Die Wirkung der materiellen Rechtskraft besteht nach § 110 Abs. 1 FGO darin, dass die Beteiligten an die rechtskräftige Entscheidung soweit gebunden sind, als über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Der Streitgegenstand wird durch den Klageanspruch und den Klagegrund bestimmt, also durch den geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch und durch den ihm zugrunde liegenden, d.h. zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalt1.

Für die Festlegung der Reichweite der in § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO angeordneten Rechtskraftwirkung ist zwischen dem „Streitgegenstand“ und dem „Entscheidungsgegenstand“ zu unterscheiden2. Danach kommt es für die Bindungswirkung auf den vom Gericht seiner Entscheidung tatsächlich zugrunde gelegten Sachverhalt und auf die hierzu angestellten rechtlichen Erwägungen an3. Maßgebend ist, worüber das Gericht entschieden hat, nicht dagegen, worüber hätte entschieden werden sollen4. Das gilt selbst dann, wenn das Gericht seine Entscheidungskompetenz überschreitet5.
Zwar erwächst nur der Tenor der gerichtlichen Entscheidung in Rechtskraft und erzeugt eine Bindungswirkung, die Entscheidungsgründe geben aber Aufschluss darüber, wie weit die materielle Rechtskraft reicht6. Weist das Finanzgericht die Klage gegen einen Steuerbescheid ab, so umfasst die Rechtskraft der Entscheidung die Feststellung, dass der Bescheid weder nichtig noch rechtswidrig ist7.
Rechtskräftige Gerichtsentscheidungen binden die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger mit der Folge, dass sich jede neue Entscheidung über eine einmal rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge verbietet8.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27. August 2014 – XI B 32/14
- vgl. dazu BFH, Beschluss vom 25.10.2012 – XI B 48/12, BFH/NV 2013, 230, m.w.N.[↩]
- vgl. dazu BFH, Beschluss vom 19.09.2012 – X B 138/11, BFH/NV 2013, 63[↩]
- vgl. dazu BFH, Urteile vom 21.11.1989 – VII R 3/88, BFH/NV 1990, 650, unter II. 1.; und vom 19.12 2006 – VI R 63/02, BFH/NV 2007, 924, unter II. 2.a, jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. dazu BFH, Urteil vom 08.06.2000 – IV R 65/99, BFHE 192, 207, BStBl II 2001, 89, unter 2.c; BFH, Beschlüsse vom 24.08.2005 – VIII B 36/04, BFH/NV 2006, 86; in BFH/NV 2013, 63; Lange in HHSp, § 110 FGO Rz 48, jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. dazu BFH, Beschluss in BFH/NV 2006, 86; Lange in HHSp, § 110 FGO Rz 56, jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. dazu BFH, Urteile vom 07.02.1990 – I R 145/87, BFHE 161, 387, BStBl II 1990, 1032; vom 27.02.1997 – IV R 38/96, BFH/NV 1997, 388; vom 17.12 1998 – IV R 47/97, BFHE 187, 409, BStBl II 1999, 303; BFH, Beschlüsse vom 26.11.1990 – X B 54-59/90, BFH/NV 1991, 547; vom 20.09.2007 – XI B 192/06, BFH/NV 2008, 85; vom 09.02.2012 – IV B 30/11, BFH/NV 2012, 965[↩]
- vgl. dazu BFH, Beschluss vom 17.05.2001 – X B 69/00, BFH/NV 2001, 1521; Lange in HHSp, § 110 FGO Rz 62, jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. dazu BFH, Beschlüsse vom 01.04.2008 – X B 224/07, BFH/NV 2008, 1187; vom 30.05.2012 – III B 239/11, BFH/NV 2012, 1470, jeweils m.w.N.[↩]