder den Änderungsvertrag, mit dem das Arbeitsverhältnis entweder aufgelöst oder wesentlich geändert wird. Die anzustellende Prognose bezieht sich auf das Arbeitsverhältnis, wie es ohne dieses Ereignis weitergeführt worden wäre23 bei Es sind die tatsächlich verwirklichten Einkünfte (einschließlich der Entschädigung) mit dem hypothetischen Fall zu vergleichen, dass das Arbeitsverhältnis in seiner konkreten Ausgestaltung fortgeführt worden wäre. Dazu gehört in dem vorliegenden Fall auch der Umstand, dass der Arbeitnehmer bereits über einen längeren Zeitraum erkrankt war und seine Arbeitsleistung nicht mehr erbringen konnte. Dazu gehört auch, dass der Arbeitgeber bereits im Jahr 2011 keinen Arbeitslohn mehr gezahlt hatte und dies voraussichtlich auch im Streitjahr nicht getan hätte, weil der Arbeitnehmer weiterhin krank gewesen wäre.

Der vom Finanzamt vorgenommene Vergleich zwischen den tatsächlich verwirklichten Einkünften (einschließlich der Entschädigung) mit den erzielbaren Einkünften des Arbeitnehmers für den Fall seiner Gesundung legt einen „doppelt“ hypothetischen Fall zugrunde. Es wird nicht nur die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sondern außerdem auch noch die Krankheit des Arbeitnehmers hinweggedacht. Dafür gibt es aber keinen Grund. Denn eine ermäßigte Besteuerung im Sinne des § 34 Abs. 1 EStG ist immer schon dann gerechtfertigt, wenn die tatsächlich verwirklichten Einkünfte (einschließlich der Entschädigung) höher sind, als die Einkünfte, die der Arbeitnehmer ohne die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erzielt hätte. Dagegen ist es für die Tarifbegünstigung nicht erforderlich, dass die tatsächlich verwirklichten Einkünfte (einschließlich der Entschädigung) sogar höher sind als die Einkünfte, die der Steuerpflichtige unter optimalen Bedingungen (d.h. ohne die tatsächlich vorliegende Erkrankung) erzielen könnte.

Dieses Verständnis der BFH -Rechtsprechung ist auch deshalb erforderlich, weil die Höhe der Abfindung auch daran ausgerichtet worden sein dürfte, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Arbeitnehmer zeitnah wieder arbeitsfähig werden würde, gering war. Wenn aber bei der Höhe der Abfindung die Krankheit des Arbeitnehmers berücksichtigt worden ist, kann die Krankheit bei der Vergleichsbetrachtung nicht außen vor gelassen werden. Ansonsten wären die Vergleichsmaßstäbe nicht stimmig.

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Die Vergleichsberechnung ist bei den bisherigen Überlegungen nur zwischen den real verwirklichten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und den hypothetisch verwirklichten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bei fiktiver Fortführung des Arbeitsverhältnisses angestellt worden. Fraglich ist, ob außerdem die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Lohnersatzleistungen in die Vergleichsberechnung einzubeziehen sind.

Zwar hat der BFH in seinem Urteil vom 02.09.199224 entschieden, dass steuerbefreite Einkünfte bei der Entscheidung, ob die Entschädigung zusammengeballt zugeflossen sei, nicht zu berücksichtigen seien. In dem damaligen Fall ging es aber um die Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 9 EStG a.F. Angesichts der Progressionswirkung der nach § 3 Nr. 2 EStG steuerbefreiten Lohnersatzleistungen (§ 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b EStG) dürfte die von dem BFH getroffene Aussage auf das Krankengeld, Übergangsgeld und Arbeitslosengeld nicht übertragbar sein. Dementsprechend sieht das Beispiel 3 in der Anmerkung III.2.2. des BMF-Schreibens vom 24.05.200425 eine Berücksichtigung des Arbeitslosengeldes vor26. Nach dem neuen BMF-Schreiben vom 01.11.201327 werden die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Lohnersatzleistungen ebenfalls in die Vergleichsberechnung einbezogen28.

Die Frage kann in dem hier entschiedenen Verfahren jedoch letztlich offen bleiben. Dem Arbeitnehmer flossen im Streitjahr Krankengeld und Arbeitslosengeld zu. Dieser Betrag wurde im Rahmen des Progressionsvorbehalts in der Veranlagung erfasst. Wenn diese Leistungen bei der Vergleichsbetrachtung berücksichtigt werden würden, würde die Zusammenballung der Einkünfte nur noch deutlicher zu Tage treten. Denn bei der fiktiven Berechnung der Einkünfte unter der Prämisse der Fortführung des Arbeitsverhältnisses müsste das Arbeitslosengeld unberücksichtigt bleiben. Wenn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses hinweggedacht wird, wäre der Arbeitnehmer im Streitjahr nicht arbeitslos gewesen sondern hätte das Arbeitsverhältnis (fiktiv) fortgesetzt.

