Die Äußerungen eines Lehrstuhlinhabers über Kindererziehung in gleichgeschlechtlichen Ehen

Der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit findet seine Grenze auch in den Grundrechten anderer Rechtsträger, insbesondere auch der Ehre als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Wer sich zu Fragen der Kindererziehung in gleichgeschlechtlichen Ehen in ehrverletzender Art äußert, muss mit einer Verurteilung wegen Beleidigung rechnen.

Die Äußerungen eines Lehrstuhlinhabers über Kindererziehung in gleichgeschlechtlichen Ehen

Mit dieser Begründung hat das Amtsgericht Kassel in dem hier vorliegenden Fall einen Lehrstuhlinhaber an der Universität Kassel, der im Jahr 2017 dem Internetportal „kath.net“ ein Interview zum Thema „Ehe für alle“ gegeben und sich in diesem Zusammenhang über Kindererziehung in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften geäußert hatte, wegen Beleidigung verurteilt. Anlässlich des Gesetzesentwurfs zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts gab der 65-jährige Biologe einem österreichischen Internetportal ein im Juli 2017 im Internet veröffentlichtes Interview, in welchem er sich zur Kindererziehung in gleichgeschlechtlichen Ehen äußerte.

In seiner Urteilsbegründung hat das Amtsgericht Kassel ausdrücklich betont, dass nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen gewesen sei, dass die Tat in einer Weise begangen wurde, die geeignet gewesen sei, den öffentlichen Frieden zu stören, so dass eine Verurteilung wegen Volksverhetzung nicht in Betracht gekommen sei. Allerdings hätten sich die Äußerungen des Angeklagten jedoch auf eine hinreichend überschaubare und abgrenzbare Personengruppe bezogen, so dass der Angeklagte den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt habe.

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Nach Auffassung des Amtsgerichts Kassel seien die fraglichen Äußerungen insbesondere nicht durch die Wissenschaftsfreiheit gedeckt gewesen. Der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit sei im konkreten Fall im Hinblick auf den konkreten Kontext der Äußerungen bereits nicht berührt gewesen. Selbst wenn man dies anders würdigen wolle, gewähre das Grundgesetz die Wissenschaftsfreiheit zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos. Sie finde ihre Grenze u.a. auch in den Grundrechten anderer Rechtsträger, insbesondere auch der Ehre als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Zwar sei es dem Angeklagten unbenommen, sich – ggf. auch zugespitzt – zu Fragen der Kinderziehung durch gleichgeschlechtliche Partner zu äußern. Hinsichtlich einiger der von dem Angeklagten im Rahmen des Interviews getätigten Äußerungen ergebe die unter Beachtung der Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorzunehmende Abwägung jedoch, dass diese die Anzeigeerstatter in ihrer Ehre verletzt hätten.

Das Amtsgericht Kassel ist der Meinung, der Angeklagte habe Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Ehen leben und Kinder adoptieren, auf deren Sexualleben reduziert und im Kontext der den Eltern im Kontext der von ihm getätigten Äußerungen eine besondere Nähe zur Pädophilie unterstellt, indem er geäußert habe, bei einem Adoptionsrecht „für Mann-Mann bzw. Frau-Frau-Erotikvereinigungen“ sehe er „staatlich geförderte Pädophilie und schwersten Kindesmissbrauch auf uns zukommen“ . Der Angeklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass die von ihm verwendeten Begriffe „Erotik“ und „Pädophilie“ in der Fachsprache anders zu verstehen seien als im allgemeinen Sprachgebrauch. Denn soweit sich Äußerungen – wie hier – nicht an das Fachpublikum, sondern an ein allgemeines Publikum richten, sei bei deren Würdigung der allgemeine Sprachgebrauch zugrunde zu legen. Im allgemeinen Sprachgebrauch würden unter dem Begriff Erotik vornehmlich das sinnliche Liebes- und Geschlechtsleben und unter Pädophilie das sexuelles Interesse eines Erwachsenen an einem Kind verstanden. Ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichendes Begriffsverständnis hätte der Angeklagte erläutern müssen. Überdies handele es sich bei den von dem Angeklagten in diesem Kontext verwendeten Worten „schwerster Kindesmissbrauch“ auch nicht um einen Fachbegriff. Soweit der Angeklagte in gleichgeschlechtlichen Beziehungen lebende Kinder als „bemitleidenswerte Befruchtungs-Produkte“ bezeichnet habe, deren Erziehung durch „widernatürliche Früh-Sexualisierung“ betrieben werde, die der Angeklagte als „geistige Vergewaltigung Schutzbefohlener“ bezeichnet habe, handele es sich zwar letztlich bei allen Kindern um „Befruchtungsprodukte“ im Wortsinne. In dem festgestellten Kontext habe sich das von dem Angeklagten geäußerten Werturteil jedoch ausdrücklich nur auf eine Teilgruppe von Kindern bezogen und damit auch deren Eltern betroffen.

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Die Entscheidung des Revisionsgerichts - ohne Hauptverhandlung

Aus diesen Gründen ist der Angeklagte wegen der von ihm getätigten und veröffentlichten Äußerungen wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100,00 € verurteilt worden.

Amtsgericht Kassel, Urteil vom 3. August 2020 – 245 Ds-1622 Js 25245/17