In der gezielten Ansprache von Frauen auf einen Schwangerschaftskonflikt in der Nähe einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle (sog. „Gehsteigberatung“) liegt eine Persönlichkeitsrechtsverletzung der angesprochenen Frauen.

Nachdem der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bereits im vorausgegangenen Verfahren [1] des einstweiligen Rechtsschutzes dem Begehren eines Vereins keinen Erfolg beschieden hat, der sich gegen eine Untersagungsverfügung der Stadt Freiburg wehrte, ist nun auch die Berufung des Vereins erfolglos geblieben. In dem hier vorliegenden Fall hat die Stadt Freiburg einem privaten, gemeinnützigen Verein unter Androhung eines Zwangsgeldes von 250 Euro untersagt, in der Humboldtstraße – an der eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle liegt – Personen auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation anzusprechen oder ihnen unaufgefordert Broschüren, Bilder oder Gegenstände zu diesem Thema zu zeigen oder zu überreichen. Der Verein (Kläger) hat gegen die für sofort vollziehbar erklärte Untersagungsverfügung nach erfolglosem Widerspruch Klage beim Verwaltungsgericht Freiburg erhoben. Das Verwaltungsgericht [2]hat die Klage abgewiesen.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg stelle das von der Untersagungsverfügung erfasste Verhalten des Klägers und der für ihn in Freiburg tätigen Gehsteigberaterin eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zähle auch das durch das Grundgesetz geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Die gezielte Ansprache auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation durch unbekannte Dritte auf der Straße verletze das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen.
In der Frühphase der Schwangerschaft befänden sich die meisten Frauen in einer besonderen seelischen Lage, in der es in Einzelfällen zu schweren Konfliktsituationen komme. Diesen Schwangerschaftskonflikt erlebe die Frau als höchstpersönlichen Konflikt. Diese Situation begründe ein hohes Schutzniveau für das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Frauen hätten daher gerade in dieser Lebensphase ein Recht darauf, von fremden Personen, die sie auf der Straße darauf ansprächen, in Ruhe gelassen zu werden. Die für den Kläger tätige Gehsteigberaterin missachte mit der gezielten Ansprache auf eine Schwangerschaft das Persönlichkeitsrecht der Frauen. Erschwerend komme hinzu, dass die Ansprache in der Öffentlichkeit auf einer belebten Straße und in einer für unbeteiligte Dritte wahrnehmbaren Weise erfolge. Dies hätten zahlreiche Zeuginnen bestätigt. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts werde noch weiter verstärkt durch die den angesprochenen Frauen angebotenen Faltblätter mit teilweise einschüchternden und verstörend wirkenden Bildern von Föten und Teilen von Föten.
Der Kläger könne sich nicht auf den grundgesetzlichen Schutz der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) berufen. Denn die „Gehsteigberatung“ ziele allein auf eine individuelle Kommunikation mit Einzelpersonen. Im Rahmen der Abwägung müsse auch die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) des Klägers im konkreten Fall gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Frauen zurücktreten, heißt es weiter in den Urteilsgründen. Denn auch bei einem Thema von besonderem öffentlichen Interesse wie dem eines Schwangerschaftsabbruchs schütze das Recht auf Meinungsfreiheit keine Tätigkeiten, mit denen anderen eine bestimmte Meinung aufgedrängt werden solle. Gerade hierauf ziele aber die Gehsteigberatung ab. Die Meinungsfreiheit des Klägers und seiner Mitglieder werde durch das Verbot der „Gehsteigberatung“ ferner nicht unverhältnismäßig beschränkt. Denn außerhalb der Humboldtstraße bleibe die Gehsteigberatung möglich. Eine allgemeine Kritik an der Möglichkeit der Abtreibung könnte darüber hinaus – ohne eine gezielte Ansprache von möglicherweise schwangeren Frauen – auch in der Humboldtstraße geäußert werden. Weiterhin komme dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen Vorrang auch gegenüber dem durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Klägers zu.
Das Einschreiten der Stadt sei auch im öffentlichen Interesse geboten, da eine unbestimmte Vielzahl schwangerer Frauen von der mit der „Gehsteigberatung“ einhergehenden Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen sei, so der Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg weiter. Eine zeitnahe wirkungsvollere Abwehr der Beeinträchtigungen sei nicht zu erreichen. Schließlich leide die Untersagungsverfügung an keinen Ermessensfehlern.
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Oktober 2012 – 1 S 36/12