… leidet offenkundig an Wahnvorstellungen

Das Bundesverfassungsgericht hat die verfassungsrechtlichen Frage des Einflusses des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bei Auslegung und Anwendung der grundrechtsbeschränkenden Vorschriften der §§ 185 ff. StGB1 bereits entschieden2.

… leidet offenkundig an Wahnvorstellungen

Die Äußerung eines Beschuldigten, die Anzeigenerstatterin betreibe Rufmord und leide offenkundig an Wahnvorstellungen – verbunden mit der Anregung, sie einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen und sie gegebenenfalls dauerhaft oder vorübergehend in einer psychiatrischen Einrichtung unterzubringen – fällt in den Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit, da sie durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet und deshalb als Werturteile anzusehen sind3. Meinungen sind durch die subjektive Beziehung zum Inhalt einer Aussage geprägt4 und genießen den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird5. Die polemische und verletzende Formulierung entzieht eine Äußerung grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts6.

Insoweit verwirft das Bundesverfassungsgericht auch das Argument des Landgerichts München I7, bei den Äußerungen handle es sich mangels medizinischer Erkenntnisse offensichtlich um Schmähkritik.Das Landgericht geht in verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Weise vom Vorliegen von Schmähkritik aus. Wegen seines die Meinungsfreiheit schon grundsätzlich verdrängenden Effekts, der dazu führt, dass die Meinungsfreiheit noch nicht einmal in eine Abwägung mit den Rechten der Betroffenen eingestellt wird, hat das Bundesverfassungsgericht den in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff der Schmähkritik eng definiert. Danach macht auch eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist mithin eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Nur dann kann im Sinne einer Regelvermutung ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden. Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben8.

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Aus dem Gesamtzusammenhang ist ersichtlich, dass es dem Beschwerdeführer eben nicht um eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung ging. Der Beschwerdeführer äußerte sich im Rahmen des von einer Behörde durchgeführten Sühneverfahrens zu den Vorwürfen der Anzeigeerstatterin und zieht ihre geistige Gesundheit angesichts der – seiner Ansicht nach – aus der Luft gegriffenen Vorwürfe in Zweifel. Dem Beschwerdeführer ging es hierbei nicht ausschließlich um die Diffamierung der Anzeigeerstatterin, sondern in erster Linie um die Verteidigung gegen die aus seiner Sicht haltlosen und abstrusen Vorwürfe. Es handelt sich zwar um polemische und überspitzte Kritik; diese hat aber eine sachliche Auseinandersetzung zur Grundlage.

Beide Gerichte unterlassen zu Unrecht die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Anzeigeerstatterin. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass sich der Beschwerdeführer, der sich gegen die seiner Meinung nach nicht gerechtfertigten Vorwürfe der Anzeigeerstatterin und dabei auch gegen deren Anregung, bei ihm eine Wohnungsdurchsuchung durchzuführen, verteidigte, sich in einer rechtlichen Auseinandersetzung befand. Dabei ist ihm zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich erlaubt, auch starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen9.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. September 2015 – 1 BvR 3217/14

  1. vgl. BVerfGE 82, 43, 50 ff.; 85, 23, 30 ff.; 93, 266, 292 ff.[]
  2. vgl. BVerfGE 61, 1, 7 ff.; 90, 241, 246 ff.; 93, 266, 292 ff.[]
  3. vgl. BVerfGE 7, 198, 210; 61, 1, 8; 90, 241, 247[]
  4. vgl. BVerfGE 7, 198, 210[]
  5. vgl. BVerfGE 90, 241, 247; 124, 300, 320[]
  6. vgl. BVerfGE 54, 129, 138 f.; 93, 266, 289; BVerfG, Beschluss vom 05.12 2008 – 1 BvR 1318/07, NJW 2009, S. 749[]
  7. LG München I, Beschluss vom 10.07.2014 – 26 Ns 256 Js 158624/13[]
  8. vgl. BVerfGE 82, 272, 283 f.; 93, 266, 294, 303; BVerfG, Beschluss vom 12.05.2009 – 1 BvR 2272/04, NJW 2009, S. 3016, 3018[]
  9. vgl. BVerfGE 76, 171, 192; BVerfG, Beschluss vom 29.02.2012 – 1 BvR 2883/11, NJW-RR 2012, S. 1002, 1003 m.w.N.[]
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