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 12. November 2013 – 13 K 199/13

  1. BFH, Urteil vom 10.09.1998 – IV R 19/96, BFH/NV 1999, 308; BFH, Urteil vom 09.07.2002 – IX R 29/98, BFH/NV 2003, 21; BFH, Urteil vom 10.09.2003 – XI R 9/02, BStBl II 2004, 349[]
  2. BFH, Urteil vom 09.07.2002 – IX R 29/98, BFH/NV 2003, 21; BFH, Urteil vom 11.01.2005 – IX R 67/02, BFH/NV 2005, 1044; BFH, Urteil vom 29.02.2012 – IX R 28/11, BStBl II 2012, 569[]
  3. BFH, Urteil vom 27.07.2004 – IX R 64/01, BFH/NV 2005, 191; BFH, Urteil vom 11.01.2005 – IX R 67/02, BFH/NV 2005, 1044; BFH, Urteil vom 29.02.2012 – IX R 28/11, BStBl II 2012, 569[]
  4. BFH, Urteil vom 29.02.2012 – IX R 28/11, BStBl II 2012, 569[]
  5. vgl. auch BFH, Urteil vom 20.10.1978 – VI R 107/77, BStBl II 1979, 176; BFH, Urteil vom 06.03.2002 – XI R 51/00, BStBl II 2002, 516[]
  6. vgl. nur BFH, Urteil vom 04.03.1998 – XI R 46/97, BStBl II 1998, 787; BFH, Urteil vom 24.10.2007 – XI R 33/06, BFH/NV 2008, 361; BFH, Urteil vom 09.10.2008 – IX R 85/07, BFH/NV 2009, 558[]
  7. BFH, Urteil vom 26.01.2011 – IX R 20/10, BStBl II 2012, 659[]
  8. BFH, Urteil vom 21.06.1990 – X R 45/86, BFH/NV 1991, 88; BFH, Urteil vom 06.09.1995 – XI R 71/94, BFH/NV 1996, 204; BFH, Urteil vom 16.07.1997 – XI R 13/97, BStBl II 1997, 753[]
  9. BFH, Urteil vom 16.03.1993 – XI R 10/92, BStBl II 1993, 497; BFH, Urteil vom 21.04.1993 – XI R 67/92, BFH/NV 1994, 224; BFH, Urteil vom 06.09.1995 – XI R 71/94, BFH/NV 1996, 204; BFH, Urteil vom 16.07.1997 – XI R 13/97, BStBl II 1997, 753[]
  10. BFH, Urteil vom 04.03.1998 – XI R 46/97, BStBl II 1998, 787[][]
  11. ebenso: BFH, Beschluss vom 26.01.2006 – XI B 54/05, BFH/NV 2006, 937; BFH, Urteil vom 24.10.2007 – XI R 33/06, BFH/NV 2008, 361; BFH, Urteil vom 09.10.2008 – XI R 85/07, BFH/NV 2009, 558; BFH, Urteil vom 27.01.2010 – IX R 31/09, BStBl II 2011, 28[]
  12. BFH, Beschluss vom 26.01.2006 – XI B 54/05, BFH/NV 2006, 937[]
  13. BFH, Urteil vom 24.10.2007 – XI R 33/06, BFH/NV 2008, 361[]
  14. BFH, Urteil vom 09.10.2008 – IX R 85/07, BFH/NV 2009, 558[][]
  15. BFH Urteil vom 27.01.2010 – IX R 31/09, BStBl II 2010, 28[]
  16. ebenso: FG Nürnberg, Urteil vom 15.05.2013 – 3 K 947/12[]
  17. BMF, Schreiben vom 24.05.2004, BStBl I 2004, 505; Anmerkung III. 1. und 2.[]
  18. BMF, Schreiben vom 17.01.2011, BStBl I 2011, 39[]
  19. BMF, Schreiben vom 01.11.2013 – IV C 4 – S 2290/13/10002, Tz. 11 Satz 6[]
  20. BFH, Urteil vom 27.01.2010 – IX R 31/09, BStBl II 2011, 28[]
  21. vgl. auch Schmidt/Wacker, Einkommensteuergesetz, 32. Auflage, § 34 Rz. 17: „dabei kommt es in der Regel nur auf die Lohneinkünfte des betreffenden Jahres und nicht des Vorjahres an.“[]
  22. Thür. FG, Urteil vom 01.12.2009 – 3 K 965/08, EFG 2010, 1789[]
  23. vgl. BFH, Urteil vom 09.10.2008 – IX R 85/07, BFH/NV 2009, 558, Tz. 14[]
  24. BFH, Urteil vom 02.09.1992 – XI R 44/91, BStBl II 1993, 52[]
  25. BMF, Scheiben vom 24.05.2004 – BStBl I 2004, 505[]
  26. anders jedoch FG Nürnberg, Urteil vom 15.05.2013 – 3 K 947/12, in dem das Arbeitslosengeld nicht in die Vergleichsberechnung einbezogen wurde[]
  27. BMF, Schreiben vom 01.11.2013 – IV C 4 – S 2290/13/10002, Tz. 11 Satz 11 und Beispiel 2 bis 4[]
  28. vgl. auch Thür. FG, Urteil vom 01.12 2009 – 3 K 965/08, EFG 2010, 1789[]
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