Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG).

Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen.
Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind1.
Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit2. Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war3. Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs im Allgemeinen bei einem Zivilprozess4. Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen5.
Dagegen nahm der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 12.05.20116 die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine.
Der Bundesfinanzhof hält an seiner in diesem Urteil vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18.06.20157 entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück8.
Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Rechtsanwalts- und Gerichtskosten als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, so dass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.
Bei Heranziehung dieser Grundsätze waren nach Ansicht des Bundesfinanzhofs die von den Bauherren getragenen Prozesskosten nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.
Soweit die Bauherr vor dem LG obsiegt haben, sind ihnen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Auslagen von dem unterlegenen Architekten erstattet worden, so dass es schon an einer entsprechenden Belastung fehlt. Auch die darüber hinausgehenden Rechtsanwaltskosten sind nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Sie sind entstanden, weil die Bauherr den mit der Errichtung ihres Neubaus betrauten Architekten auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Bauüberwachung in Anspruch genommen haben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, an der der Bundesfinanzhof festhält, sind Baumängel jedoch nicht unüblich9. Selbst Aufwendungen zur Behebung gesundheitsgefährdender Baumängel erlauben deshalb grundsätzlich keine Ermäßigung der Einkommensteuer nach § 33 Abs. 1 EStG10. Daher können auch entsprechende Prozesskosten im Zusammenhang mit Baumängeln grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden11. Dies gilt insbesondere für Prozesskosten wegen Baumängeln am selbst genutzten Einfamilienhaus12.
Der Rechtsstreit war für die Bauherr schließlich zwar von nicht unerheblicher wirtschaftlicher Bedeutung, nicht jedoch von existenzieller13.
Der Streitfall bietet keinen Anlass zu einer von diesen Grundsätzen abweichenden Beurteilung. Hiernach scheidet der Abzug der den Bauherren nicht erstatteten Rechtsanwaltskosten als außergewöhnliche Belastungen aus. Der Bundesfinanzhof kann demnach offen lassen, ob ein Abzug auch deshalb nicht möglich ist, weil die den Bauherren verbliebenen Rechtsanwaltskosten darauf beruhen, dass sie mit ihrem Rechtsanwalt ein Honorar vereinbart haben, das über den nach der Zivilprozessordnung erstattungsfähigen Gebührensätzen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes lag14.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 15. Juni 2016 – VI R 44/15
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteile vom 29.09.1989 – III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418; und vom 26.06.2014 – VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9[↩]
- BFH, Urteil vom 22.08.1958 – VI 148/57 U, BFHE 67, 379, BStBl III 1958, 419; BFH, Urteile vom 18.07.1986 – III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745; vom 09.05.1996 – III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596; vom 04.12 2001 – III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382; vom 18.03.2004 – III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726; und vom 27.08.2008 – III R 50/06, BFH/NV 2009, 553[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und in BFH/NV 2009, 553[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596, und in BFH/NV 2009, 553[↩]
- BFH, Urteil vom 12.05.2011 – VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015[↩]
- BFH, Urteil vom 18.06.2015 – VI R 17/14, BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800[↩]
- z.B. BFH, Beschluss vom 11.02.2009 – VI B 140/08, BFH/NV 2009, 762, m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 19.06.2006 – III B 37/05, BFH/NV 2006, 2057[↩]
- BFH, Urteil vom 20.01.2016 – VI R 19/14, BFH/NV 2016, 909[↩]
- BFH, Urteil vom 09.08.2001 – III R 6/01, BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240, unter II. 3.a[↩]
- vgl. hierzu BFH, Urteil vom 20.01.2016 – VI R 19/14, BFH/NV 2016, 909[↩]
- vgl. für Strafverteidigungskosten BFH, Urteil vom 18.10.2007 – VI R 42/04, BFHE 219, 197, BStBl II 2008, 223, und BFH, Beschluss vom 10.06.2015 – VI B 133/14, BFH/NV 2015, 1247; zustimmend Blümich/Heger, § 33 EStG Rz 236; Schmidt/Loschelder, EStG, 35. Aufl., § 33 Rz 35 „Prozesskosten – Strafprozess“; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 33 Rz 47c; Stöcker in Lademann, EStG, § 33 EStG Rz 536; für Zivilprozesskosten Urteil des Finanzgericht Münster vom 18.06.2014 10 K 3686/11 E, EFG 2015, 300; Leitner, EFG 2013, 451; Knobbe, Der Ertrag-Steuer-Berater 2012, 111, 112; kritisch Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33 EStG Rz 197; Endert in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 33 Rz 103; Geuenich, Betriebsberater 2008, 655; Mack/Zumwinkel, Die Aktiengesellschaft 2013, 86, 88; Bron/Ruzik, DStR 2011, 2069, 2073; Stöber, Finanz-Rundschau 2011, 790, 793; Meyer-Götz, Familienrecht und Familienverfahrensrecht 2011, 365, 367; Degel/Haase, DStR 2005, 1260, 1264 f.[↩]